Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

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Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Honigdachs » Sa 6. Mai 2017, 12:07

Hallo liebe Lateinfreunde,

ich habe gerade aus Ovids Tristien das zweite Gedicht des ersten Buches gelesen und bin dabei auf folgende Stelle gestoßen - Ovid ist auf seiner Reise ins Exil in einem Seesturm, fleht die Götter an und schreibt, dass es für ihn in Ordnung sei zu sterben, aber nicht auf diese klägliche Art und Weise:

(51) nec letum est miserum, genus est miserabile leti:
demite naufragium, mors mihi munus erit.
(53) est aliquid fatove suo ferrove cadentem
in solida moriens ponere corpus humo,
(55) et mandare suis suprema et habere sepulcrum
et non aequoreis piscibus esse cibum.


Die fettgedruckte Stelle habe ich nicht richtig verstanden. Worauf bezieht sich der Akkusativ? Da ich keinen richtigen Bezugspunkt im Satz sehe, würde ich ihn für einen Akkusativ der Beziehung (graecus) halten?!

Ist das richtig? Und wenn ja: Der Fußnotenapparat überschlägt sich bei diesen Versen. Die scheinen sehr unübersichtlich bzw. divers überliefert zu sein. Unten steht statt suprema auch aliquem, aliqua, aliquid (was nicht mal aufginge) oder aliquo; statt habere findet sich auch sperare und statt sepulcrum neben sepulcra sogar salutem ... bei Vers 53 ist das ähnlich: statt cadentem findet sich auch cadentis, cadenti, cadendum, candendo und cadente ... die ersten 3 davon würden sich relativ logisch in den Text einfügen (candendo und cadente würde ich nicht so recht verstehe - das würde sich dann ja auf fato/ferro beziehen).
Wird cadentem hier allein deshalb vorgezogen, weil es die schwierigere Lesart ist? Mich überzeugt das irgendwie nicht so richtig - in dem Gedicht findet sich weit und breit keine solche ungewöhnliche Konstruktion. Warum dann ausgerechnet an dieser Stelle?
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon marcus03 » Sa 6. Mai 2017, 12:48

Mein Erklärungsversuch:

cadentem (esse) : Prädikatsnomen des Infinitivs steht im Akk.
(analog zu cibum esse)

wörtl:
Es ist nicht ohne Bedeutung, ein durch sein Schicksal oder durch das Schwert Umkommender zu sein
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Zythophilus » Sa 6. Mai 2017, 13:13

Man sollte den nächsten Vers nicht außer Acht lassen, und mit dem darin vorkommenden Infinitiv ergibt sich auch eine schöne Konstruktion für den Akkusativ.
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Honigdachs » Sa 6. Mai 2017, 13:34

Zythophilus hat geschrieben:Man sollte den nächsten Vers nicht außer Acht lassen, und mit dem darin vorkommenden Infinitiv ergibt sich auch eine schöne Konstruktion für den Akkusativ.


Aber in dem zweiten Vers steht doch bereits ein Akkusativ mit moriens corpus - deshalb weiß ich ja nicht wohin mit cadentem, denn das ist ja nicht kongruent dazu

Mein Verständnis von diesem Vers:

Es ist immerhin etwas / es hat etwas für sich / es ist nicht ohne Bedeutung (wie von marcus03 vorgeschlagen)
den sterbenden Körper in (die) feste Erde zu legen

und jetzt der 2. Teil des Hexameters:
cadenti - für denjenigen, der durch sein Schicksal oder durch das Schwert stirbt
cadentis - den Körper desjenigen, der durch sein Schicksal oder durch das Schwert stirbt
cadentem - wenn jemand durch sein Schicksal oder durch das Schwert stirbt

Oder wie würden sich die beiden Verse eurem Verständnis nach übersetzen lassen?
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon marcus03 » Sa 6. Mai 2017, 13:50

So könnte es klappen mit dem AcI:
Es ist immerhin etwas / es hat etwas für sich / es ist nicht ohne Bedeutung, dass/wenn einer, der ... umkommt, den sterbenden Körper in (die) feste Erde legt/legen kann.

Dass/Wenn man durch ...umkommend/beim Tod durch ... den ... legt, spielt eine erhebliche Rolle.
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Honigdachs » Sa 6. Mai 2017, 14:02

Achso! Danke, jetzt verstehe ich, was ihr meint. cadentem ist das Akkusativ-Subjekt in dem AcI

Das kam mir gar nicht in den Sinn, weil ich nicht daran dachte, dass der Sterbende seinen Körper selbst in ein Grab legt (das machen ja andere für ihn) ... aber solida humus muss man in dem Zusammenhang wohl gar nicht als Grab auffassen, sondern tatsächlich nur als den Boden, zu dem man fällt, wenn man stirbt (erst im nächsten Vers heißt es ja dann habere sepulcrum)

Besten Dank!
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon marcus03 » Sa 6. Mai 2017, 14:19

PS:
Man könnte auch umgekehrt cadentem ponere zum Subjektsinfinitiv machen und aliquid zum Prädikatsnomen:

Das-den sterbenden Körper-auf-festen-Boden-Legen, wenn man durch ... umkommt, hat Bedeutung.
(cadere wäre dann Subjektsakk. des erweiterten Subjektinfinitív ponere).
Der Übergang zum AcI ist hier fließend. Vllt. auch eine gute Stelle, um die Entstehung des AcI aufzuzeigen.
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Prudentius » Sa 6. Mai 2017, 16:59

cadentem - wenn jemand durch sein Schicksal oder durch das Schwert stirbt[/quote]

So ist es richtig, denke ich; "cadentem" ist Prädikativum zu dem Obj. moriens corpus, mit leichter Inkonzinnität, indem es sich auf den noch lebenden Menschen bezieht.

cadentem (esse) : Prädikatsnomen des Infinitivs steht im Akk.


