Programmieren statt Latein?

Fragen zur Ausbildung rund um die alten Sprachen, ihrer Geschichte und ihrer Archäologie

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Programmieren statt Latein?

Beitragvon 19ina94 » Do 3. Sep 2015, 16:51

Habe gestern auf Spiegel Online gelesen, dass die SPD der Meinung ist, dass es sinnvoller ist Programmieren statt Latein in der Schule zu lernen. Was meint ihr als Lateiner dazu? Ich fände es sehr schade :-(
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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon Martinus » Do 3. Sep 2015, 20:41

Menschen, die ständig in solchen Kategorien denken, finde ich armselig. "Et - et" statt "aut - aut" ist angesagt! Es spricht absolut nichts dagegen, sich in der Schule mit Programmiersprachen zu beschäftigen. Es ist auch wertvoll, sich mit alten Sprachen, sei es Latein, sei es Griechisch oder eine andere, auseinander zu setzen.

Das Problem ist, wenn man schon das Geld nicht bereitstellen will, beides in der Schule anzubieten: Was kann ich mir eher selbst beibringen? Und da weiß ich aus Erfahrung, dass über Programmiersprachen deutlich mehr online zu finden ist als über Latein oder gar Altgriechisch. Ich selbst habe die österreichische Langform Latein (6 Jahre) absolviert, das Programmieren mit php habe ich mir selbst beigebracht, ausgehend von html. Viel verdanke ich hier den zahlreichen Internetseiten, auf denen jeder noch so ausgefallene Befehl detailliert erklärt wird. Natürlich bin ich kein Profi auf diesem Gebiet, aber zum Erstellen dieser Website hat es bisher gereicht :) . Mit Basic, das ich im Gymnasium gelernt habe, konnte ich nach der Schule nie wieder etwas anfangen. Das Programmieren mit Zeilennummern (!) hat mich im Gegenteil so "versaut", dass ich mir mit objektorientierter Programmierung bis heute sehr schwer tue und das nach Möglichkeit vermeide.

Ein weiteres Argument für Latein in der Schule und Programmierung im Selbststudium: Wenn ich beim Programmieren einen Fehler mache, und sei es nur das Auslassen eines Kommas, fliegt mir das Ding um die Ohren oder funktioniert zumindest nicht mehr. Wenn ich eine Zeit falsch übersetze oder eine Zahl, fällt das nicht unbedingt auf. Solange der Sinn nicht vollkommen entstellt wird, muss das dem Übersetzer nicht unbedingt seltsam vorkommen. Es passiert jedenfalls nichts Vergleichbares.

Abschließend: Damit jemand etwas unterrichten kann, muss er es erst einmal selbst beherrschen - und zwar gründlich. In der Programmierung ist Wissen, das heute aktuell ist, in zehn Jahren wahrscheinlich nur noch dazu zu verwenden, ein altes Programm für Geräte im Computermuseum zu erstellen. Wenn also jemand Informatik studiert hat und sich - mirabile dictu - an eine Schule verirrt, muss er dennoch die Trends mitmachen, als wäre er ein Informatiker in der Wirtschaft, und das, obwohl Programmierung ein nicht allzu wichtiger Teil des Lehrplans ist und er nur einen Bruchteil seiner Kollegen verdient. Dann müsste er noch entscheiden, auf welche Plattform er sich konzentriert (Windows, Linux, Apple), auf welche Art von Gerät (stationär, mobil), wenn mobil, auf welche Anbieter (Microsoft, Google, Apple, Blackberry, Samsung, ...). Latein ist so, wie es vor 20, 50 oder 100 Jahren war, auch wenn es heute mit anderem Ziel und anderen Methoden unterrichtet wird.

Insofern bleibe ich beim Grundsatz: Die Basics, Genauigkeit, ein (grammatisches) System, die Inhalte - darin ist Latein nicht zu schlagen, weder von modernen Fremdsprachen noch von Programmiersprachen. Das sollte man in der Schule lernen. Den Rest, den man "praktisch braucht", kann man danach mit Leichtigkeit erlernen, ob es jetzt Spanisch oder Swift 2 ist.
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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon RM » Do 3. Sep 2015, 20:49

Nein, nicht "Programmieren oder Latein", sondern "Programmieren und Latein" ist das, was man in der Schule lernen kann und sollte. Was nützen uns Programmierer, wenn keine Inhalte geschaffen werden?

