Atrium als Lichthof?

Fragen zur Geschichte und Archäologie des griechisch-römischen Altertums

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Atrium als Lichthof?

Beitragvon Laptop » Do 5. Mai 2011, 16:12

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Eine Sonderform des Innenhofs ist der Lichthof, der offen oder mit Glas überdacht ist und zur Belichtung der umliegenden Räume dient. (Quelle: Wik., Hof)
Kann es sein, daß der Zweck des Atriums ebender war Licht in die anliegenden Räume zu lassen, so daß man gutes Licht hatte und zumindest bei Tage keine Lampen bemühen mußte? Lampen dürften teuer und umständliche gewesen sein, und vor allem: haben gerußt (d. h. stinkend, gesundheitsgefährdend und schwärzend).
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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon CP » So 8. Mai 2011, 11:57

Salve,

das Atrium hat (im Gegensatz zum Peristyl, das man tatsächlich als Lichthof bezeichnen kann) nur eine sehr kleine Dachöffnung. Sehr viel Licht fällt also nicht ins Gebäude; bestenfalls träfe der Begriff Lichtschacht zu. Es wurde als Feuerstätte benutzt, einen Rauchabzug besitzt es ja, außerdem für gewöhnlich ein Impluvium zum Sammeln von Regenwasser.
Erst in der Kaiserzeit wurden prächtigere Atrien errichtet - die "Nutzform" wurde also zur "Zierform".

Der Wikipediabeitrag s. v. ist übrigens durchaus brauchbar. Schau auch mal hier:

http://www.kzu.ch/fach/as/material/kg_p ... /dom00.htm

Das moderne Atrium Haus, wie es vor allem in den 1960er Jahren in den USA aber auch bei uns in Europa in Mode war, besitzt im strengen Sinne gar kein Atrium. Es handelt sich - cum grano salis - eher um ein Peristyl ohne Säulen und Peristasis. :wink: Also benutzen wir besser den Begriff Innenhof - leider hört sich dieser nicht so gut an, man assoziiert dann gerne "Hinterhof" - und so was läßt sich auch Nichtberlinern nur schlecht verkaufen.

Die Ableitung von "acer" wurde uns in der Baugeschichtsvorlesung als sicher dargestellt. Ob das stimmt, vermag ich leider nicht zu beurteilen. Bin kein Philolog'. :?

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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon CP » So 8. Mai 2011, 12:31

Muß natürlich "ater" heißen, nicht "acer" - wenngleich Rauch natürlich auch scharf in den Augen brennt.

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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon Laptop » So 8. Mai 2011, 14:22

Salve CP, schöner Beitrag.

Verstehe ich das richtig, und dort, wo das com/impluvium stand, stand früher eine Feuerstelle? War der ursprüngliche Zweck dieses Raumes mit seiner Dachöffnung wirklich der, daß eine Feuerstelle betrieben werden und Rauch abziehen konnte?

Gottsched (Anfang des 18. Jhd) übersetzt Atrium noch mit „Saal“. U.a. auch daraus kann man entnehmen, daß das Atrium eher ein (geschlossener) Raum war als ein Hof, so wie ein Saal eher Raum ist als Hof. Unter diesem Aspekt sehe ich jetzt die Bez. „Hof“ in jeder Form etwas skeptisch, sei es mein urspr. vorgeschlagenes „Lichthof“, sei es „Innenhof“ (cavaedium).
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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon CP » So 8. Mai 2011, 21:08

Salvete!

Longipes hat geschrieben:Soweit ich weiß, ist der Nutzen eines Loches in der Decke als Rauchabzug gleich Null. Es muss schon ein richtiger Abzug sein - CP hat da einen erwähnt, und ich würde gern wissen, ob der separat ist oder ob damit tatsächlich die Öffnung des impluvium gemeint ist.


Gleich Null ist so ein Loch sicherlich nicht, es entsteht ja eine Kaminwirkung, die beispielsweise im arabischen Innenhofhaus, bei luxuriöserer Ausführung noch mit Verdunstungskälte lieferndem Springbrunnen versehen, für eine nicht zu unterschätzende Ventilation sorgt.

