Votation.

Fragen zur Geschichte und Archäologie des griechisch-römischen Altertums

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Votation.

Beitragvon Laptop » Do 14. Nov 2013, 06:36

Salvete. Wie sah eigentlich eine Votation im Einzelnen aus? Das Landesmuseum Stuttgart schreibt «Bei der Sitte der Gelübde (vota) wurde das Prinzip do ut des besonders deutlich: Dem Gott wurde in einer misslichen Situation ein Geschenk in Aussicht gestellt, sollte er einen glücklichen Ausgang herbeiführen. Trat die Rettung ein, wurde die Gabe als ex voto dem Gott geweiht.» Heißt das ich gehe in einen Tempel, stelle der Gottheit eine Schüssel mit Münzen hin und überlasse diesen “Schatz” in einer Art Treuhandverhältnis dem dortigen Priester? Gibt es eine Art Vertrag? Gibt es eine Verpflichtung sein votum auch einzulösen? Oder findet das Gelübde und das Einlösen dessen ganz aus freien Stücken in einer Art Selbstdisziplinierung statt?
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Re: Votation.

Beitragvon Prudentius » Do 14. Nov 2013, 20:36

Da müsste man weit ausholen in röm. Religionsgeschichte, aber ich versuch es mal.

Mit deiner Münzschüssel kannst du zu Hause bleiben :-D , denn die röm. Götter sind Staatsgötter, einzelne Leute beachten sie nicht. Das war noch lange gültig, denk an "Cuius regio, eius religio" in der Zeit der Glaubenskämpfe, man konnte sich darauf verständigen, dass die Obrigkeit den Untertanen einfach verkündete, was sie für einen Glauben hatten. Erst in jüngerer Zeit setzte sich dieser Individualismus durch, dass der Einzelne selber sich religiös verortete, vgl. Menschenrecht der Religionsfreiheit.

Wie die Römer dieses "votum" verstanden, kann man wohl am besten bei Livius 5:21 lesen: Camillus belagert die Etruskerstadt Veji und gelobt den Göttern der belagerten Stadt, im Falle des Sieges ihnen in Rom eine bessere Bleibe, wertvollere Tempel zu verschaffen, er lockt also die Götter auf seine Seite, und er hatte Erfolg und hielt sein Gelübde ein.

Das "do ut des" kann man nicht in dem Sinne verstehen, dass Menschen die Götter zu irgendwas nötigen könnten. Zu bestimmen hatten nur die Götter, sie gaben den Menschen Zeichen, und diese taten gut daran, auf diese zu achten: das verstand man unter "religio".

Valete! P. :)
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Re: Votation.

Beitragvon Laptop » Do 14. Nov 2013, 21:28

Hallo Prudentius. So wie ich gelesen habe gab es unzählige Votivgaben von Individualpersonen («Votivgaben gehören zu den Massenmedien individueller religiöser Praxis», Rüpke, Die Religion der Römer), z. B. nach geglückter Heilung beim Auskulapius-Kult Körperteile aus Ton, die noch weit preisgünstiger waren als eine Schüssel Münzen. Soziologisch waren sie anscheinend eine Art "like" (cf. Facebook, YouTube) für den jeweiligen Tempel als Tempelbetrieb, eine positives Feedback und gut als Reklame nutzbar. Wir kennen das heute im Christentum gar nicht mehr, daher kann ich es mir schwer vorstellen: beruhte alles auf einem Vertrag mit seinem eigenen Gewissen oder machte man eine Art Vertrag mit dem Priester?
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Re: Votation.

Beitragvon Prudentius » Fr 15. Nov 2013, 17:05

Du musst es anders sehen!

Die römische Religion war eine Staatsreligion in dem Sinne, dass alle Priesterstellen vom Staat besetzt wurden, u.zw. von Politikern, denn studierte Theologen gab es ja keine; die Priester hatten nur die Funktion, bei den staatlich/religiösen Feierlichkeiten als Leiter zu fungieren.

Du musst dabei das allgemeine antike Weltbild vor Augen haben, nach dem die Welt in zwei Etagen gegliedert war, unten die wirkliche Welt mit den Menschen in ihren vielen Gefähdungen, und oben die Götterwelt, die Mächte, bei denen die Fäden zusammenliefen und die alles zu bestimmen hatten. Ganz wichtig ist der Punkt: man stellte sich eine Kommunikation zwischen beiden Ebenen vor: die Götter gaben den Menschen Zeichen (Wunder und Träume), die Menschen konnten sich dadurch leiten lassen; wenn sie sie missachteten, zürnten die Götter und schickten Unglück; dann mussten Versöhnungsrituale gehalten werden, für die dann die Priester zuständig waren.

