Latein studieren

Fragen zur Ausbildung rund um die alten Sprachen, ihrer Geschichte und ihrer Archäologie

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Latein studieren

Beitragvon artemisia » Fr 14. Mär 2003, 17:53

hallo!
ich bin noch ganz neu hier und kenne euch alle nicht, aber vielleicht ist ja der eine oder ander lateinstudent unter euch, der mir weiterhelfen kann?
ich möchte nämlich ab nächstem semester (also WS 03/04) klassische philologie (latein) studieren - bin aber nopch nicht ganz sicher. was im studienführer steht, ist eher abschreckend:
Die zwei häufigsten Trugschlüsse zu Beginn des Studiums:
"Ich war in der Schule schon so gut in Latein/Griechisch, obwohl ich nie was gelernt habe - da schaff ih das hier locker!": Die Interessen und das Talent von (beinahe) allen , die sich für das Studium der Klassischen Philologie entscheiden, liegen bei einer dieser beiden antiken Sprachen (oder bei beiden) und er/sie war dementsprechend "gut" in diesen Fächern. In der Schule wird für keines der Fächer ein gewisses Talent vorausgesetzt, an der Universität ist das aber durchaus der Fall.


nun meine frage: mein interesse und, wie ich hoffe, auch mein talent liegt durchaus bei latein, und ich war gut in der schule. woher zum geier soll ich aber wissen, ob's für die uni auch reicht, vor allem, wenn die strv das so betont??
kann mir da jemand helfen? was wird zu studienbeginn vorausgesetzt und wie kann ich mich in dieser hinsicht einschätzen? ich bin dankbar für jeden tip!
liebe grüße - artemisia
artemisia
 

Beitragvon Chrysostomus » Fr 14. Mär 2003, 19:33

Die Studienbedingungen sind offenbar an den verschiedenen Unis unterschiedlich. An der Uni Münster wird z. B. für die Teilnahme an Proseminaren und anderen Pflichtveranstaltungen des Grundstudiums das Bestehen der Lektüreklausur I vorausgesetzt, d. h. die weitestgehend fehlerfreie Übersetzung eines mittelschweren Cicero-Textes ohne jegliche Hilfsmittel (also ohne Wörterbuch). Wenn es diese Klausur auch wohl nicht überall gibt (scheint auch ein Qualitätsnachweis für die Uni Münster zu sein...), so können diese Anforderungen denn doch als Maßstab für Studienanfänger dienen: Einfach mal Ciceros "De officiis" oder irgendeine Rede nehmen und ein Stück ohne Wörterbuch und Grammtik-Einsicht übersetzen. Dann mit der Übersetzung vergleichen. Wenn es o.K. ist, dann hast du sicherlich für eine Anfängerin ausreichende Voraussetzungen.

Wenn du Latein studierst, studierst du übrigens nur lateinische Philologie; als echter "klassischer Philologe" darf sich denn wohl nur der bezeichnen, der auch Griechisch studiert (hat). Apropos Griechisch - du brauchst für das Lateinstudium das Graecum; wenn du es auf der Schule nicht gemacht hast, kommt da einiges an Zeit- und Arbeitsaufwand in den ersten zwei Semestern auf dich zu.

Außerdem gibt es noch deutsch-lateinische Übungen und man muss deutsch-lateinische Klausuren schreiben. Das ist für die Leute ungewohnt, die das auf der Schule nie gemacht haben.

Erkundige dich bei der Fachschaft nach Musterexemplaren der Klausuren vergangener Semester; normalerweise werden die dort gesammelt; du kannst dann deine Kenntnisse überprüfen.

