hier sind meine ergänzungen, optime Romane !
ich überantworte sie dir hiermit zur weiteren verwendung.
(ich habe den bisherigen text noch einmal übernommen)
(scansio Tiberina)
Das funktioniert so:
1. Schreibe den ganzen Vers auf, unterteile ihn in alle Silben unter Berücksichtigung etwaiger Elisionen. Nehmen wir einen x-beliebigen Vers, z.b. Met.1,5:
ante mare et terras et quod tegit omnia caelum
mare et sind nur 2 Silben, da das 'e' von mare vor et elidiert wird.
somit schreiben wir:
an/te/ mar/ et/ ter/ras/ et/ quod/ te/git/ om/ni/a/ cae/lum
2. Ermittle die letzten 5 Silben des Verses. diese werden immer gleich betont , nämlich - v v / - x
in unserem Mustervers: omnia caelum.
Nebenbei: die beiden letzten Wörter in jedem Vers haben immer "normale" Betonung (Prosabetonung).
3. Es fehlen also noch die Quantitäten der ersten vier Metren.
Um sie zu ermitteln, geht man folgendermaßen vor:
Alle sicher positionslangen und naturlangen Silben werden mit einem Längezeichen gekennzeichnet (-) , alle sicher kurzen Silben mit einem Kürzezeichen (v) . alle anderen mit einem Punkt (.)
Eindeutig positionslang sind jene, wo auf einen vokal zwei oder mehr Konsonanten folgen, ausgenommen die Konsonanten br,cr,fr,gr,pr,tr – vor diesen Konsonanten kann eine Silbe positionslang sein, muss aber nicht.
eindeutig naturlang sind alle Diphthonge, wie ae, oe, au.
Bei drei- und mehrsilbigen Wörtern kann man oft schon anhand der Prosabetonung kürzen oder längen erkennen, z.B. kann bei 'homines' die vorletzte Silbe nur kurz sein (v) , sonst würde man ja homÃnes betonen.
Umgekehrt ist bei humanus die vorletzte Silbe lang, da sie ja betont ist.
stellen wir also die gesicherten Quantitäten in den ersten vier Metren fest:
an/te/ mar/ et/ ter/ras/ et/ quod/ te/git/
- . . - - . - - . .
4. Ein punkt zwischen zwei längen kann nur bedeuten, dass diese Silbe lang ist , denn eine Kürze kann und darf nicht allein stehen.
somit ist -ras (von terras) lang.
5. Alle übrigen noch verbleibenden Punkte müssen daher kurze Silben bezeichnen, damit die Vorgabe von vier Metren eingehalten werden kann.
Wir lesen also:
an/te/ mar/ et/ ter/ras/ et/ quod/ te/git/
- v v / - - / - - / - v v /
6. Der gesamte Vers also:
ante mare_et terras et quod tegit omnia caelum
- v v / - - / - - / - v v / - vv / - x
Soweit also die Funktionsweise dieser „Skandier-methode“ im Prinzip.Die meisten Hexameter werden sich auf die genannte Weise problemlos entschlüsseln lassen. Dennoch kann es in besonderen Fällen Probleme geben, etwa in Versen, die nur wenige Positionslängen aufweisen.
Da ist es dann hilfreich, wenigstens über die Quantitäten der wichtigsten Wortendungen Bescheid zu wissen. Schließlich gilt: je weniger Silben als „unbekannt“ ( . ) markiert werden müssen, desto schneller und sicherer kann die Gesamtauflösung erfolgen.
Naturlang ( - ) sind folgende Endungen:
a) Nomen:
-o / -i / - u
-a (nur im Abl. der a-Dekl.) / -e (nur im Abl. der e-Dekl.)
-as / -os / -es (außer Nom.Sg. der konsonantischen Dekl.)
-is (nur als Dativ- u.Abl.-Endung der a/o- Deklination)
b) Verb:
-as / -es /
-a / -e / -i/ -o
Kurz ( v ) hingegen sind immer:
a) Nomen:
-is (als Genetivendung der kons. Deklination)
-e (in Wörtern der kons. Deklination)
-bus
- us (wenn Nom.Sing.)
b) Verb:
-at / -et / -it
Bei zweisilbigen Endungen ist auf die Prosabetonung zu achten: wird dort die vorletzte Silbe betont, muß diese lang sein : z.b. laudabámus, audÃre , puellárum usw.
Noch ein Wort zu den Elisionen:
Auch die Endungssilben -um/ -am / -em / -im werden vor einem Vokal im Anlaut elidiert und somit dann nicht als eigene Silbe gerechnet!
z.B.: orandum est , ut sit mens sana in corpore sano.
-um est = eine Silbe!
Abschließend noch 2 Übungsbeispiele:
nulla domo tuta est , custos in limine nullus
nul/ la/ do / mo/ tu/ tast/ cus/ tos/ in / li/ mi/ ne/ nul/lus.
Die letzten 5 Silben müssen lauten: lÃmine núllus ( - v v / - x)
Die ersten 4 Metren:
-/ . / . / - / . / - / - / - / -
1.Silbe ist immer lang; domo > naturlang, siehe oben; custos> naturlang, s.o.
5.Silbe muß lang sein, da zwischen zwei Längen.
Somit lautet die Auflösung: - v v / - - / - - / - - / - v v / - x
núlla domó tutá (e)st custós in lÃmine núllus.
tempore tam longo vidi, multa auribus hausi.
tem/ po/ re / tam / lon/ go / vi/ di / mult(a)/ au/ri/ bus/ hau/ si
die letzten 5 Silben: - v v / - x (auribus hausi)
die ersten 4 Metren: - v v / - - / - . / - - /
témpore :schon aus der Prosabetonung ergibt sich, dass das o kurz sein muß; das e des Ablativs ist ebenfalls kurz, s.o. vidi : Endung –i ist immer lang; vÃdi (die erste Silbe) muß lang sein, da sie zwischen 2 Längen steht.
Auflösung: - v v / - - / - - / - - / - v v / - x
témpore tám longó vidà mult(a) áuribus háusi.
99 Prozent aller Ovidverse sollten sich auf diese Weise entschlüsseln lassen. Dennoch gilt auch hier: keine Regel ohne Ausnahme! Abweichungen von der oben genannten Norm (in bezug auf Längen und Kürzen von Endungen) kann es bei griechischen Eigennamen oder bei manchen zweisilbigen Wörtern geben (sog. Jambenkürzung); auch die Quantität der Silbe vor br,cr, fr,pr, tr ,gr – man bezeichnet diese Konsonantenfolge als „muta cum liquida“ – kann schwanken.
Aber im allgemeinen wird die „scansio Tiberina“ zum richtigen Ergebnis führen.
VIEL ERFOLG und GUTES GELINGEN!