Was bleibt von der antiken Philosophie?

Diskussionen zu den antiken Philosophen, ihren Ideen und ihrer Rezeption

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Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Prudentius » Sa 12. Nov 2011, 21:12

- Die Hauptrichtungen der antiken Philosophie, Platonismus, Stoizismus, Epikureismus, Skeptizismus, und die programmatischen Namen Aristoteles, Heraklit, Demokrit, Parmenides sind ganz überholt, wenn man sie rein "nach dem Nennwert" nimmt. Das, was der Student heutzutage als profilartige Lehrsätze liest, kann man so nicht mehr vertreten, darüber ist eben die Denkarbeit und die Erfahrung von über zweieinhalbtausend Jahren hinweggegangen.

- Indessen sind die "Komponenten" sozusagen der antiken Systeme alle noch lebendig geblieben; die Haltungen, die allgemeinen Zielrichtungen des Denkens sind erhalten geblieben: die Frage nach dem "Ersten Beweger" des Aristoteles ist hinfällig, da Bewegung und Ruhe relativ sind, und wir Bewegung und Beschleunigung unterscheiden. Die Frage nach der arche, dem ersten Anfang, ist hinfällig, da wir seit Gödel wissen, dass grundsätzlich kein deduktives System mit einem absoluten Anfang möglich ist.

- Von den vorsokratischen Antworten auf die Frage nach dem Uranfang ist die des Anaximander sehr fruchtbar geblieben: das "apeiron", das Unbegrenzte oder Undefinierbare; die heutige Wissenschaft, eigentlich dem Ideal der Exaktheit verpflichtet, bietet auf diesem Gebiet Erstaunliches: Raum und Zeit gibt es nicht an sich, sondern nur vom Standpunkt eines Beobachters abhängig; das Licht ist auf zwei verschiedene Arten, also nicht eindeutig erklärbar; das Atom ist ganz rätselhaft, es gibt nur konkurrierende Modelle, ebenso ist es bei den Elementarteilchen; ist das Weltall insgesamt expandierend oder pulsierend? Die darin wirkenden Kräfte sind teilweise unbekannt, der Begriff Kraft überhaupt ungeklärt: das "apeiron" bekommen wir in immer neuen Spielarten vor Augen gestellt: Antimaterie, Schwarzes Loch, Quasare ...
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Brakbekl » Di 3. Apr 2012, 11:37

Prudentius hat geschrieben:- Die Hauptrichtungen der antiken Philosophie, Platonismus, Stoizismus, Epikureismus, Skeptizismus, und die programmatischen Namen Aristoteles, Heraklit, Demokrit, Parmenides sind ganz überholt, wenn man sie rein "nach dem Nennwert" nimmt. Das, was der Student heutzutage als profilartige Lehrsätze liest, kann man so nicht mehr vertreten,


Das gilt nur für bestallte Berufsphilosophen. Vergiss nicht, daß die meisten Philosophen dieselbe nicht als Brotberuf betreiben und Praktiker sind.... und die bezahlten Exemplare den Titel Philosoph nur dank Staates macht okkupiert haben und am wenigsten denen gleichen, von dessen Namen sie leben....

Prudentius hat geschrieben:die Frage nach dem "Ersten Beweger" des Aristoteles ist hinfällig, da Bewegung und Ruhe relativ sind, und wir Bewegung und Beschleunigung unterscheiden. Die Frage nach der arche, dem ersten Anfang, ist hinfällig, da wir seit Gödel wissen, dass grundsätzlich kein deduktives System mit einem absoluten Anfang möglich ist.


Die wirkliche Philosophie geht von der täglichen Anschauung aus, und die scheint dieselbe zu sein, ... Gödel bedeutet doch nur den Abbruch einer sehr geliebten Art zu diskutieren. Eher wird Gödel vergessen, als daß die Philosophie aufhörte ....
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Re: Die Katheder-Philosophen / Gödel

Beitragvon Prudentius » Do 5. Apr 2012, 17:00

Hallo,

- so negativ würde ich diese Leute nicht sehen, denk an ihre pädagogische Aufgabe, es muss jemanden geben, der für die Erstsemester aller Fakultäten die Vorlesung "Grundzüge der Geschichte der Philosophie" hält, die Philosophie muss Fleisch und Blut annehmen, wenn sie lebendig sein soll, sonst heißt es: Philosophie ist etwas, was es einmal gab; oder soziologisch gesagt: die Philosophie muss strukturell verankert sein. Um sie selbst zu Wort kommen zu lassen: sie beklagen sich, dass sie vor lauter dienstlichen Verpflichtungen und Bürokratie gar keine Zeit zum eigenen Denken finden.

