idem ... ac + suus? eius?

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Re: idem ... ac + suus? eius?

Beitragvon Willimox » Mi 7. Dez 2016, 21:16

Salute, Sokrates,

in der Tat ist es so, dass der Agensbegriff in der aktuellen Diskussion sehr gern aufgefächert wird. Damit man einigen Schwierigkeiten entgehe. Und eine Skalierung erscheint den meisten Diskutanten sinnvoll:

Protoagens-Rollen und ihre Subrollen:

- a) Verursacher, Ursache: Rauchen verursacht Krebs. Opa (Nominativ) zerbrach die Vase.
- b) Handlungskontrolle: Der Opa unterlässt das Rauchen.
- c) Sentience (Experiencer, Zustandsträger): Der Oma schmeckt der Wein.
- d) Vorgangsträger, Kraft: Die Rose blühte.

- e) Besitzer: Der Opa besitzt einen Roller. Die Oma häkelt ihrem Enkel (Benefaktiv) einen Schal.

Agensrollen: Graduelle Abstufung von a nach d, voll Agens bis noch Agens;
e kein Agens mehr

Beispiele (Probleme hat das natürlich :pc: immer noch) bei:
Beatrice Primus: Semantische Rollen. Heidelberg 2012, S. 80

Bild

Insofern lässt sich unser strittiger Cicero-Satz mit seinem Dativ-ei als agens-nah verstehen....

Dann: Wenn man ein "paenitet Caesarem" als logisches Subjekt versteht, dann ist der Aktivitätsgrad des Verbs und sein Valenzplan sicher noch wichtig in Klassifikationsfragen, hat aber einen begrenzten Stellenwert, scheint mir.
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Re: idem ... ac + suus? eius?

Beitragvon Sokrates » Do 8. Dez 2016, 00:22

AH, es naht unser Retter.
Ich erinnere mich noch lebhaft an genau diesen Lektüre-Vorschlag, damals eingebracht in der Subject-to Subject-Raising-Debatte mit unserem lieben Ioscius damals...wunderbar.
Ad rem:
Diese graduelle Agensauffassung leuchtet ein, auch wenn Teile davon ursprünglich als konkurrierende thematische Rollen gedacht waren.
Im Cicero-Zitat scheint doch wohl, wie ich oben vermutet hatte, ein Experiens/Expriencer nach Typ c) vorzuliegen? (Dem Sohn wird also ein ein "Vorteil" zu Teil, nämlich der der Liebe.) Wie agensnah das jetzt sein soll, ist natürlich schwer zu sagen.
Auch paenitet mit Akk. dürfte sich darunter einordnen lassen. Was aber bedeutet das für unser Problem: Sind die vielen Fälle, die nicht Passiv sind, in denen aber aufgrund des Sprachgefühls das Reflexivem steht, nun als Fälle mit "logischem Subjekt" zu bezeichnen, sofern eine Agensnähe besteht?
Das "Einem-Lieb-Sein" ist ambivalent: einmal wird der Vater von einem Gefühl der Fürsorge durchwirkt, dieses Gefühl erlebt er, andererseits verleitet ihn dies natürlich zur Äußerung der Liebe selbst, in Taten etc. Ich tue mich schwer, bei einem carior esse eine eindeutige Wahl zu treffen, und nur das würde ja Tiberis' Frage nach der Bezeichnung klären. Nochmal, an der Erscheinung ändert das ja nichts.
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Re: idem ... ac + suus? eius?

Beitragvon Prudentius » Do 8. Dez 2016, 10:59

Willimox hat geschrieben: ... Dann: Wenn man ein "paenitet Caesarem" als logisches Subjekt versteht, ...


Da möchte ich gerne Bedenken anmelden und für Objekt plädieren; du versuchst ja hier, das traditionelle "S - P - O"-Schema zu verabsolutieren und es da zu etablieren, wo es gar nicht ist. Dieses Schema ist ziemlich willkürlich, es richtet sich nach der handwerklichen Tätigkeit der Urzeit ("Vater fällt den Baum"), und die ganze Vorstellung von Kausalität mit ihrer traditionellen Beschränktheit geht darauf zurück; ich würde also hier lieber sagen, Agens ist das ungenannte Gefühl, das auf Caesar wirkt.

Ich finde diese Richtung der Linguistik, die auf Psychologie und praktische Philosophie ("How to do things with words") zurückgeht, sehr interessant und fruchtbar; aber es müsste erst ihre Kompatibilität mit unserer Grammatik geklärt werden.

