Schwule Griechen

Fragen zur Geschichte und Archäologie des griechisch-römischen Altertums

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Schwule Griechen

Beitragvon Eteokles76 » Sa 4. Aug 2007, 20:56

Schon mehrfach habe ich nun in Büchern gelesen, dass die Griechen meistens (jüngere) Männer als Liebhaber hatten. So langsam frag ich mich, wieso das ausgerechnet bei den Griechen kam. War das damals besonders angesehen wenn man sich sowas erlauben konnte? Ich meine, man kann sich ja genausogut mit einer hübschen jungen Frau schmücken, warum muss es ein Mann sein? Stand man damals allgemein eher auf Männer als auf Frauen oder war man damals auch nicht schwuler als heute und es wird vielleicht nur ständig thematisiert?

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Beitragvon nighean_neonach » So 5. Aug 2007, 20:38

Die Quote an tatsächlich homosexuellen Menschen wird in jeder Gesellschaft ungefähr gleich sein, aber je nachdem, wie die öffentliche Meinung zu dem Thema aussieht, werden sich mehr oder weniger Menschen entweder offen dazu bekennen oder die Sache verheimlichen oder andernfalls sogar damit kokettieren. Im antiken Griechenland war es offensichtlich in gewissen Kreisen "schick", erotische Zuneigung unter Männern zu zeigen, ich denke auch, dass solche Beziehungen viel mit gesellschaftlichem Status zu tun hatten.
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Beitragvon consus » Di 7. Aug 2007, 22:39

Servus, Eteokles!
Leseempfehlung zum (nicht gerade angenehmen) Thema Päderastie u. a.: Der kleine Pauly, Band 4, Nachträge, Sp. 1583f: kurzer Beitrag mit vielen Quellenangaben aus der antiken Literatur (lat. Lit.: bes. Catull, Martial, Juvenal).
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Beitragvon Apollonios » Do 9. Aug 2007, 00:20

Sicher hat die übergroße Bedeutung von schwulen Liebschaften auch damit zu tun, daß Frauen eher als notwendiges Übel gesehen wurden. Daß Frauen unter Umständen auch auf intellektueller Ebene Partnerinnen sein können, wurde nicht angenommen. (Es hat sich ja bis heute nicht überall herumgesprochen.)
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Beitragvon consus » Do 9. Aug 2007, 09:45

Daß Frauen unter Umständen auch auf intellektueller Ebene Partnerinnen sein können, wurde nicht angenommen.


Das kann man so nicht sagen, optime Apolloni, o Musa Berolinensis eruditissima. Denn es gab im Altertum die sog. εταιραι, Hetären, Gefährtinnen, die von den Männern nicht nur wegen ihrer erotischen Ausstrahlung, sondern auch und gerade wegen ihrer künstlerischen und literarischen Bildung geschätzt wurden. Man konnte mit ihnen in der Öffentlichkeit auftreten. Die griechischen Ehefrauen mussten sich allein um die Hauswirtschaft kümmern, waren ans Haus gebunden und in der Regel bildungsfern. Sehr bekannt ist die Hetäre Aspasia, die Geliebte des Perikles (nomen omen: ασπασιος ~ erwünscht, willkommen; Verbum ασπαζομαι zärtlich sein). Römische Hetären waren u. a. die Lesbia Catulls und Cynthia des Properz sowie eine gewisse Sempronia, von der wir uns dank Sallust ein gutes Bild machen können. Im 25. Kapitel der Coniuratio Catilinae lesen wir über diese vielseitig gebildete Halbweltdame:
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Sed in iis erat Sempronia, quae multa saepe virilis audaciae facinora conmiserat. Haec mulier genere atque forma, praeterea viro atque liberis satis fortunata fuit; litteris Graecis et Latinis docta, psallere et saltare elegantius quam necesse est probae, multa alia, quae instrumenta luxuriae sunt. Sed ei cariora semper omnia quam decus atque pudicitia fuit; pecuniae an famae minus parceret, haud facile discerneres; lubido sic accensa, ut saepius peteret viros quam peteretur. Sed ea saepe antehac fidem prodiderat, creditum abiuraverat, caedis conscia fuerat; luxuria atque inopia praeceps abierat. Verum ingenium eius haud absurdum: posse versus facere, iocum movere, sermone uti vel modesto vel molli vel procaci; prorsus multae facetiae multusque lepos inerat.


