Übersetzungsmethoden

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Übersetzungsmethoden

Beitragvon marcus03 » Mi 22. Nov 2017, 13:05

Was haltet ihr von dieser Methode?
https://de.wikipedia.org/wiki/Drei-Schritt-Methode
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Prudentius » Mi 22. Nov 2017, 19:30

Von solcher Theoriendiskussion verspreche ich mir wenig, wichtig ist Vokabelkenntnis, manchmal versteht man gleich; ansonsten ist "Konstruieren" das richtige, d.h. das Prädikat ermitteln, das schlagende Herz des Satzes; und dann dazu das Subjekt: dazu verhilft die Überprüfung der Kasusrektion: wo ist der Nominativ, dem diese Funktion zugeteilt ist; und dann gleich die Gegenprobe: die Numeruskongruenz, die das Prädikat an das Subjekt bindet; also mit dieser Doppelbindung bekommt man den Satzkern SP in den Griff, und dann das übrige.

Ähnlich ist es wie beim Sudoku-Lösen: es hat keinen Sinn, eine Richtlinie vorzuschreiben, wie man vorgehen muss; am besten tastet man sich irgendwie durch und versucht, Wissensinseln in dem Chaos des Unekannten zu schaffen.
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Tiberis » Do 23. Nov 2017, 01:22

Also ich werde aus diesem Wikipedia- Wortgeschwurbel sowieso nicht schlau. Diese sogenannte Drei-Schritte-Methode , deren angebliche Vorteile sich mir nicht erschließen, ist ja offenbar nichts anderes als ein weiterer Versuch, einen lateinischen Text nicht als Sprache, sondern als grammatisches Konstrukt darzustellen, das es zu "entschlüsseln" gilt wie irgendeinen Geheimcode. Niemandem würde es einfallen, eine - vergleichbar schwierige -moderne Fremdsprache auf solch eine Art zu vermitteln. Angesichts solcher zweifelhafter "Methoden" braucht sich niemand zu wundern, wenn sich die Schüler dann kaum vorstellen können, dass Latein einmal eine lebende Sprache war, die problemlos gesprochen und verstanden wurde. :-o
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Prudentius » Do 23. Nov 2017, 20:38

Stomachatus hat geschrieben: ... aber eine Sprache ist kein Sudoku.


Aber das Erschließen eines Satzes hat Ähnlichkeiten mit dem Lösen eines Sudokus. Bei beiden überkommt einen manchmal das kafkasche "Gib's auf!", und dafür wollen wir Ariadnefäden anbieten :) .
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Prudentius » Do 23. Nov 2017, 21:05

Stomachatus hat geschrieben: ... würde man all das im Bezug auf den Englischunterricht sagen? Antwort: nein. Warum?


Im Englischunterricht kann man anfangen: "This is a pencil", im L. nicht: Warum nicht? D. und E. haben eine weitgehend analoge Organisation der Satzglieder, die Satzglieder erkennt man an der Wortstellung, es gibt wenig Endungen. Im L. dagegen herscht eine andere Organisation der Satzglieder: die Wortstellung ist frei, dafür werden die Satzglieder nach Kongruenz und Rektion organisiert. Das fällt uns schwer, muss mühsam eingeübt werden, wir müssen erst Deklinieren und Konjugieren einüben. Wenn wir das nicht machen, dann fallen die Schüler beim Caesar auf die Nase.
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Tiberis » Do 23. Nov 2017, 21:56

Prudentius hat geschrieben:Im Englischunterricht kann man anfangen: "This is a pencil", im L. nicht


Das ist noch lange kein Grund dafür, den Lateinunterricht so anzulegen, als ob es um die Entschlüsselung eines Rätsels bzw. eines Geheimcodes ginge. dass es auch anders geht, beweist u.a. die Örberg-Methode. Dieses ganze , bemerkenswerterweise gerade im deutschen Sprachraum so beliebte "Entschlüsseln" und "Konstruieren" bewirkt lediglich, dass kaum jemand, der damit malträtiert wurde, in der Lage ist, tatsächlich Latein zu sprechen. Unter den sogenannten lebenden Fremdsprachen gibt es zahlreiche, die für den deutschsprachigen Lernenden nicht weniger anspruchsvoll und schwierig sind als Latein. Aber niemandem würde es in den Sinn kommen. etwa russische oder ungarische Texte mit ähnlich abwegigen Methoden "entschlüsseln" zu wollen. Das Herangehen an lateinische Texte gleicht leider meist eher dem Sezieren eines Leichnams oder, weniger polemisch ausgedrückt, dem Lösen einer mathematischen Aufgabe. Das Verständnis dafür, dass es sich bei diesen Texten um Sprache (!) handelt, kommt dabei allzu oft abhanden.
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Ioscius » Fr 24. Nov 2017, 14:03

Zum einen möchte ich Tiberis in puncto Fehldidaktik der letzten Jahrzehnte zustimmen: Aufgrund der Reduktion, nicht mehr ins Lateinische zu übersetzen und lateinische Sätze mehr als ein Algorithmus zu betrachten, der entschlüsselt werden müsste, kommt es eben - freilich überspitzt gesagt - zu so katastrophalen Zuständen, dass in anderen Fremdsprachen in dieser Sprache diskutiert werden kann, während in Latein die Übersetzung zweier Sätze eine Unterrichtsstunde einnehmen kann. Ich kenne viele, die zum Übersetzen von "amicam habeo" dann die Deklination runterrattern (a, ae, ae usw...), um einen solchen Satz zu übersetzen. Ein Großteil der Studenten wüsste nicht auf Anhieb wie 2 "Ich heiße" zu übersetzen will.

