Gladius-Scharf,oder nicht?Was sagen die Quellen?

Fragen zur Geschichte und Archäologie des griechisch-römischen Altertums

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Gladius-Scharf,oder nicht?Was sagen die Quellen?

Beitragvon Iulus » Fr 3. Nov 2006, 21:36

Salvete!
In diesem Forum http://www.erste-legion.de/forum/viewtopic.php?t=830
wurde neulich die Frage gestellt,ob ein römisches Schwert scharf war,oder nicht.Ich persönlich habe mir diese Frage auch schon gestellt,jedoch nie eine befriedigende Antwort darauf erhalten.Jedenfalls sind moderne Schaukampfschwerter stets nicht angeschliffen,da sich beim Schleifen eines Schwertes dessen Schlagkante schmälert,so dass das Schwert bei Hieben leichter bricht.Nun muss man allerdings bedenken,dass der Gladius ja eigentlich eine Stichwaffe war,womit es eigentlich egal gewesen wäre,ob das Schwert nun scharf ist,oder nicht.Man hätte es also genau genommen zu Gunsten der Stabilität des Schwertes unterlassen sollen,das Schwert zu schärfen.Allerdings meine ich mich noch vage an eine Textstelle bei Polybius erinnern zu können,in der dieser berichtet,die Legionäre hätten mit dem Schwert die Gliedmaßen der Feinde "abgetrennt",was mit einem scharfen Schwert allerdings nur schwer zu bewerkstelligen gewesen wäre.Sind euch vielleicht weitere Texte zum Einsatz des Gladius bekannt?Vielleicht bei Flavius Josephus?Ich werde mal versuchen herauszufinden,was genau bei Polybius steht... :) :?
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Beitragvon consus » Fr 3. Nov 2006, 23:30

Salvete, amici!
Ein paar Zitate zum gladius, die zur Klärung der Frage beitragen:

(1) Aus dem Artikel GLADIUS des Kleinen Pauly, Band 2, Sp. 804, betr. den gladius Hispaniensis, der Ende des 3. Jh. v. Chr. im römischen Heer eingeführt wurde:

Der zweischneidige (Diod. 5, 33, 3), spitzige (Cass. Dio 38, 49, 4), nicht wesentlich über 50 cm lange, rund 1500 g schwere (BJ 111, 15) und zum Hieb und Stich geeignete g. [gladius], dessen Schneiden fast nahezu parallel zueinander verlaufen, ...


(2) Bei Seneca (epist. mor. 76, 14) lesen wir:

gladium bonum dices non cui auratus est balteus nec cuius vagina gemmis distinguitur, sed cui et ad secandum subtilis acies est et mucro munimentum omne rupturus


d.h. gut wirst du nicht ein Schwert nennen, das ein vergoldetes Wehrgehenk hat und dessen Scheide mit Gemmen geschmückt ist, sondern nur ein solches, das sowohl eine zum Schneiden feine Schärfe als auch eine Spitze hat, die jeden Panzer durchbrechen kann



(3) Interessant die Ausbildung der Rekruten im Umgang mit dem gladius (Vegetius, epitoma rei militaris, Buch I, Kap. 12):

Originaltext:
Praeterea non caesim sed punctim ferire discebant. Nam caesim pugnantes non solum facile uicere sed etiam derisere Romani. Caesa enim, quouis impetu ueniat, non frequenter interficit, cum et armis uitalia defendantur et ossibus; at contra puncta duas uncias adacta mortalis est; necesse est enim, ut uitalia penetret quicquid inmergitur. Deinde, dum caesa infertur, brachium dextrum latusque nudatur; puncta autem tecto corpore infertur et aduersarium sauciat, antequam uideat. Ideoque ad dimicandum hoc praecipue genere usos constat esse Romanos; dupli autem ponderis illa cratis et claua ideo dabantur, ut, cum uera et leuiora tiro arma sumpsisset, uelut grauiore pondere liberatus securior alacriorque pugnaret.


Übersetzung (Clarke):

NOT TO CUT, BUT TO THRUST WITH THE SWORD
They were likewise taught not to cut but to thrust with their swords. For the Romans not only made a jest of those who fought with the edge of that weapon, but always found them an easy conquest. A stroke with the edges, though made with ever so much force, seldom kills, as the vital parts of the body are defended both by the bones and armor. On the contrary, a stab, though it penetrates but two inches, is generally fatal. Besides in the attitude of striking, it is impossible to avoid exposing the right arm and side; but on the other hand, the body is covered while a thrust is given, and the adversary receives the point before he sees the sword. This was the method of fighting principally used by the Romans, and their reason for exercising recruits with arms of such a weight at first was, that when they came to carry the common ones so much lighter, the greater difference might enable them to act with greater security and alacrity in time of action.