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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon Laptop » Fr 4. Sep 2015, 02:03

RM, wenn viele Themenbereiche miteinander um wenig Schulstunden konkurrieren, muß man eine Auswahl treffen. Und: soll eher in die Breite gelernt werden also möglichst oberflächlich von jedem Thema etwas? Oder soll mehr in die Tiefe gelernt werden? Auch hier steht eine Entscheidung an.
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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon RM » Fr 4. Sep 2015, 08:45

Schulstunden sind genügend vorhanden, sie werden teilweise aber nicht sinnvoll genutzt.
Grundsätzlich bin ich aber eher dafür, dass in der Schule in die Breite gelernt wird, nicht punktuell in die Tiefe, denn Letzteres führt nur zu Mängeln im Allgemeinwissen. Das Lernen von Sprachen würde ich vollständig anders aufziehen - man benötigt für eine Sprache nicht 6 oder 8 Jahre 3-4 Stunden die Woche, das kann auch schneller gehen.

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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon romane » Fr 4. Sep 2015, 10:42

Latein und/oder Programmieren!?

Was ist die Basis für gutes Programmieren? Doch wohl in erster Linie LOGISCHES Denken, das Erfassen eines Problems und eine Strategie für die Lösung des Problems.

Vordergründig geht es bei Diskussionen PRO und CONTRA Latein neben einer bestimmten Ideologie um den direkten nachweisbaren Nutzen - leider.
Solange jemand nicht von einem Nutzen eines bestimmten Unterrichtsfaches überzeugt ist, wird er es ablehnen.

Also: Wozu die höhere Mathematik? Grundrechenarten, Dreisatz und Prozentrechnung reichen doch aus...
Chemie-Unterricht - wozu? Mischungen kann man doch fertig kaufen...
Musik-Unterricht - wozu? Wer macht schon selbst Unterricht...
Kunst-Unterricht - wozu? Es wird sowieso viel zu viel Geld für sogenannte Kunstwerke und auch Museen ausgeben...
Sport-Unterricht - wozu? Leistungssport unter Doping ist doch kein Erziehungsziel...

....

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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon Prudentius » So 6. Sep 2015, 16:50

romane hat geschrieben:Bei meiner langen Programmierertätigkeit hat mir auch Latein geholfen!



Hallo romane,

muss es denn eine Einbahnstraße sein? Versuch doch mal, den Satz auch andersherum zu lesen:
"Bei meinerLateintätigkeit kann mir auch das Programmieren helfen!"[/quote]

Es gibt ja so viele Anschlussmöglichkeiten! Nimm einmal Fragesatz - Eingabeaufforderung, Fragepronomen - Eingabefeld; direkte Frage - aktiviertes Eingabefeld, indirekte Frage - deaktiviertes Eingabefeld; Kongruenz - Merkmale kopieren...; es sind ja nicht nur interessante Übereinstimmungen, sondern man durchschaut erst richtig, wie der l. Satz funktioniert.

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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon Tilli » Mo 7. Sep 2015, 15:51

HHm ich denke Latein ist etwas was einem Sinn für Sprache beibringt, Programme ändern sich dagegen ständig. da veraltet in der Schule gelerntes Wissen schneller.
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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon romane » Di 15. Sep 2015, 09:15

Prudentius hat geschrieben:
romane hat geschrieben:Bei meiner langen Programmierertätigkeit hat mir auch Latein geholfen!



Hallo romane,

muss es denn eine Einbahnstraße sein? Versuch doch mal, den Satz auch andersherum zu lesen:
"Bei meinerLateintätigkeit kann mir auch das Programmieren helfen!"

Es gibt ja so viele Anschlussmöglichkeiten! Nimm einmal Fragesatz - Eingabeaufforderung, Fragepronomen - Eingabefeld; direkte Frage - aktiviertes Eingabefeld, indirekte Frage - deaktiviertes Eingabefeld; Kongruenz - Merkmale kopieren...; es sind ja nicht nur interessante Übereinstimmungen, sondern man durchschaut erst richtig, wie der l. Satz funktioniert.

lgr. P. :)

Hallo Prudentius,
von einer Einbahnstraße habe ich nicht gesprochen; sicherlich wird es auch so sein, wie du gesagt hat.
Mich stört bei den Diskussionen "Latein ja/nein" die Sichtweise auf den 'reinen ausrechenbaren' Nutzen.
Deswegen habe ich auch ein wenig polemisiert. In meinem Fall ist richtig, dass Latein zuerst war und dann das Programmieren hinzukam.
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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon Laptop » Di 15. Sep 2015, 13:57

Steht denn bald eine Änderung des Lehrplans auf der Kultusministerkonferenz an? Jedenfalls haben wir ohnehin keinen Einfluß darauf, was beschlossen wird.
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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon RM » Di 15. Sep 2015, 21:39

Laptop hat geschrieben:Jedenfalls haben wir ohnehin keinen Einfluß darauf, was beschlossen wird.