Daß der Rauch dennoch ganz schön in den Augen gebrannt haben dürfte, steht für mich ganz außer Zweifel. Aber die Germanen hofften, der Rauch würde aus dem offengelassenen oberen Teil des Giebeldreiecks unter dem First abziehen. Ich wüßte schon ein paar Fachgenossen, die ich im Rahmen der "Experimentellen Archäologie" da mal gerne für eine halbe Stunde reinschicken würde. :evil: Aber noch die zur Räucherung von Wurst und Schinken im Schwarzwaldhaus dienende "Schwarzküche" leitete bis weit ins 20. Jh. den Rauch die Decke entlang und von dort in den Dachstuhl. Mit teils verheerenden Folgen, wie sich leicht ausmalen läßt.

Wir haben meist etwas geschönte Rekonstruktionszeichnungen vor Augen! Das Impluvium war in den italischen Häusern - aber nicht mehr in denen der gehobenen Klassen der Kaiserzeit - sicher sehr primitiv, diente es doch nur der Speisung der darunter gelegen Zisterne. Die Feuerstelle befand sich nicht zentral unter dem Mittelpunkt des Atriums, sondern an deren Rand. Über separate Rauchabzüge weiß ich nichts, gehe davon aus, daß es diese nicht gab, werde mich aber dieser Tage mal kundig machen.

Was die Baufachterminologie angeht, so ist das eh eine Sache für sich: Die einzige mir bekannte Sprache mit einer halbwegs exakten Terminologie ist das Englische. In Deutschland beispielsweise wechseln die Begriffe von Region zu Region - und selbst innerhalb einer Region sind sie nicht immer einheitlich. Diese Aussage bezieht sich natürlich auf historische Bauwerke.

Was haben wir an schriftlichen Informationsquellen aus der Antike? Außer Vitruvs "De architectura libri decem" nicht viel. Einiges kann man aus Andeutungen in den Schriften anderer Autoren erschließen. Wie die einzelnen Glieder des Griechischen Tempels in der Antike tatsächlich alle hießen, wissen wir auch nicht. Hier möge mich aber bitte jemand, der auf diesem Gebiet belesener ist als ich, bei Bedarf korrigieren. :)

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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon CP » Fr 13. Mai 2011, 12:56

Salvete,

ganz kurz: Ich kam noch nicht dazu, mich weiter zu informieren. Ich habe diese Woche keinen Zugriff auf meine Bücher.

Was mir aber noch einfiel: Vitruv beschreibt verschiedene Typen von Atrien. Darunter auch ein Atrium, für das der Begriff Peristyl eigentlich angemessener wäre. Soviel aus meiner Erinnerung, die Vitruvlektüre liegt bei mir freilich schon bald ein Menschenalter zurück.

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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon CP » Mo 30. Mai 2011, 15:03

Salvete,

einen Hinweis auf Rauchabzüge habe ich immer noch nicht gefunden.

Ich halte diese Frage aber für äußerst interessant und werde weiterhin nach Abzügen Ausschau halten. Ich war als Student mehrere Jahre hintereinander an der Ausgrabung einer westkleinasiatischen Stadt beteiligt: Rauchabzüge, wie wir sie kennen, gab es dort keine zu entdecken.

Zum Thema zu empfehlen sind die Beiträge in der RE und im "Kleinen Pauly" s. v. Atrium und Peristyl; den "Neuen Pauly" boykottiere ich.

Dann natürlich Vitruv! Wobei man sich im klaren darüber sein sollte, daß dieser sehr idealisierte Darstellungen gibt, die sich mit Grabungsbefunden in aller Regel nicht bestätigen lassen.

