Amulius

Fragen zur Geschichte und Archäologie des griechisch-römischen Altertums

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Amulius

Beitragvon Lena98 » Fr 6. Apr 2007, 22:24

Hallo,
kann mir jemand folgende Frage beantworten:
:?
Hat Romulus Amulius aus Rache erschlagen???

Danke


MfG
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Beitragvon professorchen » Sa 7. Apr 2007, 10:21

Salve,
ich denke schon, dass Romulus Amulius aus Rache erschlagen hat. Ich meine, wenn Amulius ihn [Romulus] und Remus auf dem Tiber in einem Korb ausgesetzt hat, dann ist ja eigentlich klar, dass Amulius, nur weil er der König sein wollte, in irgendeiner Hinsicht dafür bezahlen musste.

Es grüßt,
das Professorchen
"Mehr freut das, was man zu einem höheren Preis kauft." Juvenal
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Beitragvon Lena98 » Sa 7. Apr 2007, 16:59

danke habe ich auch feglaubt war mir aber nicht so sicher!!!! :)
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Beitragvon Apollodorus » So 8. Apr 2007, 15:52

Unkraut vergeht nicht, zeigen die vergangenen Tage im Forum. Dennoch eine kleine Fußnote im Schnellschuss:

"manusque susum ad caelum sustulit suas rex
Amulius divisque gratulatur."
(Bellum Poenicum fr. 21-22)

"Rex Veiens regem salutat Viba Albanum Amulium
comiter [v.l. comitem] senem sapientem: ‚Contra redhostis?’
‚Min salust?’"
(Romulus sive Lupus fr. 2-3)

[Text nach E.H. Warmington, Remains of Old Latin II (The Loeb Classical Library), Harvard/London 1936 (Nachdruck 2001). Die zahlreichen Textunsicherheiten lese man z.B. bei Morel/Büchner/Blänsdorf, Fragmenta poetarum Latinorum, Stuttgart-Leipzig 1995 nach]

Eine Antwort auf eine an den "Metamorphosen" des Mythos gemessen derart genaue Frage kann, das möchte ich mit diesen Stellen aus Naevius sagen, nur von der jeweils herangezogenen Überlieferung abhängen.

Die oben vorgeführte weicht beträchtlich von der ‚üblichen’ ab, die Amulius keineswegs als weisen Greis darstellt: Ausführlich handelt Liv. 1,3ff.*(1), knapp Cic. rep. 2,2 ("Amuliumque regem interemisse fertur [sc. Romulus]"), außerdem Ov. fast. 2,381ff. zu den Lupercalia, erwähnt auch 3,49ff.; 4,51; id. met. 14,771.
Die fabula wird auch in den spätantiken Schriften "Origo gentis Romanae" §§19ff. und "De viris illustribus" §§1ff. [beide von unbekanntem Autor, in den Hss. fälschlich dem Aurelius Victor zugeschrieben], eher geringer Quellenwert, und in der Epitome des Iustinus (3./4. Jh.?) aus den Historiae Philippicae des Pompeius Trogus [Historiograph aus augusteischer Zeit, dessen 44 Bücher umfassendes Werk uns nur in eben dieser Epitome erhalten ist] 43,2 erzählt.
Kurze Erwähnung der Aussetzung der Zwillingssöhne bei dem byzantinischen Chronisten Johannes Malalas (6. Jh.) 7,7, in: Die Frühen Römischen Historiker, Bd. 2, Darmstadt ²2005.
Q. Fabius Pictor – der erste römische Historiograph, aus der Zeit des 2. Punischen Krieges, der zu propagandistischen Zwecken und wohl im Zuge des noch fehlenden Schliffs des (prosaischen) Lateins Griechisch schrieb – berichtet von einer Überlieferung, nach der Amulius selbst die Rhea vergewaltigt haben soll ("hypò toû Amoulíou diapartheneutheîsan, en hóplois epiphanéntos autê kaì synarpásantos"), vgl. F7a in: Die Frühen Römischen Historiker, Bd. 1. Die Fragmente des Fabius Pictor zum Mythos, zum Tod des Amulius besonders ausführlich 7b (überliefert bei Dion. Hal. ant. 1,79,4-83,3), sind ebenfalls lesenswert.

