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Fragen zur Geschichte und Archäologie des griechisch-römischen Altertums

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Beitragvon sinemetu » Di 10. Dez 2013, 22:51

http://www.welt.de/geschichte/article12 ... etter.html

Mir scheint, daß der Schnelltext-Schreiber die Plausibilität (s)eines Gedankens mit der Komplexität der Wirklichkeit verwechselt.
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Re: Religio-Artikel

Beitragvon Tommi » So 9. Feb 2014, 16:39

Von der journalistischen Form abgesehen – mehr Platz hatte er halt nicht und ein Zeitungsschreiber ist kein Historiker – würde ich dem Artikel allerdings im Wesentlichen nicht widersprechen. Es war eben wirklich lange offen, welche Ideologie die Nachfolge des erstarrten römischen Staatskultes antreten würde. Man könnte höchstens noch hinzufügen, dass sich das Christentum durch seine Aufnahmebereitschaft für andere geistige Strömungen schließlich im Vorteil erwies. Elemente der Isis-Verehrung wurden in den Marienkult übernommen, durch Aufnahme gnostischer und neuplatonischer Elemente machte es sich für die Gebildeten annehmbarer usw. Wie die spätantike Philosophie schließlich nahtlos in Christentum übergeht, sieht man dann in Boethius’ „Trost der Philosophie“.

(Bin nur gespannt, was in den westlichen Ländern die Nachfolge des Christentums antreten wird. :wink: Der Marxismus, den man eine Zeit lang für einen möglichen Nachfolger halten konnte, scheint es jedenfalls nicht zu sein.)
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Re: Religio-Artikel

Beitragvon Prudentius » So 9. Feb 2014, 19:49

Wie es dazu kam, dass aus einer jüdischen Sekte sich eine Weltreligion entwickelte, die auch heute noch wie nichts sonst abendländische Identität bestimmt, das kann auch die Karlsruher Ausstellung nicht schlüssig beantworten


Das kann man ganz gut erklären: Während die antike Religion die Herrschenden ansprach (Juppiter als Götterkönig), hat das Christentum den kleinen, armen Mann angesprochen, also die Massen des einfachen Volkes; der Aufstieg des Christentums erfolgte ja von unten her, das begann schon mit der Geburt im Stall, in der Krippe, unter Ochs und Esel, der Gottessohn von Hirten begrüßt. In dieser Religion konnte sich der Mensch auf eine neuartige Weise angesprochen fühlen.

Bin nur gespannt, was in den westlichen Ländern die Nachfolge des Christentums antreten wird. :wink:


Der Islam, siehst du es nicht?
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Re: Religio-Artikel

Beitragvon juergen » So 9. Feb 2014, 20:00

Prudentius hat geschrieben:
Bin nur gespannt, was in den westlichen Ländern die Nachfolge des Christentums antreten wird. :wink:

Der Islam, siehst du es nicht?

Meinst Du das wirklich?

Ich bin mir nicht sicher wer es gesagt hat, möglicherweise war es H. U. v. Balthasar… jedenfalls sagte ein nicht dummer Mensch, daß die größte Gefahr für das Christentum nicht im Islam, sondern im Buddhismus läge.

Wenn man sich in Westeuropa umschaut, dann hat man noch viele Christen und die Zahl der Moslems ist auch beträchtlich, doch ein großer Teil ist entweder bewußt atheistisch bzw agnostisch oder aber total indifferent. Da wird dann an „irgendein höheres Wesen“, „eine höhere Macht“ oder ähnliches geglaubt. Da werden Selbstfindungskurse besucht. Insbesondere Manager nehmen solche Kurse gerne an, sofern sie teuer sind, weil alles was teuer ist, auch gut ist. Etc.
Der Weg in den Buddhismus ist da sicher viel kürzer als der Weg zum Islam.

Der Islam verlangt ja richtig was: Gebet, Alosen geben, Fasten —— Da kann man ja gleich katholisch werden…
:hammer:
Gruß Jürgen

Achja: meine Übersetzungen sind alle mit großer Vorsicht zu genießen
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Re: Religio-Artikel

Beitragvon Tommi » Mo 10. Feb 2014, 11:43

Ja, ich würde da ebenfalls von Schnellschüssen abraten. Der Marxismus hatte auch ein paar Jahrzehnte scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs und dann war plötzlich Schluss. Und die Renaissance des Islam ist wohl in erster Linie eine Reaktion auf die Übermacht des Westens.

In den Wirren während und nach dem Niedergang des römischen Imperiums sind erst durch den Aufstieg des Christentums, dann des Islam alle antiken Religionen vom Atlantik bis zum Indus den Bach runtergegangen (mit Ausnahme der jüdischen und parsischen, die verblüffenderweise überlebt haben). Es könnte durchaus sein, dass im Lauf der jetzt beginnenden Wirren etwas Ähnliches passiert und zum Schluss eine von Buddhismus und Hinduismus angeregte Religion der Meditation und Weltabgewandtheit übrig bleibt.
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Re: Religio-Artikel

Beitragvon Prudentius » Di 11. Feb 2014, 20:06

...zum Schluss eine von Buddhismus und Hinduismus angeregte Religion der Meditation und Weltabgewandtheit übrig bleibt.


Ihr habt wohl das Christentum etwas vorschnell schon begraben, es ist aber in den aufstrebenden Ländern erst im Kommen, in China oder Afrika. Auch bei uns ist es nur partiell im Niedergang, das Dogmensystem und Primatsansprüche. Die Caritas, die kirchlichen Schulen und Sozialeinrichtungen sind populär, und selbst die vielgeschmähte Institution erscheint in freundlicherem Licht, wenn da plötzlich vorn eine ansprechende Figur steht.
Das Problem der Kirchenreform ist vertrackt, bei uns wehren sich die Leute gegen Gängelung, aber in anderen Weltgegenden wollen die Menschen bei der Hand genommen werden und auf den richtigen Weg geführt werden.

H. U. v. Balthasar: ein dummer Mensch war er nicht, sondern sehr klug, auf engem Gebiet, aber die ganze Moderne, Wissenschaft, kritisches Denken, Freiheitsbewusstsein, ist alles an ihm vorbeigegangen.

"Mit dem Marxismus ist es Schluss": auch hier gilt: nicht voreilig urteilen; er hat eine bleibende Spur in dem modernen Bewusstsein hinterlassen können; "ungerechte Verhältnisse gehören umgestoßen" ist uns selbstverständlich geworden, war es aber vorher nicht.

lgr. P. :)
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