Es beweist schlichtweg, dass diese sogenannten premodifier- hyperbata nicht erforderlich sind, um "die für das Bild schlaraffischen Überflusses des verheißenen Goldenen Zeitalters bedeutsamen Elemente zur wesentlichen Mitteilung (zu) machen"
Dass das
premodifier-Hyperbaton zwingend erforderlich wäre für Bilder schlaraffischer Überfülle, reicher Ernte ohne Mühe usw., wie sie ganz typisch sind für Schilderungen Goldener Zeitalter und von denen die Ekloge voll ist, wurde nie behauptet.
Besagtes Wortstellungsmuster ist nun einmal im diskutierten goldenen Vers (ein Begriff der Neuzeit, offenbar kein explizites antikes Stilideal, die Frequenz bei Vergil liegt unter 1 Prozent für Adjektive als premodifier) anzutreffen, und kann hinsichtlich der Bedeutungsstrukturierung und Fokussierungseffekte analysiert werden, die sich auch, darauf beruht die ins Spiel gebrachte Theorie ja, an hunderten anderen Beispielen antiker Literatur beobachten lassen.
Das erfolgt natürlich im jeweiligen Kontext und kann überzeugen oder nicht, aber a priori anzunehmen, dies sei immer nur metrischen Zwängen geschuldet oder ein sonstiges rhythmisches oder gar sich in der symmetrischen Gliederung vorwiegend an das Auge wendende Ornament und habe nie etwas mit der Steuerung der angebotenen Information zu tun, ist angesichts dieses Befunds wenig glaubhaft. Warum sollte die Dichtung ein so essentielles Prinzip grundsätzlich entbehren oder vorsätzlich ignorieren?
Der Schluss, es müsse dann ja auch unter sogenannten vergleichbaren Bedingungen (auf die komme ich unten zurück) und daher im Folgevers zum Einsatz kommen, und wenn nicht, sei dies ein Beweis, dass es auch im ersten Fall nicht leiste, was behauptet wurde, ist zirkulär und von fragwürdigen Voraussetzungen geprägt.
Es wäre auch umgekehrt, fänden wir zweimal dieselbe Wortstellung hintereinander, kein zusätzlicher Beweis
für die Annahme, schließlich gibt es eine Vielzahl von in den Aussageabsichten liegenden Motiven und stilistischen Abwägungen, alternative Mittel, nicht zuletzt die Freiheit der Unterlassung als mögliche Gründe zu berücksichtigen.
Derlei sprachliche Gestaltung unterliegt prinzipiell keinen quasi naturgesetzlichen Zwängen, die so eine "Beweisführung" tragen könnten, kein Sujet diktiert auf dieser Ebene irgendwelche unabänderlichen Gesetze der Bedeutungstrukturierung. Die vorgeschlagene Deutung der Redundanzabschwächung durch Diskontinuierung der Nominalphrase bzw. Stärkung der antithetischen Wirkung durch die fokussierende Zusammenziehung der
premodifier sind Optionen unter anderen.
Man kann nur im Nachvollzug zu verstehen versuchen, wie die Entscheidungen des Dichters motiviert sein könnten, sie dort einzusetzen, wo man sie findet, und es anderswo zu lassen.
Dass ich mit dem vorgetragenen Verständnis nicht alleine dastehe, was die zentrale Bedeutung des Kontrastes zwischen
incultis und
rubens für den Vers anlangt, zeigt z.B. ein Blick in
Andrea Cucchiarelli: A Commentary on Virgil's Eclogue (Oxford University Press, 2023, S.224):
Note that this is something of a ' minor ' miracle since V. does not explicity say that brambles produces grapes. Rather, the source of wonder is the fact that ripe (rubens), beautiful grapes appear in the midst of wild brambles witch contradicts the basic principles of viticulture (taught by V. himself in G. 2.410-1: bis vitibus ingruit umbra, bis segetem densis obducunt sentibus herbae, [durus uterue labor] cf. also G. 2.415: inculti … exercet cura salicti).
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Von wegen "banal" : Wenn die Wortverbindung incultis sentibus "banal" ist, dann ist durae quercus sicher nicht weniger banal, oder gibt es Eichen, die nicht hart sind?
Ich kann hier keine ähnlich provozierende Redundanz erkennen, im Folgevers wird meines Erachtens nämlich keineswegs ebenso unmotiviert wie allgemein über die Härte von
quercus im Unterschied zu beliebigen anderen Objekten der Welt, Federn oder Brotteig z.B., gesprochen. Das wäre in der Tat merkwürdig.
Stattdessen bezieht er sich in meinen Augen auf eine spezielle Art, um an eine alte dichterische Tradition anzuknüpfen, die bis zu Hesiod zurückreicht, der in
Erga 232f. dieses später mehrfach aufgegriffene Bild von honigspendenden Eichen geprägt hat:
The earth bears them victual in plenty, and on the mountains the oak bears acorns upon the top and bees in the midst. "The oak as a ' host ' of honey symbolizes prosperity and abundance for virtuous humans since Hesiod" resümiert Cucchiarelli am angegebenen Ort.
Die komplizierte Entwicklung dieser Vorstellung in der antiken Dichtung über Theokrit zu Horaz, Vergil, Ovid usw., aus der schließlich die in den Stämmen wohnenden Bienen verschwinden, sodass die Bäume selbst zu mehr oder minder magischen Lieferanten des begehrten süßen Goldes werden, im Detail nachzuzeichnen, führte zu weit.
