Lieber Medicus domesticus (sic!),
deine Sorge ist ganz unbegründet, mir kann man gerne nahe treten, dann debattiert es sich auch besser!
Allen meinen Äußerungen sei vorausgeschickt, dass ich mich nicht allzu gut auskenne und mir in vielen Teilen eine professionelle Einschätzung eigentlich nicht erlauben kann, aber das ändert wenig an den Tatsachen.
In Zeiten von wirren Schulreformen bleibt Griechisch, sogar unser Latein manchmal auf der Strecke, aber noch erfreuen sich beide ja großer Beliebtheit (im Gegensatz zu echten Randfächern wie Recht oder Astronomie).
Es besteht wahrscheinlich ein großes Missverständnis der alten Sprachen sowohl seitens der Lehrenden wie Lernenden.
Zum einen sehen wir doch eben keine Bereitschaft zu Reformen etwa in Latein, denn obwohl der Übersetzungsprozess so zentral ist, gibt es nicht etwa zu Beginn der Schulzeit eine verständliche Einführung in die Übersetzungwissenschaftund laufend immer wieder methodische Unterweisungen, es gibt keine Deutsch-Latein-Klausuren in der Schule, es gibt keine Referenzen auf die historische Formenlehre, es gibt keine Einigung auf ein angewandtes Syntaxmodell. Wie sollen denn die Neulinge Spaß an Latein entwickeln, wenn sie keinen Erfolg ihres langen Lernens sehen, indem sie auf einmal die Zusammenhänge etwas bessern durchblicken?
Wenn ich persönlich werden darf, ich empfand beide Sprachen immer als sehr anstrengend und wenig gewinnbringend. Man denkt sehr lange über eine Form und einen Satz nach, ohne zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Dann erfährt man, dass auch andere einander uneinig sind und sich
widersprechen. Die Klassische Philologie bleibt also in weiten Teilen ein Aporie. Ich denke, dieses Bewusstsein und die Kultur der Aporie ist heute unerwünscht.
Freilich stellt ein Medizinstudium ganz andere Anforderungen, denn es ist ein praktisches und mit vielen anderen Fächern unvergleichbar. Wenn bei euch in der Histologie nicht genügend Mikroskope vorhanden waren oder zu wenig Betreuer in der Chirurgie, dann hattet ihr jedes Recht, zu protestieren.
Wenn die Hälfte der Ärzte fehlte, wäre das nicht gut. Wenn die Hälfte der Philologen fehlte, was würde sich denn ändern?
Übrigens soll damit keiner der Lehrer oder Hochschullehrer kritisiert werden, solange sich einer mit Latein befasst, steht es doch nicht so schlecht um uns