Doch der Erfinder dieser Drei-Schritt-Methode, die der Wikipedia-Eintrag freilich wie ein solches Entschlüsselungssystem aussehen lässt, will dem entgegentreten und unter Berücksichtigung deutscher Regeln, wie dass das Prädikat immer an zweiter Stelle stehen muss oder im Nebensatz eine andere Satzstellung ist, eine möglichst natürliche Übersetzung des lateinischen Textes - OHNE REKONSTRUKTION - hervorbringen, bei dem der Übersetzer nicht analysiert.

Indem diese Methode dem Umstand Rechnung trägt, dass die isolierte Betrachtung einzelner sprachlicher Elemente wie die der syntaktischen Strukturen künstlich ist und Sprache stattdessen nur ganzheitlich funktioniert - im Einklang mit der neusprachlichen Unterrichtsmethodik -, bedient sich diese der muttersprachlichen Kompetenz und der Verstehenserwartung (Sach-, Welt-, Erfahrungswissen); es findet also eine Verknüpfung von Wortschatz, Morphologie, Syntax und Semantik sowie insbesondere auch Inhalt und Interpretation statt, wodurch lateinische Originallektüre effizienter übersetzt werden kann.

Ich möchte den Erfinder nicht verteidigen, aber ich kenne ihn, und er hat mich bei einem Kaffee in seiner Wohnung von der Wirksamkeit dieser Methode überzeugt. Er hat übrigens auch immer versucht, Schüler deutsche Sätze ins Lateinische bzw. Griechische übertragen zu lassen.
Zuletzt geändert von Ioscius am Fr 24. Nov 2017, 16:15, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon marcus03 » Fr 24. Nov 2017, 15:49

Ioscius hat geschrieben:Er hat übrigens auch immer versucht, Schüler ... ins Lateinische bzw. Griechische zu übertragen.


Hoffentlich hat er sich dabei nicht überhoben oder sich gar einen Lendenbruch zugezogen! ;-)
Ein klassischer Übertragungsfehler, wie's aussieht.
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Ioscius » Fr 24. Nov 2017, 16:17

marcus03 hat geschrieben:
Ioscius hat geschrieben:Er hat übrigens auch immer versucht, Schüler ... ins Lateinische bzw. Griechische zu übertragen.


Hoffentlich hat er sich dabei nicht überhoben oder sich gar einen Lendenbruch zugezogen! ;-)
Ein klassischer Übertragungsfehler, wie's aussieht.


Habe es soeben berichtigt, danke.
Da ich seit Februar an Hausarbeiten und an meiner wissenschaftlichen Arbeit vor dem Examen schreibe, bin ansonsten vergleichsweise schreibfaul, und habe davon abgesehen, meinen Text nochmal durchzulesen.. :book:
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon marcus03 » Fr 24. Nov 2017, 16:38

Ioscius hat geschrieben: und an meiner wissenschaftlichen Arbeit vor dem Examen schreibe

Thema? Würde mich in deinem Fall besonders interessieren. :)
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Prudentius » Fr 24. Nov 2017, 20:01

Ich glaube, ihr macht euch was vor mit euren Empfehlungen der neusprachlichen Didaktik für das L.
Der E-Lehrer kann in der ersten Stunde mit seinem "This is ..." das gesamte Umfeld erschließen, aber wenn wir als Lateiner so anfangen wollten, dann müssten wir gleich mit "Hic est / haec est / hoc est" kommen, das heißt, wir müssten die Kategorie Genus einführen, und damit die ganze KNG-Kongruenz, und das wäre völlig unsinnig, und so fangen wir lieber mit "Puella cantat / puellae cantant" an.
L. ist nicht schwieriger als andere Sprachen, aber wie gesagt, die Grammtik-Systeme sind nicht kompatibel, man kann flüssig sprechen, aber man muss Kongruenz und Rektion verinnerlicht haben. Unsere Schüler sind noch ganz unvertraut mit dieser ungewohnten Art, die Satzteile zu organisieren, sie sind noch ganz am Anfang, wo man noch konstruieren und analysieren muss.
Auch in den neueren Sprachen ist dieses Analysieren und Konstruieren Voraussetzung zum Verstehen, aber es läuft unbewusst ab, das Bewusstsein gibt diese Aufgaben an Subunternehmer ab; aber grundsätzlich ist es nicht anders als im L.
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Willimox » Sa 25. Nov 2017, 09:40

Bisschen überhitzt, was da im Namen freier lateinischer Rede an Worten gesetzt wird.
Scheint mir. Vielleicht auch ein wenig ranzig. Verraunzt auf jeden Fall.
:smile:
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Re: Übersetzungsmethoden

Beitragvon Prudentius » Sa 25. Nov 2017, 11:36

Bei so einem schwierigen Gebiet ist es gut, wenn konträre Ansichten ausgebreitet werden. Ich möchte auch nicht missverstanden werden, das Konstruieren und Analysieren soll nicht absolut gesetzt werden, nicht als letztes Ziel genommen werden; es ist vielmehr eine kurzlebige Episode in dem längeren Prozess der Texterarbeitung; ihm geht voraus die Phase des Chaos und Labyrinths oder der Aporie, dass der Schüler vor einer langen Wortreihe sitzt und damit zunächst gar nichts anfangen kann, dass er sagt. "Gib's auf!" oder "Ich hätt ein anderes Fach wählen sollen!" Da ist der Rat angebracht: Analysiere und Konstruiere! Die nächste Phase ist das Aha-Erlebnis, wenn es gut geht, und vllt. sogar ein wachsendes Sprachverständnis.
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