Es sind aber nicht irgendwelche Eichen, die dieses Bild aufrufen, den Baum, den Hesiod auf dem Berg lokalisiert und als δρῦς bezeichnet, nennen seine Nachfolger bei verschiedenen Namen, wobei man dabei weder neuzeitliche taxonomische Präzision noch Einheitlichkeit über Jahrhunderte hinweg erwarten darf. Über das Bezeichnungsgewirr bei Eichen schreibt
Plinius maior beim Versuch, eine Systematik zu entwickeln, etwas später nämlich:
genera distinguere non datur nominibus, quae sunt alia alibi, […] distingu<e>mus ergo proprietate naturaque […].
Horaz und Ovid assoziieren bei Hesiods δρῦς nicht
quercus, sondern
ilex (
mella cava manant ex ilice, flavaque de viridi stillabant illice mella),
ilex aber ist, wie der lexikalische Befund beim Blick ins Wörterbuch zeigt, oft die deutsche Steineiche, deren namengebendes Kennzeichen eben das steinharte Holz ist, während
quercus offenbar zwischen einer Art Gattungsbegriff und der Sommereiche oszilliert,
ilex wiederum bisweilen austauschbar scheint mit
quercus:
neben quercus, Enn. ann. 188. Hor. carm. 3, 23, 10 u. ep. 1, 16, 9.
Die
duritia der
ilex streicht auch Plinius maior hervor (Nat.16.229.) Steineichen wachsen langsam, stehen auch in Höhenlagen, erreichen beträchtliche Lebensdauer (bis 500 Jahre), ihre Blätter sind stachelig, abweisend, der Wuchs wird im Alter knorrig - all das passt doch zur erweiterten Semantik von
durus, das aber auch dem klassischen Topos von Kraft und Ausdauer der Eiche im Allgemeinen zuträgt. Ich nehme auch nicht an, dass Vergil, der zwei Drittel seines Werkes
pascua und
rura gewidmet hat, solche Details und ihre Stimmigkeit schnuppe waren.
Kurzum: diese Vagheit der Eigennamen macht, will man sich mit den Vorbildern kurzschließen, Zusatzinformationen zu
natura et proprietas erforderlich, um zu präzisieren, wovon genau die Rede ist.
Cucchiarelli sieht in dem Adjektiv außerdem eine Abhebungsmöglichkeit des Honigs gegen das „symbolic austere food of primeval ages, i.e. acorns“, den harten Eicheln der Steineiche also, die auch schon bei Hesiod als zweite, herbe Gabe genannt werden, steht der lieblich süße Honig gegenüber. Damit nicht genug - zeitgenössischer Philologeneifer hat ihm weitere Aspekte aufgebürdet, sexuelle Konnotationen etwa.
Was immer man von letzteren Hochflügen halten mag, all das spricht dafür, dass der Leser sich nicht angesichts des Offensichtlichen (Eichen sind also harte Dinge. Thanks, Captain Obvious) irritiert abwenden soll, sondern der Vertiefung des Verständnisses zu.
Manches davon erscheint als Klischee spätestens nach zweitausend Jahren in den Mägen poetischer Wiederkäuer, aber unmotiviert an einen Pleonasmus grenzend ist es auch in der gewöhnlichen Wortstellung der Nominalphrase in meinen Augen nicht.
Der Fall der Philologen bis zur Emendation treibenden Paarung von
incultis sentibus hingegen (ein ähnliches Unbehagen an
durae quercus habe ich in der Literatur nirgends entdecken können), das weder erkennbar an eine solche ehrwürdige Tradition anschließt noch über das Adjektiv eine bestimmte Art spezifizieren will, als ginge es paradoxerweise um kultiviertes vs. unkultiviertes Gestrüpp, ist definitiv anders gelagert. Warum sollte im Folgevers also wie davor die Nominalphrase in derselben Weise unterbrochen werden und zusätzlich kontrastiv auf den
premodifier fokussiert werden?
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Auch die Aussage, der Überfluss sei "in der Verbsemantik präsent", halte ich für eine eher fragwürdige Überinterpretation, die sich mir nicht erschließt. Honig, der aus den Eichen "fließt", wird von diesen naturgemäß "ausgeschwitzt", genauso wie Harz aus Föhren. Wie sonst sollte man den Vorgang bezeichnen?
Natürlich gibt es neutralere, nicht so bildhafte Möglichkeiten, das auszudrücken:
ipsae mella dabant quercus (Tibull). Honig geben sie also z.B., da stellt sich bei mir wenigstens keine unmittelbare Vorstellung aus Poren quellenden Honigseims ein.
Unter den im Georges aufgeführten Übersetzungsmöglichkeiten für
sudare hingegen finden wir
hervorschwitzen, herausschwitzen, von etwas triefen usf.Das Verb wird u.a. genutzt, um Szenen zu zeichnen, in denen nicht bloß sanft transpiriert wird, sondern Blut, Schweiß, aber auch duftender Balsam strömen:
Dardanium totiens sudarit sanguine litus? (Vergil)
Man sollte außerdem die Intensivierung durch das Abundanzmilieu des übrigen Textes nicht unterschätzen: vor Milch strotzende Euter, satte Kornfelder, Blumenteppiche, Schafe in allen Farben der Saison -
omnis feret omnia tellus. Da soll gerade der Honig schwach tröpfeln?