Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Fragen zur Ausbildung rund um die alten Sprachen, ihrer Geschichte und ihrer Archäologie

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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon Zythophilus » Mi 25. Apr 2012, 06:43

In vielem stimme ich dir zu, o Tiberis. Gerade das, was jetzt passiert, ich spreche von der sog. "Kompetenzorientierung" entfernt die lateinische Sprache noch mehr von einer gesprochenen Sprache, da das Verstehen von grammatikalischen Phänomenen nicht viel mehr als Beiwerk ist.
Schüler, die mit Latein beginnen und sich noch nicht viel Sorgen um Grammatik machen, wären Latein als einer gesprochenen Sprache durchaus relativ aufgeschlossenen, realistisch muss man aber sagen, dass zumindest die in Österreich verbliebene Zahl an Unterrichtsstunden bei einer komplexen Sprache wie Latein als aktiv beherrschter Sprache doch bestenfalls ein Niveau von A2, wenn man es auf moderne Sprachen umlegt, erreichbar wäre.
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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon katarina » Mi 25. Apr 2012, 07:45

Oha, da läuft gerade eine heftige Disskussion!
Ich möchte mich bei allen Teilnehmern und Ratgebern noch mal bedanken - es sind ganz tolle Ratschläge dabei, die ich sicher beherzigen werde.

Nur noch eine Sache will ich anfügen: Also ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass man nach so vielen Jahren Studium mit bestandenem Staatsexamen "inkompetent" aus der Uni rauskommt. Unsere Leistungen jedenfalls wurden ziemlich streng bewertet und wir mussten schon so einiges leisten, um so weit zu kommen, wie wir jetzt sind. Allein die Abbrecherquote, die irgendwo bei 60-70 Prozent liegt, zeigt, dass der Studiengang kein Zuckerschlecken ist. Die Staatsexamenstexte sind nicht ohne, finde ich. Ich zolle Respekt allen, die es geschafft haben und glaube nicht, dass diese Leute inkompetent sind.

Die Leute können am Ende ihres Studiums so einiges und haben sich auch sehr viel Mühe gegeben. Zumindest da, wo ich studiere.
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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 25. Apr 2012, 10:33

Ich denke, Tiberis hat viel Wahres geschrieben. Ich habe auch einen (bald sogar 2 Söhne) im Gymnasium (Bayern) im Lateinunterricht und sehe dadurch sehr vieles, was heute passiert. Die Lateinbücher in Bayern, insbesondere Campus, sind gar nicht so schlecht oder rudimentär. Auch ist Engagement der Lateinlehrer schon möglich im Rahmen des Unterrichts, auch was gesprochenes Latein anbetrifft. Es werden z.B. desöfteren schon Theaterspiele auf Lateinisch erarbeitet, viel mehr Filme, die die Römische Geschichte anschaulich darstellen, angeschaut und, ich glaube schon in der 8. Klasse, fährt mein Sohn nach Pompeii. Aber man sieht immer wieder: Es kommt auf den Lehrer an, auch heute noch, ob er stur den Lehrplan altmodisch runterrasselt (gibts heute noch) und sein Pensum erfüllt oder ob er etwas daraus macht. Lateindidaktik schön und gut, aber Studenten und Lehrer, die ich kenne, beklagen die viele Theorie und mangelnde Praxisbezogenheit in der Uni.
...Und eines muß man sich immer vor Augen halten, dass die meisten Lateinstudenten Lehrer werden und nicht Forschung an der Uni betreiben.
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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon guenterus » Mi 25. Apr 2012, 20:52

Salvete!
Nur eine Idee: Wie wäre es ausserhalb der Schule Geprächskreise zu etablieren? Vor Jahren habe ich es einmal
mit Kunstgesprächen, aber auch mit Englisch und Französisch, probiert. Es herrschte eine rege Teilnahme
in angenehmer Atmosphäre! Es sollte eigentlich auch mit Lateinschülern und Exlateinern funktionieren! ?
Wenn dann noch ein kompetenter Lehrer dabei wäre, wäre es optimal! Übrigens werden solche Aufrufe von der
Lokalpresse kostenlos veröffentlicht! Ad deliberandum!
bene valete
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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon RM » Mi 25. Apr 2012, 21:45

Wenn ich das alles so durchlese, erkenne ich doch einen gewissen Wunsch, die lateinische Sprache wieder etwas mehr als Sprache zu behandeln und nicht nur als Übung in "Kompetenzorientierung" - was auch immer das sei. Im Abschlussvortrag des DAV-Kongresses sprach Herr Töchterle - der österreichische Wissenschaftsminister - zu Recht von Latein als dem "europäischsten aller Bildungsfächer", das es zu erhalten gilt. Allerdings muss ich dann auch fragen, wohin eine Bildung führt, die sich immer nur im Kreis um sich selbst dreht. Stroh und natürlich Thierfelder sagten völlig zu Recht, dass auch die aktive Beherrschung des Lateinischen wichtig ist - beide können bzw. konnten das selbst natürlich hervorragend. Meiner Meinung nach ist es von geringem Nutzen, Lateinschüler jahrelang zu quälen, wenn sie am Ende Vergil und Cicero beim Durchlesen doch praktisch nicht verstehen. Allerdings sehe ich bei einigen der jüngeren Lehrenden inzwischen ein langsames und zaghaftes Umdenken, das sich spätestens dann, wenn durch wieder sinkende Schülerzahlen die nächste Krise des Lateinunterrichts eingeläutet wird, auch in den Unterrichtsmethoden bemerkbar machen sollte.
Ich bin übrigens nicht nur bei Latein, sondern auch bei Englisch der Meinung, dass man die Sprache wesentlich effektiver lernt, wenn man sich zwischen Muttersprachlern bewegt, also nicht unbedingt im Schulunterricht. Das klingt bei Latein zwar komisch, weil es da heutzutage nur wenige Muttersprachler gibt. Aber es gibt - nicht nur bei den Europäischen Lateinwochen in Freising und Amöneburg - genug Gelegenheiten, wo man Latein sprechen und damit sehr effektiv üben kann. Sprechen zu lernen hat den Vorteil, nicht mehr so lange nachdenken zu müssen, um Formen und Sätze zu bilden. Auch bei Deutsch-Lateinischen Übersetzungsübungen hilft das enorm.
Was übrigens die "Gesprächskreise" angeht, gibt es in vielen größeren Städten die "Colloquia Latina", so z.B. in München und Frankfurt. Ich versuche gerade, die ganzen Termine in unseren "Fasti Latini" (http://www.septimanalatina.org/txt/l/calendarium.html) zusammenzustellen. Falls jemand etwas kennt, was dort nicht steht, bitte ich um eine Nachricht.

