Mäuse auf der römischen Speisekarte

Fragen zur Geschichte und Archäologie des griechisch-römischen Altertums

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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Laptop » Di 17. Mai 2011, 23:09

Zythophilus hat geschrieben:Einen Hinweis, leider ziemlich ungenau, findet man hier: http://www.glirarium.org/bilch/rezept.html
"Bei Ausgrabungen in York (Nordengland) wurden anstelle der erwarteten Siebenschläfergebeine einige Knochenfragmente des Gartenschläfers (Eliomys quercinus) gefunden."


Interessant. Dann wären wir schon zumindest bei Antwort b: glis – Bilch, und das ist auch in meinen Augen glaubwürdiger, denn in der Neuzeit hat sich die Wissenschaft entwickelt man erkennt neue Merkmale und differenziert die Taxonmie weiter aus.

Es liegt in der Natur der Sache, und zwar aufgrund der Weiterentwicklung der Wissenschaft und der vermehrten Ausdifferenzierung der Taxonomie, daß unsere heutigen Arten vielfach enger definiert sind als antike Bezeichnungen. Das sieht man beim pardus (Gepard, Leopard, ...) Das sieht man beim regulus (wohl sowohl Zaunkönig als auch Goldhähnchen) und so liegt es nahe, daß dies auch beim glis der Fall ist. (Die Bilche sind übrigens eher mit den Hörnchen verwandt, was man am buschigen Schwanz sieht, als mit den Mäusen.)
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Zythophilus » Mi 18. Mai 2011, 15:44

Es ist j anicht gesagt, dass man den Gartenschläfer tatsächlich für das gleiche Tier wie den Siebenschläfer hielt. Er war eben in Gebieten, wo letzterer nicht vorkam, ein Ersatz in der Küche, sofern man die "echten" Siebenschläfer nicht importierte. Vielleicht erkannte man auch eine gewisse Verwandtschaft zw. Siebenschläfer und Haselmaus, aber ich glaube kaum, dass man sie für Vertreter derselben Art hielt.
Ansonsten pflichte ich Laptop natürlich bei, wenn er meint, dass manche Differenzierungen den Römern unbekannt waren. Dazu kommt noch, dass sich auch nur der betreffende Autor geirrt haben kann oder wir einfach nicht mehr wissen, um welches Tier es sich zu einer gewissen Zeit wirklich handelte.
Ein Beispiel möge das Wort morum sein. Maulbeere und Brombeere sehen einander wirklich sehr ähnlich, aber dass es sich nicht um dieselbe Frucht handelte, wusste ein Römer wohl schon.
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Laptop » Mi 18. Mai 2011, 17:07

Zythophilus hat geschrieben:Ein Beispiel möge das Wort morum sein. Maulbeere und Brombeere sehen einander wirklich sehr ähnlich, aber dass es sich nicht um dieselbe Frucht handelte, wusste ein Römer wohl schon.
Bei Kirsch finde ich: "Morum, i, n. Maulbeere. Hor. Morum rubi, vel sentis, Brombeere. Morum dumi, Kräuselbeere." Morum umgreift eben mehrere Arten.
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Zythophilus » Mi 18. Mai 2011, 17:56

morum ist zunächst die Frucht der morus, und dabei handelt es sich um den Maulbeerbaum. Lt. Stowasser ist die Bedeutung "Brombeere" überhaupt nur eine übertragene. Ovid verwendet das Wort bekanntlich ohne weiteren Zusatz in beiden Bedeutungen: An Brombeersträuchern hingen wohl auch im der aurea aetas keine Maulbeeren (Met. I 105), bei Pyramus und Thisbe ist es dagegen sicher ein Maulbeerbaum mit Maulbeeren(Met. IV 127), da ja auf die beiden möglichen Farben der Früchte angespielt wird.
Zuletzt geändert von Zythophilus am Mo 23. Mai 2011, 16:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Laptop » Mo 23. Mai 2011, 00:42

Zythophilus hat geschrieben:morum ist zunächst die Frucht des morus, und dabei handelt es sich um den Maulbeerbaum. Lt. Stowasser ist die Bedeutung "Brombeere" überhaupt nur eine übertragene.
Es sieht so aus, daß morum die althergebrachte Bezeichnung, und nicht nur eine vereinzelt auftretende war. In den älteren Lexica, die ich einsehen konnte, wird die Brombeere teils als morum angegeben, oder, öfter noch, als morum rubi (so bspw. bei Scheller, siehe Bild); nicht aber als morum Idaeus, was mir eine neuere Prägung erscheint, woher kommt sie eigentlich?

Bild
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Zythophilus » Mo 23. Mai 2011, 16:42

Offenbar kann auch die sehr ähnliche Himbeerstrauch rubus heißen. Was die Pflanze mit dem Ida-Gebirge zu tun hat, weiß ich auch nicht. Außerdem ist nicht einmal klar, welches der beiden Gebirge gemeint ist.
Generell gibt es gewisse Unsicherheiten bei der Bestimmung von Pflanzen und Tieren. Was kannten und unterschieden die Römer überhaupt? Was kannte der jeweilige Autor? Eine verbindliche Taxonomie ist in der Antike noch in weiter Ferne.
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Zythophilus » Mo 23. Mai 2011, 16:50

Immerhin lässt sich die Herkunft der Himbeere bzw. ihres Namens leicht klären. Nur wie heißen dann die Früchte? Vollständig wäre es morum (bzw. baca) rubi Idaei, was mir aber für den Alltag etwas umständlich erscheint.
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Laptop » Di 24. Mai 2011, 02:54

Zythophilus hat geschrieben:Immerhin lässt sich die Herkunft der Himbeere bzw. ihres Namens leicht klären. Nur wie heißen dann die Früchte? Vollständig wäre es morum (bzw. baca) rubi Idaei, was mir aber für den Alltag etwas umständlich erscheint.
Aus Interesse: inwiefern ist die Etymologie geklärt? Noch Adelung ist sich unsicher: a) Hinde = Hirschkuh, b) him = heim, oder auch c) him = hohl.

