Regula Benedicti c.53, die Gäste

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Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon Theo » Di 19. Aug 2014, 13:32

53/16
"Coquina abbatis et hospitum super se sit, ut, incertis horis supervenientes
hospites, qui numquam desunt monasterio, non inquietentur fratres."
Abt und Gäste sollen eine eigene Küche haben; so stören Gäste, die
unvorhergesehen kommen und dem Kloster nie fehlen, die Brüder nicht.

1. Mit welchem grammatischen Recht steht hier das Passiv "inquietentur"?
2. "(coquina) super se" = eigene Küche? Welche lateinische Denkfigur liegt dem "super se" zugrunde, so dass "eigene Küche" herauskommt?

53/21
"Item et cellam hospitum habeat assignatam frater cuius animam timor Dei
possidet;..."
Die Unterkunft für die Gäste vertraue man einem Bruder an, der von
Gottesfurcht ganz durchdrungen ist.

Worauf bezieht sich "assignatam"?
1) Die zugewiesene Zelle der Gäste (= die den Gästen zugewiesene Zelle?) erhalte ein Bruder(?)
2) Die Zelle der Gäste erhalte ein Bruder zugewiesen/anvertraut (?)

Dank an alle, die mir auf die Sprünge helfen.
Die Regula Benedicti scheint in einem Latein weitab vom klassischen Latein geschrieben zu sein.
Und ich dachte immer, Kirchenleute wären scharf auf feierliches, nobles Latein :D
Theo
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon marcus03 » Di 19. Aug 2014, 14:14

Vermutlich wird INQUIETARE im Spätlatein auch als Deponens verwendet.

Item et cellam hospitum habeat assignatam frater:
wörtl.: Ebenso soll eine Bruder auch die Gästeunterkunft als zugewiesene/anvertraute haben
(vgl: rem cognitam habere, urbem captam tenere etc. )
Es handelt sich um ein prädikatives PPP. Dadurch soll das Verb verstärkt werden.
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon Zythophilus » Di 19. Aug 2014, 15:24

Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass gerade im Spätlatein aus einem aktiven Verb ein Deponens würde. Der umgekehrte Fall ist die Regel.
Bei superuenientes hospites dürfte es sich um einen Akk.abs. handeln, damit lässt sich inquietentur als ganz normales Passiv erklären.
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon Zythophilus » Di 19. Aug 2014, 15:29

Die Präp. super hat hier wohl die Bedeutung "für", also die "Küche des Abts ... soll für sich (= getrennt) sein". Ob super hier mit Abl. oder Akk. konstruiert wird, ist mir nicht klar, aber vermutlich gehen die Kasus ohnedies durcheinander.
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon iurisconsultus » Di 19. Aug 2014, 15:38

Theo hat geschrieben:(coquina) super se" = eigene Küche? Welche lateinische Denkfigur liegt dem "super se" zugrunde, so dass "eigene Küche" herauskommt?


Benno Linderbauer (Hrsg.), S. Benedicti Regula Monachorum (Metten 1922) S. 264 Kap. 21, 4. schreibt dazu (http://www.archive.org/stream/MN5064ucm ... 0_djvu.txt):

Der Sinn kann nach dem Zusammenhang nicht zweifelhaft sein; es bedeutet: für sich, eigens, abgesondert. Eine Belegstelle fur diese Bedeutung bei einem anderen Aulor aufzufinden ist mir nicht gelungen. Die Entwicklung ist wohl so zu denken, dass ein solches super se zunachst in Verbindung mit Ausdrücken, wie etwa fundatus, positus auftrat = "auf sich gestellt", woraus sich die hier vorliegende Bedeutung bilden konnte. Die Spracherscheinung hat einige Ahnlichkeit mit der auch in der Regula Prol. 59 vorkommenden und S. 137 besprochenen Bedeutung von a se = selbstandig, aus eigener Kraft.


(Hervorhebung von mir!)
Zuletzt geändert von iurisconsultus am Di 19. Aug 2014, 15:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon marcus03 » Di 19. Aug 2014, 15:43

Zythophilus hat geschrieben:Bei superuenientes hospites dürfte es sich um einen Akk.abs. handeln, damit lässt sich inquietentur als ganz normales Passiv erklären.