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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 25. Apr 2012, 22:00

RM hat geschrieben:Wenn ich das alles so durchlese, erkenne ich doch einen gewissen Wunsch, die lateinische Sprache wieder etwas mehr als Sprache zu behandeln und nicht nur als Übung in "Kompetenzorientierung...."

Der Satz ist gut.
Lateinzirkel richten sich oft schon an Leute, die eh Interesse an Latein haben.
Lehrer lernen in der Universität, o.k., aber sie übertragen in den Unterricht. Wenn man revolutionär etwas ändern will, ist meine Meinung (auch aus eigener langjähriger Lateinerfahrung und im Unterricht meiner Kinder):
Man muß universitär ändern, da da die Lehrer daraus hervorgehen. Wenn sich da das Lateinbild nicht ändert, wird sich auch "lehrplanmäßig" nichts ändern. Die "Revolution" muß aus der Universität starten und einen Praxisbezug wünschen...(den sehe ich momentan nicht). Schüler, die aus einem neuen Lateinunterricht hervorgehen, werden auch wieder Lehrer.
Aber trotzdem bewundere ich Lehrer, die gegen jedes System engagiert sind und Änderungen selbstständig machen.
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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon RM » Mi 25. Apr 2012, 22:36

Leider trauen sich nur wenige Lehrer, Dinge zu tun, die nicht oder ganz anders im Lehrplan stehen. Von oben zu beginnen, ist da vielleicht effektiver. Das Beste, was wir machen könnten, wäre vielleicht, ein Lateinlehrbuch zu verfassen, nachdem wir es geschafft haben, unsere eigenen Ideen in den Lehrplan hineinzuschmuggeln. Der "Praxisbezug" wäre schon vorhanden, zwar nicht so sehr für die Antike als vielmehr für das immer noch zu wenig erschlossene Mittel- und Neulatein. Da ginge es erst einmal um die Sichtung und Auswertung unseres kulturellen Erbes. Einsatzmöglichkeiten reichen von automatischer Textanalyse bis zu Übersetzungen - genug für Generationen engagierter Lateiner. Die Frage ist dabei vielleicht weniger, ob wir das brauchen, sondern eher, wer es bezahlt.

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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon Zythophilus » Mi 25. Apr 2012, 22:38

RM hat geschrieben:Töchterle ... Latein als dem "europäischsten aller Bildungsfächer", das es zu erhalten gilt.

Schön, dass er es so sieht. Allerdings spricht er wohl bewusst nicht vom einem Sprachfach. Eine Schularbeit (in Deutschland: Klassenarbeit) ist mit dem neuen System in einen Übersetzungstext, zu dessen Verständnis keine einzige Frage gestellt wird, und einen Interpretationstext, der mit Hilfe diverser vorgegebener Aufgaben erschlossen, aber nicht übersetzt werden muss, geteilt. Mit Konzentration auf ein paar Details, etwas Glück beim Raten und ein wenig Sprachgefühl kann man praktisch ohne Lateinkenntnisse eine positive Note erlangen. Da kann das Bildungsfach noch so europäisch sein, es hat nicht viel mehr als die Funktion eines intellektuellen Feigenblattes. Angesichts steigender Schülerzahlen könnte auch bald in Österreich der Spruch gelten, dass "noch nie so viele Schüler so schlecht Latein gelernt hätten".
Eine aktive Sprachbeherrschung ist in einem solchen Modell nicht nur nicht vorgesehen, sie wird geradezu unmöglich gemacht, da aktive Sprachelemente nicht einmal Grundlage der Leistungsbeurteilung sein dürfen. Zudem spielt ab einem gewissen Zeitpunkt die genaue Kenntnis von Grammatikphänomen bestenfalls eine untergeordnete Rolle für die Erlangung von mehr als nur der geringstmöglichen positive Note, für die schon eine inhaltlich halbwegs passende paraphrasierende Übersetzung des Übersetzungstextes in Kombination mit dem Interpretationstext, bei dem Grammatik kein Thema mehr ist, sorgt.
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Re: Deutsch-Latein bestehen - langsam verzweifle ich...

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 25. Apr 2012, 22:41

Du sprichst viel zu theoretisch. Warum bist du nicht revolutionär? :wink: Vorgaben ... :-o
Übrigens: in Deutschland/Bayern heißt das "Schulaufgabe" in Latein. Da gibt es einen ganz normalen Übersetzungstext und Zusatzaufgaben bei jeder Schulaufgabe von Anfang an.
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