Zu rubus: kann man den wenigstens mit Bestimmtheit feststellen, daß "rubus" den Brombeer- und Himbeerstrauch zusammenfaßt, also der Römer Brombeere und Himbeere indifferent betrachteten, oder ist auch das ungewiß?

Ich sehe es ähnlich, nämlich daß eine Maulbeere schon eine ganz andere Fruchst ist, wonach man davon ausgehen sollte, daß sie sogar ein naiver Frührömer schon als distinkte Frucht erkannt (und: bezeichnet) haben sollte, weshalb die Bez. "morum rubi" etwas eigenartig anmutet.
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Zythophilus » Di 24. Mai 2011, 07:45

Bei Plinius findet sich in Buch 16 und 24 relativ viel darüber. Für ihn ist es auch kein Problem, von mora als den Früchten eines rubus zu sprechen. Wie unterschied ein nicht so botanisch gebildeter Römer? Was brachte ein Sklave mit, wenn man ihn um mora zum Markt schickte?
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Medicus domesticus » Di 24. Mai 2011, 11:32

Ganz interessant ist manchmal, wenn man in den Dialekt geht: In unserem Gebirgsdialekt (ehemaliges römisches Noricum) sagt man heute noch zu Brombeeren "Maulbeern".
Soviel zur "botanischen Exaktheit" im Volksmund.. ;-)
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Zythophilus » Di 24. Mai 2011, 12:02

Interessant wäre es herauszufinden, ob diese Parallele auch seine Ursache im lateinischen Usus hat. Dass ein Dialekt auf wissenschaftliche Taxonomie keine Rücksicht nimmt, wundert mich nicht; hier geht's den heutigen Bewohnern Noricums nicht viel anders als den Römern selber.
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Medicus domesticus » Di 24. Mai 2011, 18:29

@Zythophilus:
Ich bin manchermale überrascht, wieviel unser Dialekt noch mit Latein zu tun hat... ;-)
Relativ schnell findet man im Netz ein Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. Ob es allgemein gut ist, weiß ich nicht. Schau mal bei Morus:
http://books.google.de/books?id=yq0YhE8 ... &q&f=false
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Zythophilus » Di 24. Mai 2011, 22:12

Wenn das stimmt, dann heißen die Maulbeeren nach den Brombeeren. Ist morus tatsächlich irgendwo erwiesenermaßen als "Brombeer-" bzw. "Himbeerstrauch" belegt?
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Brakbekl » Mo 20. Jun 2011, 06:59

Laptop hat geschrieben:
Zythophilus hat geschrieben: Das sieht man beim regulus (wohl sowohl Zaunkönig als auch Goldhähnchen) und so liegt es nahe, daß dies auch beim glis der Fall ist.


Ich vermute, die Fachleute haben Zaunkönig und Goldhähnchen schon unterschieden, leben doch beide an völlig verschiedenen Orten und sind unverwechselbar. Das ornithologisch ungebildete Leute Vögel falsch bezeichnen, ist fast die Regel, es sei denn, man hat einen Ornithologen vor sich. Im Übrigen gab es damals noch keinen Linné und nur die mundartlichen Bezeichnungen, so daß eine Bezeichnung sicher von Art zu Art gewechselt hat, wie heut übrigens auch.

Um Siebenschläfer und Gartenschläfer zu unterscheiden, müßte man beide erst mal in der Hand bzw nebeneinander haben und wirklich biol. Interesse mitbringen. Obwohl es den Siebenschläfer hier gibt, und ich großes faunistisches Interesse an den Tag lege, hab ich das Glies-Tierchen noch nicht erblickt. Das das Schwarzkehlchen hier im Nordosten eingewandert ist, hab ich dagegen sofort bemerkt.
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Re: Mäuse auf der römischen Speisekarte

Beitragvon Laptop » Mo 20. Jun 2011, 07:56

Ich vermute, die Fachleute haben Zaunkönig und Goldhähnchen schon unterschieden, leben doch beide an völlig verschiedenen Orten und sind unverwechselbar.
So unverwechselbar sind sie wohl nicht, sonst würde Adelung das Goldhähnchen nicht zur Art der Zaunkönige rechnen: «Das Goldhähnchen, Oberd. Goldhähnlein, des -s, plur. ut nom. sing. der kleinste Vogel in Europa, welcher eine Art der Zaunkönige ist» Zudem leben sie nicht an unterschiedlichen Orten, da ich beide in meinem Garten sehe :)
Äußerlich sind sie schon ein wenig anders gemustert, aber bei so kleinen Vögeln, zumal die Musterung auch sehr blaß sein kann, muß man schon sehr genau hinsehen …
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