Den Interessierten darf ich auf Horazens 2. Gedicht des 1. Buches verweisen, bes. auf die umstrittenen Verse 13ff. [Ich gebe den Text nach St. Borzsák, Leipzig 1984], die möglicherweise(!) einen weiteren Aspekt für Rache an Amulius bieten:

"vidimus flavom Tiberim retortis
litore Etrusco violenter undis
ire deiectum monumenta regis
templaque Vestae.

Iliae dum se nimium querenti
iactat ultorem
. vagus et sinistra
labitur ripa Iove non probante u-
xorius amnis."

Nisbet, R.G.M. / Hubbard, M., A Commentary on Horace Odes Book I, Oxford 1970, ad loc.: "what is Ilia complaining about so excessively?".
Nach der Geburt von Romulus und Remus warf Amulius die Rhea Silvia in den Tiber (vgl. deren Traum bei Enn. ann. 34-50Sk=35-51V²; nach anderen wurde sie eingekerkert), wurde jedoch vom Flussgott (hier Tiber – woher Horaz das hat, wissen wir nicht – i.d.R. Anio, wie uns Porphyrio [3. Jh.] zur Stelle berichtet) gerettet und von ihm zur Frau genommen (vgl. Serv. Verg. Aen. 1,237). Das könnte durchaus ein gewichtiger Grund sein: Die Trauer, das Wehklagen der Rhea Silvia rächt der Tiber, indem er den Tempel der Vesta überschwemmt, deren Gelübde Rhea – zu den Versionen über die Väter siehe die Stellen oben, i.d.R. lässt man sie von Mars geschwängert werden, Iustinus: "pueros incertum stupro an ex Marte conceptos", was sich gut mit der Wölfin (der Wolf ist ein dem Mars heiliges Tier) verträgt – gebrochen hat.

Manche Kommentatoren, darunter schon Porphyrio, neuerdings wieder Syndikus (Die Lyrik des Horaz, Darmstadt 2001) 47, sehen eher eine Rache an der Ermordung Caesars intendiert. Nisbet/Hubbard, die die Assoziation für verfehlt halten, stoßen sich etwa an nimium – "would be intolerably offensive to Caesar’s avenger and heir" –, ein Problem, das für Syndikus entfällt, der es (m.E. weniger wahrscheinlich) als Attribut zu ultorem zieht.
Unabhängig von der Frage, ob man an Rache für Caesars Ermordung zu denken hat – was ich durchaus für einen guten Ansatz halte, ebenso wie den Gedanke an die Rache für die oben genannte Schmach: man sollte Horaz nicht so festlegen wollen, wo er es nicht tut – sehe ich in dem nimium nicht nur das "allzu sehr", sondern auch das "sehr"; in der spätantiken Literatur wird es überhaupt gleichbedeutend mit valde*(2) (man vergleiche etwa die Bibelübersetzung des Hieronymus, dazu Smolak, K., Hieronymus als Übersetzer, in: Athlon (FS für Hans-Joachim Glücklich), Speyer 2005, 123-132 [= Janus 27, 25-32]), und diese (ein wenig umgangssprachliche) Bedeutung lässt sich schon bei Plautus und sogar den Klassikern nachweisen (z.B. Cic. Att. 9,7,6; Verg. georg. 2,458).
Syndikus 46 sieht richtig, dass für Horaz die Reihe der Könige von Alba Longa noch nicht existiert, die zur Schließung der Lücke zwischen Troja bzw. Aeneas 1184 und dem fiktiven Gründungsdatum Roms rund um 753 kreiert wurde. Damit - Rhea Silvia als Tochter des Aeneas, so bei Ennius und Naevius (vgl. die oben genannte Serviusstelle und ibid. 6,777 sowie Eratosth. FGrH 241 F 45) – liegt eine direkte Abstammung von der Venus näher, die etwa von Anchises & Venus > Aeneas > [Iulus /] Rhea Silvia > Romulus glückt, hier jedoch schwierig wird: "there is no suggestion that Caesar was directly descended from Ilia (Romulus died childless)" (Nisbet/Hubbard ad loc.). Wie dem auch sei propagierte Caesar die Abstammung seiner gens von Venus (im Zusammenhang mit Ascanius/Iulus) gerne, man denke an die Errichtung des Tempels der Venus Genetrix (~ Erycina – Horaz besingt diese übrigens in unserem Gedicht) und an die laudatio auf seine Tante bei Suet. Iul. 6.
Eine Verknüpfung zum Vestatempel für Caesar ist freilich durch dessen Amt als pontifex maximus gegeben; die Regia, die in monumenta regis angedeutet wird, ist dessen Amtshaus (ebendort wurde Caesars Körper nach App. civ. 2,146 eingeäschert).
Dass man in Rheas Klage an Caesar denken kann, legt auch der Adoneus v. 44 "Caesaris ultor" nahe (was keineswegs den Gedanken an Amulius ausschließen muss, Horaz liebt das Amphibolische!).