- Ja sicher, Gödel kann man vergessen, aber er hat eine gewaltige Zäsur in der Philosophie bewirkt: als er schrieb, in den dreißiger Jahren, war ja der "Wiener Kreis" ganz groß im Kommen, der hatte das Programm, ein Begriffssystem aufzubauen, auf dessen Basis sich alles andere ableiten ließ; die führenden Köpfe dieses Wiener Kreises sind 1938 nach Amerika emigriert und haben die "Analytische Philosophie" begründet; Gödel hat ihnen einen Strich durch ihr Programm gemacht, aber trotzdem ist sie bis heute bestimmend geblieben, weil eben nach Existentialismus und Marxismus nichts mehr kam.
Übrigens für uns hier vielleicht interessant anzumerken: Gödel hat ja das humanistische Gymnasium besucht, es wird erzählt, er habe in seiner ganzen Schulzeit in Latein nie einen Fehler gemacht!

Gruß P. :)
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon RM » Do 5. Apr 2012, 20:40

Dazu könnte man sich nun die Frage stellen, welche Themengebiete der Philosophie überhaupt geblieben sind, für die es sich lohnen würde, in unserer Zeit Philosoph zu werden.

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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Brakbekl » Do 5. Apr 2012, 20:59

RM hat geschrieben:.... lohnen würde, in unserer Zeit Philosoph zu werden.


Sie lohnt sich nie, die Philosophie, ich glaube schon, daß sie sich immer selbst der Lohn!
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Luca » Do 5. Apr 2012, 21:59

RM hat geschrieben:Dazu könnte man sich nun die Frage stellen, welche Themengebiete der Philosophie überhaupt geblieben sind, für die es sich lohnen würde, in unserer Zeit Philosoph zu werden.
8) RM
brakbekl hat geschrieben:
RM hat geschrieben: Sie lohnt sich nie, die Philosophie, ich glaube schon, daß sie sich immer selbst der Lohn!

Ihr seid demnach der Meinung, dass die Welt mit all ihren Facetten durch die gängigen Denkmodelle und naturwissenschaftlichen Angebote heutzutage restlos erklärt ist? :?
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Brakbekl » Do 5. Apr 2012, 22:32

Luca hat geschrieben:Ihr seid demnach der Meinung, dass die Welt mit all ihren Facetten durch die gängigen Denkmodelle und naturwissenschaftlichen Angebote heutzutage restlos erklärt ist? :?


Nein, sind wir nicht. Die Welt ist zu manchem Behufe und zu vielerlei Zweck geschaffen, aber mit Sicherheit nicht dazu, erklärt zu werden. Vor allem das "restlos" ist witzig .... :book:
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Luca » Do 5. Apr 2012, 22:50

brakbekl hat geschrieben: Die Welt ist zu manchem Behufe und zu vielerlei Zweck geschaffen, aber mit Sicherheit nicht dazu, erklärt zu werden. Vor allem das "restlos" ist witzig .... :book:

Wie sollen eure Aussagen anders aufzufassen sein?

Wenn wir nicht tagtäglich danach streben, unser Tun, also die Welt uns selbst zu deuten - was tun wir deiner Meinung nach?
Und: Ich denke, dass es nicht nur ein wenig vermessen ist, der Philosophie ihre Berechtigung abzusprechen. Dazu ist das Sein viel zu komplex, um auf sie verzichten zu können.
Es ist einfach zu platt und kurzsichtig, solche Sätze von sich zu geben:
brakbekl hat geschrieben: Sie lohnt sich nie, die Philosophie, ich glaube schon, daß sie sich immer selbst der Lohn!
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Brakbekl » Do 5. Apr 2012, 23:00

Luca hat geschrieben:Und: Ich denke, dass es nicht nur ein wenig vermessen ist, der Philosophie ihre Berechtigung abzusprechen. Dazu ist das Sein viel zu komplex, um auf sie verzichten zu können.
Es ist einfach zu platt und kurzsichtig, solche Sätze von sich zu geben:
brakbekl hat geschrieben: Sie lohnt sich nie, die Philosophie, ich glaube schon, daß sie sich immer selbst der Lohn!


Lucalein, versuch mal den Vers zu lieben. Ich wollte damit nur ausdrücken, daß die Vielosophie nie um des Mammons willen oder um des Broterwerbs willen getrieben werden will, denn sie trägt ihre Früchte in sich, ist also nicht auf "Lohn" angewiesen.
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Luca » Do 5. Apr 2012, 23:10

Naja, ist wirklich schon ein wenig spät für solche hochphilosophischen Debatten ...Ich hätte mich auch stark gewundert, brakbeklein, wenn du so unkommentiert und ohne Tiefsinn ;-) solche missverständlichen Worte schreiben und stehen lassen wolltest ...
Du, der du doch beinahe als der tiefschürfendste Denker (Philosoph) hier uns an deinen Gedanken teilhaben lässt... ;-)
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Brakbekl » Do 5. Apr 2012, 23:18

Kennst Du das schon, Luca?

http://books.google.com/ngrams/graph?co ... moothing=3

gestern lernte ich es kennen, und seitdem spiel ich damit, gib mal die Worte Bismark, Hindenburg, Rasse und Computer ein ... dann merkst Du, wie es funktioniert .... tolles Spielzeug

gute Nacht :sleep:
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon RM » Fr 6. Apr 2012, 19:59

Luca hat geschrieben:Ihr seid demnach der Meinung, dass die Welt mit all ihren Facetten durch die gängigen Denkmodelle und naturwissenschaftlichen Angebote heutzutage restlos erklärt ist? :?