Ich finde es auch bemerkenswert, dass in eurer Diskussion die Logik eine Rolle spielt ("logisches Subjekt"), und mich würde interessieren, an welche Logik ihr dabei denkt.

lgr. P. :)
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Re: idem ... ac + suus? eius?

Beitragvon Sokrates » Do 8. Dez 2016, 22:14

Die Linguistik unterschied ja erst zwischen grammatischem Subjekt, also am ehestem des, was man unter Subjekt gemeinhin versteht, dem psychologischen Subjekt, von dem die Aussage handelt und dem logischen Subjekt, also dem, der die Handlung ausführt. Diese Sich wurde im Laufe der Zeit durch das Modell der semantischen Rollen abgelöst. Hierbei werden verschieden Rollen wie Agens und Patiens angenommen, welche durch die lexikalische Bedeutung des Verbs bestimmt sind. Das psychologische Subjekt ist sozusagen das Thema des Satzes und korreliert mit keiner konkreten Form. Das Subjekt, dem die Rolle Agens zugewiesen ist, also der Rolle, die in der Hierarchie oben steht, ist das logische Subjekt. Im Passiv etwa muss das nicht das grammatische Subjekt sein.
Mit logischem Subjekt im Sinne des kategorischen Urteils (an diese verwendung des Terminus magst du vielleicht gedacht haben, optime Prudienti :) ) hat das nichts zu tun
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Re: idem ... ac + suus? eius?

Beitragvon Willimox » Do 8. Dez 2016, 23:14

Salve, Prudentius,

in Ergänzung zu Sokrates:

Der Begriff "logisches" (versus "grammatisches Subjekt") ist dir sicher bekannt.

Das "logische Subjekt" ist durchaus mit der Prädikatenlogik vereinbar.

Die Begrifflichkeit setzt (zwar) den Fokus auf handlungsfähige bis veränderungsfähige Entitäten und nutzt die entsprechendem Perspektive in der Inferenz:

Mich reut es: ich (Reue empfindend)
Ich schlafe: ich (schlafend)
Ich bearbeite das Holz: ich (Holz bearbeitend)

Und sie ist aber auch offen für die (eher statisch wirkende) Zuschreibung von Merkmalen:
Ich bin dumm: Ich (dumm) (logisches und grammatisches Subjekt "Ich")

Andersrum:

Sowohl Ereignisverben (mit mehr oder weniger kausalem Konzept), wie auch kopulative, statische Phrasen sind mit dem Begriff "logisches Subjekt" vereinbar. (Auch wenn man Ereignisverben als prototypisch verstehen will.) Insofern ist der Hinweis, man verenge die Perspektive auf ein Kausalitätsmuster nicht ganz überzeugend.

So mag sich denn erklären, dass auch bei Bezug auf ein interpolierbares latentes Syntaxsubjekt, sei es nun über ein Ereignisverb oder über ein Zustandsverb im Satz charakterisierbar, Reflexivpronomen gesetzt werden, wie es ja bei manifester "doppelter" Beziehung auf ein und denselben Träger eines Sachverhaltes vorrangig üblich ist.

a) Puto Caesarem mihi in senatu obtrectavisse (reflexiv gebrauchtes Personalpronomen mihi)
b) Sallustius putat Caesarem sibi in senatu obtrectavisse (genuin reflexives Personalpronomen)
c) Sallustium piget tarditatis suae. (reflexives Possessivpronomen "suae" und logisches Subjekt "Sallustium")
d) Valde ego ipsi, quod de sua sententia decesserit, paenitendum puto (Att. 7,3,8) (logisches Subjekt im Agens-Dativ "ipsi")
e) Miseret Romanos socii sui .... Romani miserentur sociorum suorum (logisches Subjekt im Akkusativ "Romanos", logisches und grammatisches Subjekt in "Romani", Experiencer in Romanos und Romani, trotzdem, also trotz geringem Agensstatus eine reflexive Form setzbar)
f) Caesar sui memor esto. Caesar sui memor est. (Reflexivpronomen in einem ereignisfernen Zuschreibungs-Satz)

Im Übrigen: Diese Diskussion war doch schon mal recht interessant?

http://www.latein.at/phpBB/viewtopic.php?f=23&t=35076

Und der Subjektsbegriff (samt latentem logischen Subjekt) ist durchaus gegenüber Einwänden haltbar und pragmatisch zu empfehlen...

http://tinyurl.com/ztfy6v3
http://www.linguistik-online.de/13_01/hentschel.html

:book: :wink:
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