Valete.

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Beitragvon Iulus » Sa 4. Nov 2006, 11:53

Hmmm...während Seneca eindeutig von einem scharfen Schwert ("sed cui et ad secandum subtilis acies est et...") spricht,sagt Vegetius:"Praeterea non caesim sed punctim ferire discebant."
Was eher ein nicht angeschärftes Shwert vermuten lässt.Besonders da er ja auch erwähnt:"Caesa enim, quouis impetu ueniat, non frequenter interficit...".
Auch,dass er dabei von "quovis Impetu" spricht deutet doch darauf hin,dass die Schwerter auch bei einem starken Hieb nicht brachen,was ja ebenfalls für nicht angeschliffene Schwerter spricht.
Ich bin unentschlossen...Seneca?Oder doch Vegetius?Zudem ist die Textstelle bei Vegetius ja auch kein sicherer Beleg für nicht geschärfte Schwerter...Außerdem sollte man nicht vergessen,dass Vegetius erst in der Spätantike schrieb,einer Zeit also in dem der Gladius längst durch die Spatha verdrängt war,ein Schwert also,das durchaus als Hiebwaffe bezeichnet werden kann.Ich tendiere also im Moment eher zu Seneca.
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Hauen und Stechen

Beitragvon Marcus Hamburgensis » Di 7. Nov 2006, 00:01

Der Grund, dass man den Rekruten beibrachte mit dem Gladius zu stossen, anstatt zu hauen, dürfte in dem vergleichweise großen Schild (scutum) und der engen Schlachtreihe gelegen haben. Sowohl beim Zuschlagen als auch beim Ausholen stört der große und schwere Schild. Ausholbewegungen brauchen mehr Platz als schnelle Stöße mit Ausfallschritt, die am Schild vorbei oder unter dem erhobenen scutum geführt werden. Beim Ausholen zum Schlag hätte der Legionär somit das Gleichgewicht verlieren, die Schlachtreihe in Unordnung bringen oder sogar seine Mitkämpfer verletzen können.

Wenn der Schild weg war und die Schlachtreihe aufgelöst, konnte es sich dagegen als notwendig erweisen mit dem Gladius auch zuzuschlagen, daher glaube ich, dass die Schneiden für diesen Fall scharf gehalten wurden.

"... technische Erklärungen, gegen besseres Wissen obendrein, die wenige verstanden und von denen niemand überzeugt war, die aber alle ... trösteten, denn es war ihnen geglückt den Krieg in ein sauberes Diagramm von Kraftlinien zu verwandeln, während er doch in Wirklichkeit in äußerst konkretes, schmutziges Chaos ist"
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Beitragvon Iulus » Di 7. Nov 2006, 15:54

Wenn die Legionäre in einer solchen Situation mit dem Schwert Hiebe ausführten (wovon ich eigentlich auch ausgehe) hätte das Schwert aber nicht scharf sein dürfen!
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Beitragvon romane » Di 7. Nov 2006, 16:57

was muss man unter einer Schärfe verstehen?

Ein gladius für Hieb und Stoß muss eine solche Schärfe besitzen, dass es den Gegener verletzen kann.

Schaut man sich die Kampfesart in kleinen Gruppen genauer an, stehen mehrere Mann in 1. Reihe direkt nebeneinander. Der Gegener konnte also nur zwischen 2 Männern hindurch; das stellte ja auch kein Problem dar, da die Hintermänner den Schild etwas offener tragend diese von der Seite durch Stich und Stoß verletzen... konnten.

Ich meine, dass man das secare nicht zu wörtl. nehmen sollte.
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Beitragvon Gabel » Di 7. Nov 2006, 17:10

in der bibel (die freilich nicht in erste linie als waffenhandbuch gedacht ist) ist an einer stelle (Off 1,16) die rede von einem "gladius...utraque parte acutus"
can I get a 'quodquod'?
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Beitragvon Iulus » Di 7. Nov 2006, 18:02

"Acutus"?Das ist schon eindeutiger...und damit wären wir dann wieder beim guten alten Seneca!Tja,allzu scharf dürften die Schwerter aber dennoch nicht gewesen sein,da auch ein Hieb mit einem nur mäßig angeschärften Schwert übele Verletzungen verursachen kann.Ich fasse also noch einmal zusammen:

1.Bei Seneca und anscheinend auch in der Bibel ist eindeutig von einem scharfen Schwert die Rede,was bei einer Stichwaffe (die der Gladius ja auch war) möglich ist.