Eine interessante Bemerkung, durchaus, denn gerade im Hinblick auf die antike Philosophie zeigt sich darin ihr modernes Dilemma: In der Antike waren die Naturwissenschaftler Philosophen, die versuchten die Welt zu erklären. Heute hingegen sind einige Leute der Ansicht, dass Naturwissenschaft mit der Philosophie wenig zu tun hat, obwohl sich ihr wichtigstes Ziel, nämlich die Natur zu erklären, nicht geändert hat. In der Moderne haben wir jedoch begonnen, die Natur nicht nur zu erklären, sondern die Naturgesetze immer stärker zur Gestaltung von Dingen zu verwenden, die es in der Natur so nicht gibt. Das, was wir heute als "Philosophie" präsentiert bekommen, ist jedoch zum großen Teil nur noch ein Torso, wichtiger Gliedmaßen beraubt, weil diese sich verselbständigt haben. Was also haben uns die heutigen Philosophen zu sagen, was über das übliche Talkshowgerede hinausgeht?

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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon Luca » Fr 6. Apr 2012, 20:53

So kann ich deinen Einwurf von oben besser verstehen. Wenn sich die Philosophie heutiger Tage tatsächlich so von ihren Ursprüngen entfernt haben sollte - denn ich muss gestehen, dass ich hierzu nicht genug fundiertes Hintergrundwissen parat habe, um diese Ansicht zu untermauern -, trete dich deiner Meinung bei, lieber RM.
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon guenterus » Sa 7. Apr 2012, 00:04

Sodales,
mit Interesse habe ich Euere Ausführungen gerade gelesen und denke: natürlichlich hat die Philosophie auch heute noch ihre Berechtigung-
und wird Sie auch in Zukunft haben. Allerdings in einer anderen, verständlichen, Weise. Satzentgleisungen wie vom ollem Heidegger finde
ich völlig daneben. Z.b. über das Sein. " Dasein ist jenes verstehende Sein, dem es in seinem Sein wesentlich um das Sein des Seienden geht".
So funktioniert die heutige Philosophie sicherlich nicht mehr. Was erwartet wird sind klare Aussagen bzgl. der jetzigen Probleme unserer
Zeit. Die Geschichte der Philosophie bietet dabei durchaus Denkanstöße, denke ich!
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Re: Was bleibt von der antiken Philosophie?

Beitragvon philistion » Sa 7. Apr 2012, 02:24

RM hat geschrieben:Heute hingegen sind einige Leute der Ansicht, dass Naturwissenschaft mit der Philosophie wenig zu tun hat, obwohl sich ihr wichtigstes Ziel, nämlich die Natur zu erklären, nicht geändert hat. In der Moderne haben wir jedoch begonnen, die Natur nicht nur zu erklären, sondern die Naturgesetze immer stärker zur Gestaltung von Dingen zu verwenden, die es in der Natur so nicht gibt.

Was sprichst du genau an? Das, was Wittgenstein schon am Wiener Kreis kritisiert hat? Oder sprichst du von noch neueren Zeiterscheinungen? Wenn ja, von welchen?
Dass sich heute nur mehr wenige anmaßen, ein metaphysisch begründetes Weltmodell zu postulieren, sehe ich auch als Fortschritt im Wissen über die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit.


Ich denke, dass ein äußerst wichtiger Aufgabenbereich der Philosophie u.A. darin liegt, Erkenntnisse aus allen anderen Wissenschaften zu interpretieren, auf Grenzen der Erkenntnis sowie Deutungs- und Ableitungsfehler hinzuweisen, eine Sprachkritik zu formulieren, um auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse ordentlich beschreiben zu können. Etwa im Bereich der Neurowissenschaften war und ist es dringen nötig, dass sich Philosophen mit den Konsequenzen empirischer Beobachtungen (etwa Bedeutung für die Ethik, Philosophie des Geistes, Erkenntnistheorie etc.) auseinandersetzen, da einigen Forschern aus der Biochemie, Biologie oder Medizin oftmals die Kompetenz fehlt, um Ergebnisse richtig beurteilen zu können.

Warum sollte uns also "die Philosophie" heute weniger zu sagen haben als früher?

Was mir jedoch missfällt, ist, dass die Philosophie immer mehr als eine Wissenschaft unter vielen anderen erscheint, wo sie doch eigentlich eine übergeordnete Funktion haben sollte.

@guenterus: Ich denke zwar schon, dass sich die Philosophie um Klarheit bemühen muss, aber genau das hat Heidegger ja durchaus auch [mit wenig Erfolg :D] versucht, indem er z.B. viele Wortneubildungen vorgenommen hat, da er eben keine Verwirrung mit Begriffen stiften wollte, die schon andere Bedeutungen hatten. Aber vielleicht lässt sich auch nicht jeder Gedanke so formulieren, dass er auf Anhieb mühelos verstanden werden kann.
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