Trefflich E. A. Schmidt (Zeit und Form – Dichtungen des Horaz, Heidelberg 2002), 160f.:
"Der Nerv der spezifisch römischen Theologie des inneren Friedens, die Horaz in c.1,2 entwickelt, ist in meinen Augen: 1. die zentrale Rolle des römischen Herrschergottes Jupiter als des strafenden, weisenden und Sühnung fordernden Gottes, in dessen Händen Roms Geschick ruht, 2. die Vermittlung von Urschuld und Gegenwartsfrevel im Prodigium, in dem offenbar das komplizierte Mythologem von Ilias Schuld und Strafe, Klage und Rache den geschichtsmächtigen Archetyp zu Julius Caesars Ermordung und dem zwar geschichtlich notwendigen, aber in seinem Unmaß Roms Existenz bedrohenden Bürgerkrieg, der Rächung Caesars bildet, und 3. der Zusammenhang von Bürgerkrieg und Sühnetat des inneren Friedens und auswärtigen Krieges in der Identität der beteiligten Menschen und göttliche Kräfte, die als Voraussetzung notwendiger Verwandlung erscheint."*(3)

Ich hoffe zumindest, die Problematik solcher Fragen zum Mythos als etwas keineswegs Statischem veranschaulicht zu haben, wenn jemand näheres Interesse an der Lektüre und Beschäftigung mit den genannten Quellen oder jedenfalls an Horaz bekommen hat, hätte dieser Beitrag sein Ziel erreicht.


*(1) Rezipiert wurde die Liviusstelle übrigens u.a. von Voltaire, Amulius et Numitor (fragmentarisch erhaltenes, frühes Drama).

*(2) Ich denke auch an Augustins enarr. in psalmos 118: "Nimis dicitur, quicquid plus fuerit quam oportet. Sed aliquando Latina lingua hoc verbo sic abutitur, ut nimis pro eo, quod est valde, et positum inveniamus in litteris sacris et ponamus in sermonibus nostris."

*(3) Caesars Ermordung, der Wiederausbruch der Bürgerkriege, die Rolle des Octavian, dabei die Urschuld – sacer cruor – der Enkel des Romulus, das ist ein anderes Thema, zentral für Horaz. Bei allem Respekt vor den Dutzenden dazu geleisteten Arbeiten – ich meine im Besonderen die 7. und 16. Epode – meine ich noch Klärungs- oder zumindest Deutungsbedarf in manchem zu sehen; das zu besprechen ist hier nicht der Raum.
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Beitragvon Cellus » So 8. Apr 2007, 16:23

Apollodorus hat geschrieben:Dennoch eine kleine Fußnote im Schnellschuss:


:D
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