sidere quo uis - sidere quouis

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon consus » Do 13. Okt 2016, 14:42

Tiberis hat geschrieben:... noch leise vorbehalte habe. und zwar deshalb, weil ich gefühlsmäßig (!) das quo vis auf ducis bzw. trahis beziehen würde ...
Tiberis einen Gruß zuvor!
Auch ich bin nicht frei von diesem Vorbehalt; denn wir haben im Hinterkopf Formulierungen wie z. B. omnes eodem cogimur (Hor. carm. 2, 3, 25) und et alius te cinget et ducet quo non vis (Joh. 21, 18). Doch meine ich, dass die Deutung von sidere quo vis in dem Sinne, wie ich es andeutete, in den Rahmen der Intention dieses Gedichtes passt: Ennea Silvio fühlt sich dem erotischen Zauber Cynthias in jeder Hinsicht verfallen.
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon marcus03 » Do 13. Okt 2016, 14:52

consus hat geschrieben:Ennea Silvio fühlt sich dem erotischen Zauber Cynthias in jeder Hinsicht verfallen.


Optimale Voraussetzungen Papst zu werden! ;-)
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon Sokrates » Do 13. Okt 2016, 16:05

Ich sehe, ein möglicher Infinitiv ist geschlagen :lol:
Gerade die Zitate sind ein starkes Indiz, aber unmöglich sind andere Auffassungen (jedenfalls grammatisch, mithin auch stilistisch, jedenfalls nach meinem Dafürhalten) nicht. Ich werde mal das Original studieren, wenn Zeit ist.
Ich sehe mich hier an der Grenze meiner Erkenntnis, nicht, dass sich nicht gute Gegengründe finden ließen, aber eine Entscheidung zu treffen, aber für eine Entscheidung reicht mein Sprachgefühl bei weitem nicht aus.
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon consus » Do 13. Okt 2016, 16:10

marcus03 hat geschrieben:...Optimale Voraussetzungen Papst zu werden! ...
Randbemerkung: Vielleicht war unter seinen Vorbildern der später heiliggesprochene Augustinus, der in seiner Jugend auch nicht gerade ein Ausbund von Tugendhaftigkeit war...
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon Prudentius » Do 13. Okt 2016, 17:36

Marce, es war doch Renaissance! Wahrscheinlich hat er "erlöster ausgesehen", der sächsische Pfarrerssohn, Nietzsche, kannte wohl Karneval und Barock nicht :-D .
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon Prudentius » Do 13. Okt 2016, 19:50

Sokrates hat geschrieben: ... auch wenn es den Begriff arg dehnt.


Salve optime Sokrates,

das ist wohl allgemein so beim Übersetzen, und umgekehrt auch: der schreibende Autor muss das, was ihm vorschwebt, den intendierten Gedanken, arg dehnen, um ihn an das vorgegebene Vokabular anzupassen, und weiterhin, der Leser muss seine begrenzten Kapazitäten dehnen, um zu einem Textverständnis vorzudringen, er muss den fremden Wortlaut in seine eigene Sprache umkodieren; er muss sozusagen das Haus, das er betreten will, erst selber bauen.
Ich will damit sagen: übersetzen, verstehen ist ein konstruktiver Vorgang; wir verstehen uns ja, klar; aber es ist vllt. nicht überflüssig, es zu sagen, denn es gab auch im Forum schon Stimmen, die sagten, wir produzieren nur weitere Übersetzungen zu den vielen, die schon vorliegen.
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon Medicus domesticus » Do 13. Okt 2016, 20:07

Prudentius hat geschrieben: aber es ist vllt. nicht überflüssig, es zu sagen, denn es gab auch im Forum schon Stimmen, die sagten, wir produzieren nur weitere Übersetzungen zu den vielen, die schon vorliegen.

Du musst natürlich schon unterscheiden. Das Spannende hier ist ja die Entstehungszeit. Zu solchen Texten gibt es ja auch kaum Kommentare, geschweige denn Übersetzungen, im Gegensatz zur klassischen Zeit des Lateins. Solche Texte zu interpretieren, macht doch genauso oder sogar mehr Spaß und ist eine Herausforderung für alle Spezialisten hier. Für mich ist ein lateinischer Text z.B. aus der Medizin des 15./16. Jahrhunderts ohne bestehende Übersetzung oder Kommentar eine Art Detektivarbeit und viel interessanter als die zwanzigste Übersetzung von Ciceros Werken zu lesen.
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon Zythophilus » Fr 14. Okt 2016, 08:05