Ganz kann man das so nicht sagen. Wenn wir aber nicht das Gespräch mit denjenigen suchen, die solche Entscheidungen in den Kultusministerien vorbereiten bzw. treffen, dann haben wir wohl auch keinen Einfluss darauf. Solche Entscheidungsträger trifft man gelegentlich z. B. bei den DAV-Tagungen. Wenn ihr euch also dazu aufraffen könnt, dorthin zu kommen ... Die nächste findet vom 29. März bis 2. April 2016 an der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Reserviert euch also schon mal ein Hotelzimmer!

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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon Prudentius » Mi 16. Sep 2015, 19:26

So läuft es nicht; es müsste zuerst ein Konsens aller Beteiligten dasein, ist aber nicht.
Schon eine Diskussion darüber ist nachteilig für uns: "Die L-Lehrer wissen selber nicht, wie der L-Unterricht aussehen soll!", und versetzt euch in den Elternabend, wenn der Lehrer mit Engelszungen versucht, einen L-Kurs zustandezubringen: "Wir haben eine Erprobungsphase für einen ganz neuartigen L-Unterricht vor uns", verheerend!

:)
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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon RM » Mi 16. Sep 2015, 21:09

Dass sich aber schleunigst etwas ändern muss, um den L-Unterricht mal endlich ein wenig attraktiver zu machen, ist den L-Lehrern schon klar, oder?

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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon Laptop » Do 17. Sep 2015, 17:46

Problem ist ja nicht nur der Inhalt der Lehrplans (zu grammatiklastig), sondern vor allem die Methodik (zu sehr fixiert auf Schriftliches, zu abstrahierend). Nehmen wir mal eine funktionierende Methodik: Rollenspiele. Die Schüler spielen ein Akt, indem jeder "Schauspieler" von einem Skript abliest. Eine Kurzanalyse des Skript nach Vokabeln, Syntax, Aussprache findet vor (oder auch: nach) dem eigentlichen Sprechakt statt. Und nun worauf ich hinaus will: meint ihr so eine Methodik würde je in den Lehrplan aufgenommen werden? Ich glaube nicht. Die funktionierenden Konzepte gibt es schon, sie werden aber nicht umgesetzt, heute nicht und morgen auch nicht.
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Re: Programmieren statt Latein?

Beitragvon RM » Do 17. Sep 2015, 18:43

Leider stehen die Altphilologen nicht ganz grundlos im Verdacht, ziemlich altmodisch zu sein. Auf Einzelne mag das nicht zutreffen, aber im Mittel kann man das wohl behaupten. Der Hauptgrund, warum dem so ist, ist auch manchen Fachdidaktikern geschuldet, die an den Ausbildungsstätten ihr Unwesen treiben. Moderne Konzepte dringen dorthin nicht oder nur selten durch, weil eigentlich alles abgewehrt wird, was am Bestehenden etwas Grundlegendes ändern würde. Man würde ja glauben, dass alleine das Argument der Arbeitsökonomie dazu zwänge, Latein besser und vor allem schneller zu lernen (wofür es durchaus Methoden gibt), aber bei einigen beißt man mit dieser Meinung auf Granit. Stattdessen wird über das logische Denken, die Sprachreflexion und Ähnliches philosophiert, was man angeblich nur im Lateinunterricht lernen kann (die armen Chinesen, die kaum eine Chance haben, Latein in der Schule zu lernen ...!).
Als Lösung sehe ich nur, die Fachdidaktiker und die Entscheidungsträger in den Ministerien zu bearbeiten und - ganz wichtig! - nachzuweisen, dass andere Methoden sinnvoll sind und Zeit sparen. Gerade in Zeiten von Big Data (damit wären wir wieder beim Programmieren) braucht man Leute, die antike Texte fließend lesen und verstehen können, ohne sie erst übersetzen zu müssen. Sonst werden wir die Textmengen, die noch der Bearbeitung harren, niemals bewältigen.

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