Domine non sum dignus

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Domine non sum dignus

Beitragvon Martini » Do 11. Feb 2021, 00:15

Salvete!

Nachdem ich als Forums-Neuling gesehen habe, dass hier auch einige kirchliche Themen angesprochen werden, möchte ich eine Frage zu einem sprachlichen Problem in der katholischen Messe loswerden, die mich seit langem beschäftigt:

Nach dem Agnus Dei heißt es in Latein:
"Domine, non sum dignus ut intres sub tectum meum, sed tantum dic verbo et sanabitur anima mea."
Was macht denn dieser Ablativ bei verbo?

Wenn ich die Stelle mit anderen Sprachen vergleiche, heißt es immer wie im Deutschen "... aber sprich nur ein Wort ...":
Z.B. Französisch "... mais dis seulement une parole et je serai guéri."
Ital.: "...ma di' soltanto una parola e io sarò salvato."
Engl.:"... but only say the word and I shall be healed."
Ähnliches gilt (hier habe ich zwar nicht den Text aus der Messe gefunden, aber die Stelle Mt 8,8, aus der das Zitat stammt) im Türkischen "Yeter ki bir söz söyle, uşağım iyileşir."
Weitere sind mir leider nicht bekannt, aber es dürfte wohl überall das gleiche Ergebnis herauskommen.

Das spräche doch eindeutig für den Akkusativ "dic verbum".
Vielleicht hat ja von euch jemand eine gute Erklärung für mich??

Vielen Dank schon mal!
Martini
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon marcus03 » Do 11. Feb 2021, 07:31

abl. instrum. --> sprich nur mit deinem Wort/ durch dein Wort

verbum meint m.E. die ganze Art und Weise, wie Gott, konkret in seinem menschgewordenen Wort Jesus
von Nazareth, spricht im Gegensatz zur Redeweise der Menschen.
Jesus hat bekanntlich bzw. angeblich durch sein Wort Wunder gewirkt und geheilt.
(z.B. Steh auf, nimm dein Bett und geh)

verbum wird wohl auf Jesus anspielen, dem WORT GOTTES, durch das Gott heilt.
Jesus heißt übersetzt "Gott heilt/rettet".
Die Etymologie und damit eine mögliche Bedeutung des Namens sind unsicher. Das Matthäusevangelium (Mt 1,21 EU) leitet ihn von der hebräischen Wurzel jašaʿ, „retten“, ab und wurde damit für die altchristliche Deutung des Namens bestimmend.


Man könnte frei übersetzen: und sprich so, wie dein Wort Jesus einst mit den Menschen sprach
(und sie dadurch heilte)

Nach christl. Verständnis spricht Gott zum Menschen. Was im AT noch abstrakt ist,
wird im NT konkret. In Jesus spricht Gott konkret d.h. von jedem vernehmbar, zu den Menschen.
Das Agnus Dei enthält so gesehen geballte Theologie.
Dass sich viele Fragen aus der Lamm-Gottes-Theologie (Sündenbock-Theologie) ergeben, sei
nur am Rande erwähnt. Ich halte sie für hochproblematisch und überholt. Es gibt Modelle,
die dem heutigen Menschen soteriologisch "plausibler" erscheinen, was immer das letztlich heißen
mag."Credo, quia absurdum" - aut non credo, quia absurdum.
vgl:
Raymund Schwager, Brauchen wir einen Sündenbock.
https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/299.html
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon Martini » Do 11. Feb 2021, 10:56

Salve!
Natürlich, das Wort ist Fleisch geworden und Gott spricht durch dieses Wort.
Ich verstehe den Inhalt und den theologischen Sinn im lateinischen Text und ich verstehe den in den anderen Sprachen - es ist nur eben nicht der gleiche Inhalt.
Man könnte auch "dic verbo" mit "befiehl es durch dein Wort" übersetzen und es wäre klar (egal, ob man nun das Wort als etwas einfach Gesprochenes oder als die Person Jesus als Mensch gewordenes Wort betrachtet), aber ich finde halt, dass es unterschiedliche Aussagen sind. Der lateinische Text hat einen so viel größeren, umfassenderen Inhalt, dass es schade ist, wenn er nicht übernommen wurde.
Es hätte mich interessiert, ob es dafür einen Grund gibt, auch wenn das natürlich nicht unbedingt ein Lateinproblem als vielmehr ein theologisches ist.
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon medicus » Do 11. Feb 2021, 11:11

Martini hat geschrieben:Es hätte mich interessiert, ob es dafür einen Grund gibt,

Meine Deutung: "Sprich ein Wort" ist verständlicher für die Menschen, als "sprich durch dein Wort" :book:
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon marcus03 » Do 11. Feb 2021, 11:25

Martini hat geschrieben:aber ich finde halt, dass es unterschiedliche Aussagen sind.

So ist es.
Übersetzungen sind oft mangelhaft oder gar falsch.
Für die Bibel gibt es viele Beispiele: der gehörnte Moses, Röm5,12 (Erbsünde), u.v.m.