Ich bedanke mich für diese Diskussion.
Wüsste man nicht, von wem dieses Gedicht stammt, könnte man es auch für ein Werk der Antike halten. Piccolomini ist etwas entlegen, auch wenn er aufgrund seiner Bezüge zu Wien und Österreich sogar eine Gasse in Wiens 1. Bezirk hat: Wie viele freilich wissen, wer oder was "Piccolomini" ist, ist die Frage. Immerhin ist der Name richtig geschrieben, während nach Cuspinian (bzw. Spießheimer) die Spießhammergasse benannt ist.
Mit einem noch etwas frivoleren Gedicht hat es Pius II. sogar in ein Schulbuch geschafft, die Anleitung zum Ehebruch (c. 48) Noctu me quaeris - wäre "Amoris Laetitia" eine passende Überschrift? - würde man wohl keinem Papst zutrauen.
Generell sind Schüler, die zunächst weder klassische noch spätere lateinische Werke kennen, da weniger voreingenommen. Gefühlsmäßig sind für sie die Römerzeit, die Renaissance und die Epoche Franz Josefs gleich weit entfernt.
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon medicus » Fr 14. Okt 2016, 09:09

Zythophilus hat geschrieben:Mit einem noch etwas frivoleren Gedicht hat es Pius II. sogar in ein Schulbuch geschafft,

:-o

Carmina 1.66b Puella in Amatorem

Noctu me quaeris, sed habet me nocte maritus:
iura maritorum laedere, crede, nefas.
Ille diem patrio totam consumit in agro:
cur me nocte petis, tempora lucis habens?
Forsitan et totus nudusque viderier horres?
Mi tenebrosa potest nulla placere venus.
Quid prodest noctu formosas esse puellas?
Saepe fuit iuvenis credita turpis anus.
Ergo placere magis si vis mihi, luce venito:
nam mihi per tenebras gratia nulla tui est.
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon Zythophilus » Fr 14. Okt 2016, 17:16

Suadet adulterium dans consilia ipse poeta:
Laetitia his metris maxima amoris inest.
Nam facit uxorem, quae non sit fida, loquentem.
Crede haec pontificem composuisse pium.
Zythophilus
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon medicus » Fr 14. Okt 2016, 18:14

Zythophilus hat geschrieben:Crede haec pontificem composuisse pium.


Nihil nisi carmen composuit :?
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon Prudentius » Fr 14. Okt 2016, 18:23

Man sollte sich zurückhalten, aus den Dichterworten Schlüsse auf die Lebenseinstellung des Autors zu ziehen, denn bei den erotischen Motiven handelt es sich um die Standardthemen der römischen Elegie, einen festen Begriffsbestand, fast Klischees, der Dichter folgt hier den literarischen Konventionen, er offenbart nicht sein Seelenleben; es wäre naiv, Catull wegen "Miser Catulle ..." für einen unglücklich Liebenden zu halten. Der Dichter führt die Gattungsmerkmale an, um dem Leser deutlich zu machen, in welche Traditionslinie er sich stellen will. "Cynthia" - Properz klingt an; das domina-Motiv: "potes in me"; "trahere" zerren, schleifen: der Dichter sieht sich als eine Art Kriegsgefangener.
"Anleitung zum Ehebruch": der Dichter stellt sich in die Tradition von Ovids "Ars amandi".
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon marcus03 » Fr 14. Okt 2016, 18:43

Prudentius hat geschrieben:Man sollte sich zurückhalten, aus den Dichterworten Schlüsse auf die Lebenseinstellung des Autors zu ziehen,


"Vor seiner kirchlichen Laufbahn führte Enea Silvio Piccolomini ein Leben als Dichter und Lebemann und war in seinem Wirken ebenso widersprüchlich wie später als Papst."
https://de.wikipedia.org/wiki/Pius_II.

Er hat es also vermutlich ganz schön krachen lassen und war wohl auch kein Kostverächter in Liebesdingen. :)
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon Zythophilus » Sa 15. Okt 2016, 15:12

Der Lebenswandel Piccolominis in jüngeren Jahren lässt zumindest vermuten, dass so manches Detail aus seiner Dichtung auch mit persönlicher Erfahrung zu tun haben könnte. Das heißt nun nicht, dass die entsprechende Carmina autobiographisch zu verstehen sind, und dass Piccolomini sich natürlich ebenso an literarischen Konventionen orientiert, ist offensichtlich.
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Re: sidere quo uis - sidere quouis

Beitragvon marcus03 » Sa 15. Okt 2016, 15:51

Zythophilus hat geschrieben:Der Lebenswandel Piccolominis in jüngeren Jahren lässt zumindest vermuten, dass so manches Detail aus seiner Dichtung auch mit persönlicher Erfahrung zu tun haben könnte.



"In seinen eigenen Schriften erklärt er, dass er in seiner Jugend der Liebe des Frauenzimmers ergeben gewesen und einen natürlichen Sohn gezeuget hab"

http://www.mattsies.info/index.php/kirc ... st-pius-ii

Kennt jemand diese Stelle/n?
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