Beim Recherchieren zu Martin Schleichs Epitaph auf dem Alten Südfriedhof München
Das Ganze
Erste Zeile, Anfang, unleserlich
lässt sich einiges finden:
1. Martin Schleichs Epitaph: Die Referenz auf und die Reverenz für Jakob Balde - IntertextualitätUnser Martin Schleich, Humorist und Tausendsassa der Münchner Kulturszene um 1860 hat den Jesuitendichter Jakob Balde übersetzt.
https://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV009831265Balde ist ein hochversierter Poet, Kenner und Könner in vielen lyrischen Gattungen, auch der Satire. In Baldes Schrift Silvae findet sich unter 7, 17 eine humorvolle Epistel an den Freund Peter Altenhof.
Balde stellt parodierend eine pompöse Grabinschrift vor, sie beleidige ihn:
Und dann bringt er kontrastiv eine von ihm goutierte Inschrift:
Me, si paratum, Petre, iubentibus
Suprema Fatis hora citaverit:
Longam quidem, sed impolita
Sandapilam (Totenbahre) fabricabis orno (ornus, i; fem.: Bergesche).
A fronte scribes: Heic Hic] . Iacet. Alsata.
Poeta. Quondam. Non, sine. Laureis.
O Vanitas! Expunge rursus.
Si iaceam satis est, quiete.
http://mateo.uni-mannheim.de/camena/bal ... a1_12.htmlWenn mich gut vorbereitet, o Petrus, auf Geheiß des Schicksals, die letzte Stunde abruft:
so wirst du mir dann eine lange, aber unpolierte Totenbahre aus Berg-Esche fertigen.
Auf ihre Stirnseite wirst du schreiben;
Hier liegt er. Ein Elsässer. Dichter. Einst. Nicht ohne. Lorbeer.
O Vanitas-Eitelei. Streiche das wieder.
Wenn ich liege, in Ruhe, ist es genug.
In einer Dissertation von 1931 (Elisabeth Hirtz)
findet sich auf Seite 84 eine kurze Bemerkung zum Begräbnis des Martin Schleich und ein Hinweis auf Schleichs Beschäftigung mit Baldes Epitaphienpoetik:
Geht man dem nach, so gilt: Die spielerischen Parallelen sind wohl unübersehbar.
Das „quondam“ und das „illustris“ und der Herkunftsname „Monacensis“ referieren auf Baldes „quondam“, „non sine laureis“ und „Alsata“.
Baldes Schlusszeile „Si iaceam satis est, quiete.“ wird witzig in einem Trikolon „Iacet, tacet, placet“ aufgenommen, das an Caesars Ausspruch „veni, vidi, vici“ erinnern mag. Descriptiv in der 3. Person signalisiert die Zeile, der oftmals polemisch polternde Dichter, der nun ruhig ist und schweigt, finde eben deswegen den Gefallen der Öffentlichkeit.
(2) Die hexametrischen Zeilen des SchleichepitaphsDas Unleserliche der ersten Zeile setzt, will man sie rekonstruieren, auf die Hilfestellung der zweiten Zeile. Die ist ein Hexameter. Sie formuliert ein Lebewohl an Scherze, Satyre und Satiren. Also fokussiert sie sich auf antike Figurationen.
Naheliegend, dass auch die erste Zeile ein Hexameter ist. Das letzte Wort – hier kann das hochauflösende Bild von Wikipedia helfen – dürfte mit hoher Sicherheit „Camoenae“ lauten, ein Signalwort für Poesie, das sowohl beim alten Balde wie auch bei den noch älteren Ovid, Horaz, Properz, Vergil zu finden ist.
erste Zeile, letztes Wort
Die letzten Buchstaben des unleserlichen Anfangswortes dürften ein -ui sein, der erste Buchstabe macht große Schwierigkeiten, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass hier ein „A“ vorliegt. Der poetohistorische Kontext, die Metrik und die litteralen Spurenelemente dürften für „antiqui“ sprechen.
Erste Zeile, erstes Wort
So ergibt sich folgender Zweizeiler:
Ā́ntīquī́ lĕpĭdī́quĕ sălḗs lĕpĭdǣ́quĕ Cămœ̄́næ
Iū́cūndī́quĕ iŏcī́, Săty̆rī́ Sătŭrǣ́quĕ vălḗte!
So wäre denn Schleichs Grabschrift ein Lebewohl an mittelalte und alte Poeten mit witzorientierter Produktion. Und eben auch ein Lebewohl an sein Jahrhundert, etwas bescheidener: das Wirkungsfeld seiner Lebenswelt als Publizist.
Dass „saeculo“ ein Dativ in Abhängigkeit von „valedicere“ ist, dürfte wenig strittig sein. Der Präpositionalausdruck „quibuscum“ oszilliert ein bisschen, scheint mir.
Es könnte sich um einen „Ablativus modi“ handeln (BS § 372), könnte aber auch ein etwas holpriger Dativ sein, der auf einer Ebene liegt mit dem Jahrhundert, von dem sich Schleich verabschiedet, poetische Register des Witzes, denen schon in der ersten Zeile das Valet gesagt wurde.
Vielleicht aber liegt sogar ein sehr holpriger Instrumentalis vor, ähnlich wie bei Apuleius (Infit illa cum gladio: ‘... ’; Apul. Met. 1.12.4).
Schleich sagt mit Hilfe oder in Begleitung antiker Register dem Jahrhundert sein Lebewohl. Und eben auch vor dem Verstummen im Tode den Registern selber. Auf dem Grabstein aber überleben sie.
Mit großem Dank an die comites, vor allem an Tiberis und Consus und Iurisconsultus.