Es geht beim Lateinstudium nicht nur um Texte-Übersetzen (das wird eigentlich, zumindest in den Seminaren im Rahmen der häuslichen Arbeit vorausgesetzt), sondern vor allem auch um Textinterpretationen, indem u.a. die Bereiche Grammatik, Stilistik, Inhalt, Textkritik, literaturgeschichtliche Einordnung und Textrezeption eine große Rolle spielen. Das setzt voraus, dass man auch bereit ist, viel Sekundärliteratur über die Texte, mit denen man arbeitet, zu lesen. Und die Zahl dieser Sekundärtexte ist gerade in unserem Fachbereich Legion. Insbesondere die inhaltlichen Aspekte erfordern eine doch recht breite Allgemeinbildung und ein umfassendes Interesse für verschiedene Wissensbereiche (z.B. Kunst, Religion, Philosophie, Geschichte, Politik, Naturwissenschaften, Mythologie, Architektur, Astronomie um nur einige zu nennen....), da es keinen Inhalt gibt, der nicht irgendwann irgendwie Gegenstand der Texte gewesen ist.

Man muss bereit sein, im Schnitt während des Studiums mindestens eine Teubnerseite lateinischen Originaltext pro Tag zu lesen.
Chrysostomus
 

Beitragvon Tiberis » Fr 14. Mär 2003, 19:45

salve Artemisia.
gratum est,quod tantum tua interest philologiae classicae studere.
ne deterrearis sententiis in isto libello dictis. mihi persuasum est tibi studia classica ineunti non solum ingenio ,sed etiam amore sermonum classicorum opus esse. amore latinitatis studioque antiquitatis permota omnes difficultates superabis.
quod bene tibi eveniat.
vale.
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Beitragvon Chrysostomus » Fr 14. Mär 2003, 20:02

Na ja, ganz so blauäugig darf man denn nicht rangehen. Bei aller Liebe zum Fach (natürlich ist Interesse eine wichtige Voraussetzung), aber die wichtigste Basis ist immer noch eine solide Fertigkeit bei der Texterschließung. Ohne sehr guten Wortschatz und hervorragende Grammatikkenntnisse (nach einigen Semestern sollte man den Rubenbauer-Hofmann mehr oder weniger auswendig können) geht est nicht. Also denn doch mehr ingenium als amor!
Dafür habe ich denn doch zu viele Studienabbrecher gesehen oder Leute, die im 10./12. Semester immer noch nicht das Grundstudium abgeschlossen hatten... Das war allerdings vor gut fünfzehn Jahren, kann sein, dass die Anforderungen im Fach mittlerweile gesenkt worden sind.
Chrysostomus
 

Beitragvon Tiberis » Fr 14. Mär 2003, 20:32

lieber chrysostomus,
den ausdruck "blauäugig" finde ich hier ziemlich unpassend. oder ist es blauäugig, mit liebe und interesse an eine sache heranzugehen? ich bin der meinung, nicht das vorwissen und nicht die schulnoten sind entscheidend, sondern - neben sprachlicher begabung - animus et studium, und eben amor, wie ich schon sagte.
man muß zu beginn des studiums die grammatik nicht perfekt beherrschen- das lernt man in den stilübungen . man muß auch nicht schon virtuos übersetzen können , aber man muß den willen haben, sich all das anzueignen.
und im übrigen finde ich es im zweifelsfall besser,jemanden zum studium der klassischen sprachen zu ermuntert zu haben, der später möglicherweise scheitert, als jemanden,der ein guter lateiner ( bzw. klass.philologe) geworden wäre, im vorhinein abgeschreckt zu haben.
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Beitragvon Gast » Sa 15. Mär 2003, 00:42

danke für eure raschen & ausführlichen antworten! :)

nun: ich hatte nur 4 jahre latein in der schule (in deutschland heißt das, glaube ich, das kleine latinum) und nein, leider kein griechisch. auch deutsch-latein übersetzen mußte ich nie, und mein wortschatz ist sicher nicht groß genug, um eine solche klausur zu bestehen... :sad:
allerdings gibt es so etwas meines wissens auf der wiener uni auch nicht. (was nichts heißt - ich glaube nicht, daß die standards sooo unterschiedlich sind; nur die zulassung funktioniert anders (und die geisteswissenschaften sind ohnehin nicht gerade überlaufen)... auch einen numerus clausus hat kein studium).

lieber chrysostomus: daß ich das graecum nachholen muß, weiß ich, und das schreckt mich auch nicht so sehr. was die von dir erwähnten themenbereiche betrifft - griechisch/römische kulturgeschichte ist ohnehin eines meiner hauptinteressensgebiete. meine probleme lägen eher bei der grammatik als bei den sachthemen...