____________________
Lektürehinweis:
Lukianos von Samosata, Εταιρικοι διαλογοι, Hetärengespräche (http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1706&kapitel=1#gb_found). Dort fehlt allerdings die Übersetzung des 5. Dialogs (zwischen Klonarion und Leaina), den Wieland aus Gründen der Wohlanständigkeit meinte nicht wiedergeben zu dürfen.
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Beitragvon Apollonios » Do 9. Aug 2007, 18:42

Ja, die Hetären - natürlich, die gab es. Allerdings (Consus doctissimus wird mir meinen Widerspruchsgeist verzeihen) spricht gerade eine solche Beschreibung implizit aus, daß in einer ganz normalen Ehe nicht erwartet wurde, in der Frau auch eine Gesprächspartnerin zu haben - Bildung bei Frauen hatte so von vornherein etwas Verruchtes.
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Beitragvon consus » Do 9. Aug 2007, 18:59

Den Geist des Widerspruchs, Apolloni optime, weiß ich zu schätzen; denn er treibt die Dinge dialektisch voran... Ich denke, wir sollten, was den Status der (Ehe-)Frauen angeht, auch den Unterschied zwischen Athen und Rom beachten. Die Römerin war wohl insgesamt emanzipierter. Doch steuern wir damit auf ein neues Thema zu.
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Beitragvon Eteokles76 » Do 9. Aug 2007, 20:57

Ja, interessanter Ansatz. Von den Römerinnen hab ich nämlich im Gegenzug gelesen, dass sie sich männliche Sklaven zum Vergnügen besorgt haben. Sicher nur die reichen Frauen, aber ich finde, diese völlig gegensätzlichen Lebensweisen zweier doch so verbundener Kulturen doch erstaunlich.

(Mein Gott, in was bin ich da reingeraten mit meinem Thema! :oops: )

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Beitragvon Cellus » Sa 11. Aug 2007, 15:00

Der Aspekt der Päderastie spielt dabei, wie bereits gesagt, eine nicht geringe Rolle. Ich habe mal gelesen, dass es auch in Griechenland nicht gerne gesehen wurde, wenn zwei ältere bzw. erwachsene Männer homosexuelle Kontakte pflegten. Gesellschaftlich akzeptabel war es wohl nur im Zusammenhang mit der Päderastie, die aber von der heutigen Form zu unterscheiden ist. Der Jüngling (Eromenos) stand zum älteren Erasten nicht nur in einem sexuellen, sondern vor allem in einem erzieherischen Verhältnis, was die sexuelle Komponente jedoch nicht ausschloss. "Erlaubt" war allerdings nur Schenkelverkehr; Penetration war unschicklich. Nach Erreichung des Ephebenalters (mit 20) durfte das Verhältnis nicht mehr sexueller Natur sein. Soweit die gesellschaftliche Norm in Athen (!). Realiter wird man die Dinge wohl freizüger gehandhabt haben, was hinsichtlich der Knabenliebe nach unseren heutigen Werten bedenklich ist.*

Ich beziehe mich dabei auf den Austellungskatalog, Die Griechische Klassik - Idee oder Wirklichkeit (Berlin 2002), 273-74
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Beitragvon Latein-Fan » Sa 11. Aug 2007, 16:19

Ich empfehle in die Welten des griechischen Romanes abzutauchen (Achilleus Tatios) - da bekommt man sogar die Vorzüge einer Damenliebschaft ausführlichst geschildert [Lukian, Erotes] (weil zwei Möglichkeiten vorhanden :D , während Männerliebe doch recht einseitig gesehen wurde), allderdings auch die Vorzüge derselben (hartes Aneinanderstemmen der Körper, nicht zu weiblich, duftender, frischer Männerschweiß ist angenehmer als weibl. Parfum etc.) :lol:

Viel Spaß bei der Lektüre!

:book:
Multo maxumum bonum patriae, civibus, tibi, liberis, postremo humanae genti pepereris, si studium pecuniae aut sustuleris aut, quoad res feret, minueris. (Sallust in seinem 2. Brief)
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Beitragvon consus » Sa 11. Aug 2007, 17:02

Ja, amici carissimi, da weist Latein-Fan in der Tat auf eine interessante Stelle in der griechischen Literatur hin: Achilles Tatius 2, 37, 6 – 38, 5. Dieser Abschnitt schien dem Herausgeber und Übersetzer des Textes in der berühmten zweisprachigen Loeb Classical Library, S. Gaselee, so heikel, dass er ihn dem gebildeten Publikum nur in lateinischer (!) Übersetzung meinte zumuten zu dürfen.

Noch etwas: Lukians 5. εταιρικος διαλογος zwischen Klonarion und Leaina, der von Wieland (wie schon oben erwähnt) wegen vermeintlicher Anstößigkeit nicht übersetzt worden ist, wurde von Hanns Floercke 1911 ins Deutsche übertragen. Diese Übersetzung findet sich in folgender Lukian-Ausgabe: Lukian, Werke in drei Bänden (aus dem Griechischen übersetzt von C. M. Wieland), hg. von J. Werner und H. Greiner-Mai, 2. Aufl., Berlin / Weimar 1981, Band II, S. 491ff.
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Beitragvon Eteokles76 » Sa 11. Aug 2007, 23:21

Was ihr alles wisst - wirklich erstaunlich :shock:
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