Augustus legte vor der Schlacht von Actium das Gelübde ab, Apollo einen Tempel zu stiften, wenn er gewinne, und er hielt es auch ein, es gibt noch Teile des Apollotempels vom Palatin,

lgr. P. :)
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Re: Votation.

Beitragvon Laptop » Sa 16. Nov 2013, 04:05

Hallo Prudentius. Ja, aber wem ggü. sprach man das Votum aus? Hielt man es schriftlich fest, gab es Zeugen, gab es eine Verpflichtung, die über die Selbstverpflichtung hinausging?
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Re: Votation.

Beitragvon Prudentius » Sa 16. Nov 2013, 18:37

"Wem ggü. sprach man das Votum aus?" Dem Gott gegenüber, in einem Gebet.

"Hielt man es schriftlich fest, gab es Zeugen?", war nicht nötig.

"gab es eine Verpflichtung, die über die Selbstverpflichtung hinausging?" I.a. nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass im Falle des Augustus die ganze res publica involviert wäre, wenn er sein Gelöbnis verletzt hätte; dann würde er ja den Götterzorn auf die Gesamtheit herabrufen.
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Re: Votation.

Beitragvon Laptop » Sa 16. Nov 2013, 20:10

Gut, du siehst es aus der religiösen Brille, d. h. die Götter als Akteure, die real existieren oder für real existierend gehalten wurden. Ich betrachte es aus der soziologischen Brille, mit den Göttern als zweckmäßiges Hirngespinst, an das auch damals schon das Gros der Menschen nicht glaubte, sondern diese Rituale nutzten, um sich in Szene zu setzen, um ihr Pflichtgefühl, ihre Vaterlandsliebe, ihr Glück, ihren Erfolg zu demonstrierten und letztlich dafür soziale Anerkennung und Ruhm ernteten. Stell dir vor dein Freund zieht an die Front nach Gallien und er votiert, daß er dem Optimus Maximus eine Stele aufstellt, falls er wohlbehalten nach Haus zurückkehrt. Was hat er davon? Entweder er ist tot, oder er zahlt für diese Stele, beides ist schlecht. Aber was ist das für eine großartige Referenz, wenn die Stele, die er aufgestellt hat, bezeugt, daß ihm die Götter gewogen waren! Wir würden es alle so tun, ob als wohlhabender Privatmann oder Kaiser.
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Re: Votation.

Beitragvon Prudentius » So 17. Nov 2013, 18:43

Ist es nicht angemessen, Religiöses durch die religiöse Brille zu betrachten? :-D

die Götter als Akteure, die real existieren oder für real existierend gehalten wurden


Da ist der moderne Wirklichkeitsbegriff des experimentell Überprüfbaren auf die antike Religion übertragen, das sollte man nicht machen. Das mythologische Weltbild ist nicht so leicht auf eine Formel zu bringen; Kritik an naivem Götterglauben ist freilich uralt, schon bei Homer erscheinen die Götter teilweise als lächerlich, bei den Sophisten ist die aufklärerische Religionsktitik schon voll da: "Nachdem die Polizei nicht alles herausbekommt, hat ein Schlaukopf die Götter erfunden, die auch das Verborgene sehen" (Kritias).
Aufgrund des Befundes darf man die Lebendigkeit der antiken Religion nicht unterschätzen. Horaz sagt "Di me tuentur", und in dem Gedicht, in dem auch das "carpe diem" steht, sagt er zu seiner Freundin: Frage nicht, "quem mihi, quem tibi finem di dederint", wie er es meint, wissen wir nicht genau, aber rein als Jux hat er es nicht gesagt. Im 4. Jh., nach Konstantin, gab es einen Kaiser Julianus, "Apostata" von den Christen genannt, der sich vom Christentum abwandte und die alte Religion wiederherstellen wollte. Zu der Zeit gab es auch eine große Kontroverse in Rom, als die christlichen Senatoren versuchten, die Statue der Göttin Victoria vor dem Senatssitzungssaal entfernen zu lassen, der Streit hat sich auch in der Literatur niedergeschlagen.
Die Antike kannte eben außer der empirischen Welt noch "das Unsichtbare" sozusagen, und für ihr Verständnis ist zu empfehlen, sich dieses 2-Etagen-Weltbild vor Augen zu halten.

Ich betrachte es aus der soziologischen Brille


Gut, aber vllt. ebenso könnte man es aus der psychologischen oder der abstammungsgeschichtlichen Brille betrachten.

lgr. P. :)
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