lieber tiberis: danke für diese nette motivation! ich glaube auch, daß die liebe zum fach die erste vorraussetzung dafür ist, in dem, was man tut und lernt, "gut" zu werden. andererseits hilft einem (meinem eindruck nach jedenfalls) das vielzitierte sprachgefühl bei latein nicht soviel wie bei anderen sprachen - weil die grammatik komplizierter ist, weil man sich (leider!) nicht auf latein unterhält etc., was weiß ich.

also - ich werde mir das alles gründlich durch den kopf gehen lassen und ausprobieren, wie gut ich mich mit cicero verstehe. wie gesagt, ich bin ja noch keineswegs sicher, insofern kommt mir eure hilfe mehr als gelegen! danke!
Gast
 

Beitragvon artemisia » Sa 15. Mär 2003, 00:44

hoppla - hab vergessen, mich anzumelden. der gast bin ich.
artemisia
 

Beitragvon Chrysostomus » Sa 15. Mär 2003, 13:12

Hallo Artemisia,
ich wollte dich nicht abschrecken. Es ging mir nur darum, deutlich zu machen, worauf man sich einlässt. Natürlich ist Interesse an dem Fach eine sehr wichtige Voraussetzung; ohne sie könnte man die besonderen Anforderungen sicher nicht bewältigen. Es kommt ja nun auch nicht nur darauf an, irgendwie durchzukommen, sondern am Ende müsste auch ein möglichst sehr gutes Examen dabei herausspringen, damit man auf dem - wegen Rückgangs der Schülerzahlen und vermutlich auch weiter zurückgehender Zahlen der Schüler, die Latein wählen - in ca. 8-10 Jahren wohl wieder enger werdenden Arbeitsmarkt für Lateinlehrer vergleichsweise gute Perspektiven hat. Außerhalb der Schule bzw. der Hochschule (hier ist aber dann Promotion und wohl auch Habilitation Pflicht um eine der wenigen begehrten Daueranstellungen zu bekommen) bieten sich für den Latinisten kaum (gut bezahlte und fachlich nahe) Beschäftigungsmöglichkeiten
Chrysostomus
 

Beitragvon Felix » Sa 15. Mär 2003, 13:20

Salvete!
Ich als Unstudierter meine dazu:

Sowohl Interesse als auch ein gewisses Wissen sind einfach die Basis.

Man kann nicht sagen "Ich liebe Latein, weiss aber nicht, was das Konjugieren vom Deklinieren unterscheidet", aber sicherlich auch nicht "Ich habe alle nötigen Vorraussetzungen und das Wissen, möchte das aber nur irgendwie mit möglichst wenig Arbeitsaufwand absitzen"

Beides ist nicht gut! Somit sollte man, wenn schon das Interesse bzw. die Liebe zum Lateinischen vorhanden ist, sich ein möglichst großes Wissen vor dem Studium schon einmal voraneignen. Übersetzen, Wiederholung der Grammatik und der Vokabeln usw.

Grüße
Felix, der auch einmal vor hat, Latein zu studieren :)
Lücken in der Grammatik, Probleme mit dem Übersetzen und den Hausaufgaben, schlechte Noten in Latein? Das muss nicht sein: http://www.lateinschueler.de
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Beitragvon scrooge » Sa 22. Mär 2003, 13:34

Chrysostomus hat geschrieben:Man muss bereit sein, im Schnitt während des Studiums mindestens eine Teubnerseite lateinischen Originaltext pro Tag zu lesen.


Äh ... wie viele Reclam-Seiten sind eine Teubner-Seite?
scrooge
 

Beitragvon Chrysostomus » Mo 24. Mär 2003, 19:25

Unterschiedlich ... Ich gebe mal ein Beispiel.

Bei Tacitus "Annalen" entspricht eine Teubner-Seite (Ausgabe von Heubner) ungefähr einer Seite in der Reclam-Übersetzung, also knapp 2 Kapitel.