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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon Laptop » Mo 30. Mai 2011, 15:33

Nach wie vor bleibt das grundsätzliche Problem der Lichtlosigkeit, besonders im Zentralbereich des Gebäudes. Lampen sind teuer, rußen, stinken, gesundheitlich bedenklich, man hustet, etc. Da sollte eine Dachöffnung die naheliegende Lösung sein in einer Gegend, wo man sich dadurch keine Erfrierungen holt. Ein Impluvium hat nur den Zweck das Wasser, was durch das "Dachfenster" regnet aufzufangen. Es kann nicht der urspr. Zweck des für den Bau des Dachfensters sein. Ich habe noch keinen schlüssigen Beleg dafür, daß der urspr. Zweck des Dachfensters nicht der eines Lichtfensters sei.
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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon CP » Mo 30. Mai 2011, 22:07

In der RE werden Hausmodelle geschildert, bei denen das Atrium ganz geschlossen ist. Da hat man ohne Funzel noch weniger Licht. Und üblen Qualm in der Bude! - Wenn die Modelle die damalige Realität wiedergeben, was man immerhin anzweifeln könnte...

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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon Medicus domesticus » Di 31. Mai 2011, 11:13

Beim Atrium muß man sich im Klaren sein über welches Haus und über welche Epoche man spricht. Die Küche war früher tatsächlich auch dort, aber im Wandel der Zeit hat sich diese in andere Räume verlagert. In den römischen Villen diente das Atrium als Empfangsraum und als Durchgang für das viel größere Peristyl, manchmal ausgesprochen dekoriert mit Wandmalereien und auch zum Auffangen von Regenwasser in eine Zisterne. Zur Lichtdurchflutung ist nur dieser Raum geeignet, für die angrenzenden Räume bringt das wenig, deren Eingänge auch oft mit Vorhängen geschlossen waren. Am besten sich selbst mal einen Eindruck in Pompeii machen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, insbesondere an das Atrium im Haus der silbernen Hochzeit. Öllampen zur Beleuchtung waren sehr häufig und wurden vielfach angewendet. Bei der ärmeren Bevölkerung aus Ton, bei der reicheren auch aus Bronze, da hat man in Pompeii einige gefunden.
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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon CP » Mi 8. Jun 2011, 22:06

Das Problem dürfte darin bestehen, daß wir allzusehr gewohnt sind, von unseren eigenen Wohnerfahrungen und Ansprüchen auf die früherer Epochen zu schließen. Es fiele uns vermutlich schon schwer, in der Mitte des 19. Jhs. ohne Toilette, Bad, elektrischem Licht und Zentralheizung für dauerhaft zu leben.

Auf den Berliner Hinterhof sprach ich oben absichtlich an: Die Preußische Baupolizeiordnung sah vor, daß ein Hinterhof mindestens so groß zu sein hatte, daß die Wasserpumpe der Feuerwehr im Brandfall darin gewendet werden konnte. Dieses Mindestmaß wurde oft genug nicht überschritten und diese Hinterhöfe existieren zum Teil immer noch.*

Nochmals folgende Literaturtipps zum Atrium:

RE
Kleiner Pauly

und, sehr interessant!, die entsprechenden Stellen bei Vitruv. Dieser beschreibt auch Atrien, mit denen sich hier wohl jeder anfreunden könnte, ich mich alle Mal 8) . Allerdings sollte das Baugrundstück dann gewisse Ausmaße haben - sonst sind wir wieder bestenfalls beim Lichtschacht angelangt.

Natürlich gab es Öllämpchen und auf ausnahmslos jeder Ausgrabung klassischer Architektur kommen deren Fragmente in Massen zu Tage. Aber Hand auf's Herz: Wolltet ihr mit so was lesen müssen? Das ist ja noch schlimmer als mit Energiesparlampen.


CP


*Nebenbei: Die Bauordnungen der Deutschen Bundesländer sehen nach wie vor für den Hundzwinger für einen Schäferhund eine größere Mindestgrundfläche vor als für ein Kinderzimmer. Wer mir nicht glaubt, kann gerne mal in der Bauordnung seines Bundeslandes nachschauen, die steht in jeder Stadtbibliothek.
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Re: Atrium als Lichthof?

Beitragvon Medicus domesticus » So 19. Jun 2011, 12:55

Ich habe mal ein Bild des eindrucksvollen Atriums des Hauses der silbernen Hochzeit gescannt. Immer wieder faszinierend. Es galt als Empfangshalle, Regenwasserfänger und Durchgang zum Peristyl.
Einfach aufs Bild klicken:
Bild
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