Der Infinitiv wäre ja ponere! "Prädikativum zum Obj. corpus" würde ich lieber sagen.

Da ich keinen richtigen Bezugspunkt im Satz sehe,


Ganz richtig ist der Bezugspunkt nicht, aber ein wenig richtig :-D , Inkonzinnität, wenn die Überlieferung stimmt.

Ein ACI liegt nicht vor, es ist ja kein Subjekt da, kein Totengräber.
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Tiberis » Sa 6. Mai 2017, 22:24

Prudentius hat geschrieben:Ein ACI liegt nicht vor


so? was denn sonst? es liegen sogar vier (!) AcI vor, allesamt Subjekt zu est aliquid. und in allen ist cadentem der subjektsakkusativ:
(es ist nicht ohne belang, dass ein Sterbender...)
a) seinen .. Leib auf festen Boden legt
b) seinen Angehörigen die letzten Ehren überantwortet
c) ein Grabmal besitzt
d) nicht den Meeresfischen als Nahrung dient
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Prudentius » So 7. Mai 2017, 15:44

est aliquid fatove suo ferrove cadentem
in solida moriens ponere corpus humo,

Tiberis hat geschrieben:so? was denn sonst? es liegen sogar vier (!) AcI vor, ...


Ich würde lieber einen erweiterten substantivierten Infinitv erkennen, ponere; so ein Partizip wie cadentem steht doch normalerweise als Prädikativum bei einem Infinitiv, meist auf ein Subjekt bezogen, manchmal aber auch auf ein "Phantom"-Subjekt bezogen; ich würde also im Zweifelsfalle lieber das wählen.

Für entscheidend halte ich aber den 1. von deinen ACIs, da wäre ja gesagt, dass der Verstorbene sich selber bestattet, lieber Tiberis, überdenke die Sache nochmal!

Etwas freier formuliert, möchte ich so verstehen: "Es ist annehmbar, wenn einer stirbt, ihn in der Erde zu bestatten"; oder noch freier: "Im Todesfall ist Erdbestattung annehmbar"; bei der konditionalen Übersetzung des Pc. ist es ja egal, ob man es auf das Objekt oder das nicht genannte Subjekt bezieht.
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Zythophilus » So 7. Mai 2017, 17:10

Wenn man einen Infinitiv um einen Subjektsakkusativ erweitert, hat man einen AcI. Hier steckt das "Phantom"-Subjekt im Partizip, aber so ungewöhnlich ist das nicht. Die Wendung corpus ponere heißt nicht "bestatten" - das mag möglich sein, wenn deutlich ist, dass es der Körper eines anderen ist -, sondern "sich legen": corpus ist hier eindeutig als corpus des cadens zu sehen.
Es geht um den Seesturm, der Ovid auf der Fahrt in seinen Verbannungsort offensichtlich fürchten ließ, das Schiff würde kentern und er im Meer umkommen. Für ihn scheint aber der Tod auf dem festen Land mit einem Grab, für das bzw. die Bestattung er natürlich nicht selber verantwortlich ist, erstrebenswerter als das Ertrinken, das die Bestattung unmöglich macht; drastisch drückt er das mit aequoreis piscibus esse cibum aus.
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon marcus03 » So 7. Mai 2017, 17:57

Zythophilus hat geschrieben: drastisch drückt er das mit aequoreis piscibus esse cibum aus.


Ovid als Fischfutter! Da würde den Kaltblütern sicher schnell sehr warm um Herz. :wink:
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Honigdachs » So 7. Mai 2017, 19:13

Zythophilus hat geschrieben:Wenn man einen Infinitiv um einen Subjektsakkusativ erweitert, hat man einen AcI. Hier steckt das "Phantom"-Subjekt im Partizip, aber so ungewöhnlich ist das nicht. Die Wendung corpus ponere heißt nicht "bestatten" - das mag möglich sein, wenn deutlich ist, dass es der Körper eines anderen ist -, sondern "sich legen": corpus ist hier eindeutig als corpus des cadens zu sehen.
Es geht um den Seesturm, der Ovid auf der Fahrt in seinen Verbannungsort offensichtlich fürchten ließ, das Schiff würde kentern und er im Meer umkommen. Für ihn scheint aber der Tod auf dem festen Land mit einem Grab, für das bzw. die Bestattung er natürlich nicht selber verantwortlich ist, erstrebenswerter als das Ertrinken, das die Bestattung unmöglich macht; drastisch drückt er das mit aequoreis piscibus esse cibum aus.


Dieses Verständnis von der Textstelle habe ich auch entwickelt, als mir klar wurde, das cadentem hier das Subjekt des AcI ist ... Mir ist jetzt auch klar, warum das die bevorzugte Lesart ist.

gratia sit vobis linguae pediumque periti!
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon marcus03 » So 7. Mai 2017, 19:21

Honigdachs hat geschrieben:pediumque periti!


pedum? :)
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Re: Ovid trist. 1, 2, 53 - griech. Akkusativ?

Beitragvon Zythophilus » So 7. Mai 2017, 19:22

gratia sit vobis linguae pediumque periti!

Gibt es irgendwo die Nebenform pedium statt pedum? Oder sind wirklich Läuse gemeint?
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