Das dürften so ca. 200-250 Wörter sein. In der Schule hätte man bei der Übersetzungsklausur ca. drei bis vier Stunden Zeit für so einen Text bekommen. Im STudium sollte man so einen Text - also zwei Kapitel Tacitus - in einer Stunde bewältigen. Eine Teubner-Seite entspräche somit ungefähr dem Umfang von 200 Wörtern, die ca.60-90 Minuten zu lesen sind. Damit hat man das Pensum, das man pro Tag mind. durchschnittlich bewältigen sollte.

Man schafft dann das erste Buch der Annalen in ca. vier bis sechs Wochen, könnte also in einem Semester vielleicht die erste Hexade der Annalen lesen und hätte damit einen Posten von der langen Leseliste abgearbeitet. Es ist jedoch empfehlenswert, nebenbei pro Semester auch noch einen Dichter zu lesen, also z. B. noch ein bis zwei Bücher aus der Aeneis oder eine Komödie von TErenz, also immer Dichtung und Prosa parallel. Für Deutsch-Latein schult natürlich nichts mehr als intensive Caesar- und Cicero-Lektüre. Die läuft dann noch so nebenher. Ein Buch Caesar (ein kurzes) kann man sicherlich auch mal an zwei Nachmittagen durchlesen.
Chrysostomus
 

Beitragvon tatjana » Sa 26. Apr 2003, 11:20

oje, was für Anforderungen, caesar mal "nebenbei" an zwei Tagen durchlesen...
ich studiere zwar auch nicht Latein, aber mit eurem kontinuierlichen Lernen habt ihr sicherlich recht...
Sicherlich kommen einem im Studium aber kleine Lerngruppen und ein Prof zugute, der seine Studenten noch persönlich kennt..
Letztens waren hier Hochschulinformationstage und ich war mit meiner Freundin bei klassischer Philologie (sie hatte sie überlegt Latein auf Lehramt zu studieren), und es waren vielleicht grade mal 15Leute da... im Studium sei das nicht anders...meinte der Prof).
tatjana
 

Beitragvon Chrysostomus » Sa 26. Apr 2003, 18:02

Stimmt - im Studium hat man - insbesondere an kleineren Unis - in der Klassischen Philologie eine durchaus freundliche Atmosphäre. Selbst in Münster mit einem sehr großen Fachbereich Latein kannte man während des Studiums im Laufe der Zeit doch die meisten Kommilitonen, (die - wenigen - Profs sowieso) und die Profs kannten häufig auch die Studenten persönlich.
In Griechisch sind die Bedingungen noch familiärer: Da hatte man u. U. Seminare mit drei Teilnehmern, die fanden dann beim Prof im Zimmer auf der Couch statt....
Chrysostomus
 

Beitragvon Felix » Sa 26. Apr 2003, 18:52

Chrysostomus hat geschrieben: Ein Buch Caesar (ein kurzes) kann man sicherlich auch mal an zwei Nachmittagen durchlesen.


Interessant. In welchem zeitl. Rahmen sollte ein Schüler deiner Meinung nach das 1. Buch übersetzen? Alleine versteht sich :)

Grüße
Felix
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Beitragvon excidium » Mo 5. Mai 2003, 14:55

Naja, schon arg, was da alles so übers Studium geschrieben wird...ich liebe Latein seit 4 Jahren innigst und ehrlich gesagt...bei der Matura-Klausur war ich nach 1h komplett fertig, und das auch nur, weil ich ur viel im WB nachgeschaut hab, weil ich ja nichts falsch machen wollt...also liegt an der Arbeit nicht unbedingt das Problem...außerdem glaub ich, dass jeder, der Klassische Philologie- Latein studieren will, schon weiß, dass man sich da nicht einfach zurücklehnt und alles auf sich einprasseln lässt, sondern auch was dafür tun muss, und nachdem die Leidenschaft und das Interesse für jedes Studium ausschlaggebend sind, ist es vermutlich genau das, was man sich wünscht *g*.
Ich wollte eigentlich nur fragen, da ich nächstes Jahr an der Uni Wien studieren werde, mit wievielen Leuten man dabei in einem Hörsaal rechnen kann...
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