Die Stelle aus Matthäus, auf die angespielt wird, lautet im Original:
κύριε, οὐκ εἰμὶ ἱκανὸς ἵνα μου ὑπὸ τὴν στέγην εἰσέλθῃς, ἀλλὰ μόνον εἰπὲ λόγῳ, (καὶ ἰαθήσεται ὁ παῖς μου)

Die lateinische ÜS ist eine wörtliche ÜS des griechischen Originals.
Die dt. ÜS ist also, wie sooft, eine (gewisse) Interpretation.

PS:
Vlt. ist verbo eine Metonymie, die konkret meint: mit der Kraft deines Wortes (als göttl. Wesen).
Die dt. ÜS "nur ein Wort" würde dem inhaltlich entsprechen im Sinn von: es genügt schon ein Wort von dir,
um Heilung zu bewirken.
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon Tiberis » Do 11. Feb 2021, 13:26

marcus03 hat geschrieben:Die lateinische ÜS ist eine wörtliche ÜS des griechischen Originals.


offenbar doch nicht, denn wie kommt es, dass παις (Kind bzw. Sklave) durch anima übersetzt wurde ??
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon marcus03 » Do 11. Feb 2021, 14:12

Tiberis hat geschrieben:denn wie kommt es, dass παις (Kind bzw. Sklave) durch anima übersetzt wurde ??

Diesen Teil habe ich deswegen eingeklammert. ;-)
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon Sapientius » Do 11. Feb 2021, 16:51

Ich glaube, man muss "sprechen" hier im althebräischen Sinn verstehen, "Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht", sprechen mit Vollmacht, sprechen zusammen mit der Wirkung des Gesprochenen"; hier im Evangelium also "wirke mit deinem Wort", damit ist der Ablativ verständlich.
Das Hebr. versteht auch sonst das Sprechen in diesem Sinne, davar ist Wort und Sache zusammen, ungetrennt; deshalb sprechen sie auch den Namen Gottes nicht aus, weil der Mensch sich dadurch Verfügung über Gott anmaßen könnte; uns ist das in Überresten noch greifbar, als Märchenmotiv, beim "Rumpelstielzchen" u.a.
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon marcus03 » Do 11. Feb 2021, 18:09

Sapientius hat geschrieben:davar ist Wort und Sache zusammen, ungetrennt

Meines Wissens lautet dieses Wort: amar
3וַיֹּ֥אמֶר אֱלֹהִ֖ים יְהִ֣י אֹ֑ור וַֽיְהִי־אֹֽור׃

Sapientius hat geschrieben: "Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht",

Die Frage wäre, woher diese Vorstellung kommt.
Ob die Ruacm/Atem(zug) Jahves vor 14 Mrd. Jahren das Ungleichgewicht im Quantenvakuum ausgelöst hat,
das den Urknall provozierte? ;-)
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon mystica » Do 11. Feb 2021, 18:45

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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon mystica » Do 11. Feb 2021, 18:58

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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon marcus03 » Do 11. Feb 2021, 20:20

mystica hat geschrieben:Dies ist richtig, dass Gott durch sein Wort die Welt erschaffen habe, indem er sprach...

Wie soll man sich dieses Sprechen im Kontext der modernen Physik vorstellen?
Wie wird aus Geist Materie? Dass Materie und Energie dasselbe sind, wissen wir seit Einstein.
Hat der Herr damals einen Teil seiner Energie abgetreten denkend: Schau wir mal, was draus wird!
Ich hab ja noch genug von diesem Zeug und heute die Spendierhosen an, weil mein Junior
Geburtstag hat. Lassen wir den Energierubel rollen! Energy, make the world go round!
Sprachs und schon krachte es. Und 13,82 Mrd. Jahre später wurde u.a. daraus der Corona-Salat. ;-)
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon mystica » Do 11. Feb 2021, 20:28

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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon marcus03 » Do 11. Feb 2021, 20:44

Die Frage ist nur, welche Sprache der Realität näher kommt d.h. wer konkret mehr zu sagen hat
und partiell nachprüfbare Argumente bzw. plausiblere Theorien hat. :)
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Re: Domine non sum dignus

Beitragvon Sapientius » Fr 12. Feb 2021, 11:41

marcus03 hat geschrieben:Die Frage wäre, woher diese Vorstellung kommt.


Marce, es ist keine Vorstellung, sondern die Voraussetzung einer Vorstellung, eine Vorform. Ich sehe es in größerem Rahmen, es gibt zwei gegensätzliche Denkhaltungen oder -richtungen, das verbindende, synthetische Denken, das vom verstreuten Einzelnen auf das Umfassende Ganze blickt, oder das analytische Denken, das vom Allgemeinen, Begrifflichen her ins Empirische, Konkrete geht; diese Unterscheidung ist sehr weitgehend: z.B. der Herzrhytmus, systolisch, auf Einheit hin, und diastolisch, in die Verästelungen hinein; oder Yin/Yang; oder Metaphysik und Empirismus.

Diesen Gedanken können wir hier fruchtbar machen: die Hebräer haben diesen synthetischen Denkstil, ihr Denken zielt auf eine Einheitsvorstellung ab; auch sonst ist dieses Denken erkennbar: die platonische Ideenlehre basiert auf der Einsicht, dass Ideen und ihre Abbilder, die sinnlichen Gegenstände, eine Einheit bilden. Die moderne Platondeutung sieht das nicht, geht von einer Trennung der Ideen von den realen Dingen aus, und kann mit Platon nichts anfangen.
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