2.Wir erfahren aber auch (u.a. durch Bildquellen wie der Trajanssäule,und der Bemerkung Vegetius,dass ein Schwerthieb,mit welcher Kraft er auch immer ausgeführt wird,nicht dieselbe tödliche Wirkung wie ein Stich hat.),dass der Gladius auch zum Zuschlagen geeignet war.

Dies läßt nun schließen,dass das Schwert eine gewisse Schärfe gehabt haben muss (zudem auf einem Abschnitt der Marcussäule die Enthauptung germanischer Gefangener durch Socii der Römer dargestellt ist,die zu diesem Zweck ein Gladius benutzen.Der Künstler wird also eine germanische waffe (Sax?) durch eine ihm bekannte römische Waffe (Gladius) ersetzt haben.),diese jedoch nicht z.B mit der Schärfe eines Messers zu vergleichen ist.Auch die Dicke einer Schaukampfschwertschlagkante entspricht also mit 3 mm nicht der antiken Realität,da man das wohl kaum als scharf bezeichnen kann.

Einwände,Korrekturen,oder neue Vorschläge sind nicht nur willkommen,sondern sogar gewollt! :-D
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Beitragvon Marcus Hamburgensis » Di 7. Nov 2006, 19:05

Iulus hat geschrieben:Wenn die Legionäre in einer solchen Situation mit dem Schwert Hiebe ausführten (wovon ich eigentlich auch ausgehe) hätte das Schwert aber nicht scharf sein dürfen!


Hallo Iulus,
das verstehe ich jetzt nicht ganz. Warum hätte das Schwert nicht scharf sein dürfen, wenn die Legionäre im Kampfgetümmel Hiebe austeilten?

Gruß, Marcus
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Beitragvon Iulus » Di 7. Nov 2006, 21:08

Damit es,wenn es auf Eisen trifft (Rüstungen,Schwerter,Schildbuckel...) nicht gleich bricht!Das Problem hatte ich schon bei meinem Eröffnungspost angesprochen...Schlagkante...
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Beitragvon romane » Di 7. Nov 2006, 21:15

Die Schärfe ist doch nicht unbedingt das Kriterium für das Brechen - ein scharfe Axt bricht doch auch nicht
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Beitragvon Iulus » Di 7. Nov 2006, 21:44

Die Beschaffenheit der Schlagkante ist für das Brechen verantwortlich.

Außerdem:Eine Axt wird in der Regel (zumindest heutzutage) nicht dazu verwendet,um auf Metallgegenstände einzuschlagen.Eher zum Holzhacken...
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Beitragvon romane » Di 7. Nov 2006, 21:45

... und wenn du damit aus Versehen auf Eisen schlägst - bricht sie dann?
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Beitragvon Iulus » Di 7. Nov 2006, 23:28

Ich habs noch nicht ausprobiert... :-D Aber eine Axt ist nun mal kein Schwert!Der Körper des Axtkopfes ist in seiner Gesamtheit weitaus dicker (und somit auch massiver) als die Klinge eines Schwertes!Er würde demzufolge natürlich nicht sofort brechen,wenn man damit auf Eisen schlägt.Aber du wirst feststellen,dass die scharfe Kante der Axt dabei stumpfer wird,und eventuell sogar Haarrisse bekommt.Eine Schwertklinge ist aber,wie schon gesagt,viel dünner als ein Axtkopf,und würde somit auch leichter Risse bekommen.Immerhin schlug man im Kampf nicht bloß "aus Versehen" auf Eisen (das Schwert war also auch einer größeren Belastung ausgesetzt).Diese Risse hätten sich jedoch im Kampf als fatal erweisen können.Das Schwert wäre also über kurz oder lang gebrochen und damit kampfuntauglich gewesen.
Mit solchen "Vergleichen" wäre ich also vorsichtig.Man könnte höchstens ein mittelalterliches Richtschwert zum Vergleich heranziehen,denn diese mussten schließlich (davon gehe ich jetzt mal aus,denn immerhin trägt ein im Emder Stadtmuseum aufbewahrtes Richtschwert die Gravur "Cervices Malorum scindo") scharf sein,um damit Enthauptungen durchführen zu können.Allerdings wurden die auch nicht in der Schlacht eingesetzt...
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Beitragvon consus » Fr 10. Nov 2006, 11:05

Salvete, amici!

Noch ein kleiner Zufallsfund zum Thema Schärfe des Schwertes:

Bekannt ist die Legende, dass der hl. Martin (11. Nov.!) an einem Stadttor von Amiens einem frierenden Bettler einen Teil seines Soldatenmantels überreichte. Bei Sulpicius Severus lesen wir in der „Vita S. Martini episcopi et confessoris“ folgende Worte (c. 3, 2):

arrepto itaque ferro, quo accinctus erat, mediam dividit partemque eius pauperi tribuit, reliqua rursus induitur.


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