Interessant, davon habe ich noch nie gehört. Dazu habe ich Folgendes gefunden:

http://books.google.de/books?id=SWoz0Lo ... in&f=false
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon Zythophilus » Di 19. Aug 2014, 15:48

Der Acc.abs. ist vermutlich zur Zeit Benedikts häufiger als das Supinum. :lol:
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon marcus03 » Di 19. Aug 2014, 15:54

Zythophilus hat geschrieben:Der Acc.abs. ist vermutlich zur Zeit Benedikts häufiger als das Supinum


Sehr, sehr traurig :( , aber wohl leider wahr. ;-)

Gibt es eine Erklärung, wie es zu diesem Akk. kam ?
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon iurisconsultus » Di 19. Aug 2014, 16:09

Zythophilus hat geschrieben:Die Präp. super hat hier wohl die Bedeutung "für", also die "Küche des Abts ... soll für sich (= getrennt) sein"


Gibt es Belege dafür, dass super in der Bedeutung für gebraucht wurde? Die These Linderbauers, dass es sich um ein Funktionsverbgefüge handelt (super se positus esse -> über sich selbst gestellt sein -> eigenständig sein), dem irgendwann das Funktionsverb abhanden gekommen ist, finde ich zumindest interessant. Leider fehlen auch dafür Belege.
Zuletzt geändert von iurisconsultus am Di 19. Aug 2014, 16:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon Zythophilus » Di 19. Aug 2014, 16:25

In cap. XXXVI 7 kommt es vor: Quibus fratribus infirmis sit cella super se deputata.
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon Zythophilus » Di 19. Aug 2014, 16:30

Im späten Latein ist die Grammatik und Syntax gewissermaßen in Auflösung begriffen. Da entwickeln sich neben dem Abl.abs. auch andere satzwertige Konstruktionen, da es nicht mehr so wichtig ist, diese, sei es ein Nom.abs. oder eben auch ein Acc.abs., diese irgendwie in einem Hauptsatz zu verankern.
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon iurisconsultus » Di 19. Aug 2014, 16:48

Zythophilus hat geschrieben:Im späten Latein ist die Grammatik und Syntax gewissermaßen in Auflösung begriffen


Dabei ist Grammatik kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für eine angemessene sprachliche Kommunikation. – Traurig, traurig!
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon marcus03 » Di 19. Aug 2014, 20:14

Zythophilus hat geschrieben:Im späten Latein ist die Grammatik und Syntax gewissermaßen in Auflösung begriffen.


Ob das auch den allgemeinen damaligen Auflösungstendenzen geschuldet ist, die die Völkerwanderung mit sich brachte ?

PS:
Dann brauche ich vermutlich nach einen Supin erst gar nicht zu suchen. Dem hatte man wohl längst zu Benedikts Zeiten das letzte Lichtlein ausgeblasen.
Und bleibe ich dabei : Und würde ich wissen, dass morgen das Supin endgültig untergeht, würde ich ihm heute noch ein Apfelbäumchen mit einem unverwüstlichen Supinstamm pflanzen. Vllt. werde ich so einst als neuer "supinaler" Stammvater des Latein des 3. Jahrtausends in die Geschichte der lat. Sprache eingehen. :D
Quis dignior fuerit, qui hoc titulo appelletur ? Verisimilius esse puto me ob supina servanda olim a purgatorio servatum iri. ;-)

PS:

... a purgatorio servatum iri, sed statim viaque recta ad gehennam appulsum iri. :lol:
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon Zythophilus » Di 26. Aug 2014, 22:34

Wenn man sich die Bedeutung des Adjektivs supinus (rückwärts gebogen) vor Augen führt, dann ist ein Baum mit einem "Supin-Stamm" kein erhebender Anblck.
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Re: Regula Benedicti c.53, die Gäste

Beitragvon ille ego qui » Sa 4. Nov 2017, 17:50

forum nostrum aut satis aut digne laudari vix potest, carissimi atque doctissimi sodales! modo enim amicae adiuvandae causa cum machinam GOOGLianam consulerem de isto ipso loco, in ipsum nostrum forum delatus sum - ubi (quid mirum??) res obscuras dilucide explanatas repperi. macte! :klatsch:
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
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