transire per Romam?

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Re: transire per Romam?

Beitragvon Tiberis » Mo 4. Dez 2017, 17:02

Zythophilus hat geschrieben: also ob es Formias transiit auch mit dem Sinn "er ging nach Formiae hinüber" gibt.

möglich müsste es sein, obwohl ich keinen Beleg dafür finde. Romam transiit hieße dann "er übersiedelte nach Rom".
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Re: transire per Romam?

Beitragvon Sokrates » Mo 4. Dez 2017, 20:59

Salvete,

dass ein Akkusativ bei transire ein Richtungsakkusativ sein soll, wäre eine sekundäre Betrachtungsweise, die Entwicklung war eine andere:

Transitivierung durch Präverbierung (Heberlein, Skripte zur Syntax I):
trans flumen ire -> flumen transire

Achtung: Nach Touratier (in Liebermann, Lateinische Präpositionen, S. 229f.) bezeichne trans das „Überschreiten eines zweifach abgegrenzten Bereichs, (...) es geht nämlich mit dem Eintritt in die Fläche eines Bezugspunktes, seiner vollständigen Durchquerung und schließlich dem Austritt aus der Fläche einher.“ Dabei ist nach Liebermann das Landmark (der Bezugspunkt) stets flächig, steht sowohl bei Bewegungs- wie Ruheverben. Oft werde eine Bewegung als Querlinie durch ein doppelt begrenztes Gebiet beschrieben. Die Verortung (von Subjekt oder Objekt) beziehe sich meist auf ein Gewässer oder Gebirge als Hindernis!
Eine Stadt wird, wenn man mal von der Vogelperspektive draufschaut, eher als Punkt in Erscheinung treten, nicht als flächiges Hindernis. Daher findet sich ein Satz wie trans Romam ire selten, eine Transitivierung durch Präverbierung zu Romam transire ist also auch ungewöhnlich. Eine Richtungsergänzung im Akkusativ passt nicht zur Erklärung aus einer präpositionalen Verbindung.
Anders natürlich Fälle von doppeltem Präverb/Präposition dux milites trans Rhenum in Galliam traducit.
Dagegen kommt ein per fines Haeduorum ire oft vor, da per zum einen den simplen Durchlauf durch eine Fläche, zum anderen die vollständige Beschreibung dieser Fläche beim Durchschreiten bezeichnet, vgl. per urbem it geht druch die Stadt und fama per orbem terrarum it verbreitet sich über die ganze Welt. Ein per urbem transire ist also gut verständlich, ein Romam transire nach Rom hinübergehen ist nicht stimmig.

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Re: transire per Romam?

Beitragvon Tiberis » Di 5. Dez 2017, 00:59

Sokrates hat geschrieben:Eine Stadt wird, wenn man mal von der Vogelperspektive draufschaut, eher als Punkt in Erscheinung treten, nicht als flächiges Hindernis


als punktuelles "Hindernis" wird eine Stadt wie Rom wohl nur aus der Satellitenperspektive wahrgenommen. :D
Aber letztlich ist es ja auch vollkommen egal, wie dieses sogenannte Hindernis aussieht, das man passiert/ überquert/ durchquert /überwindet. transire mit dem akk. des "Hindernisses" ist keineswegs selten oder gar ungebräuchlich. Beispiele: Lucr.4, 459 campos; Caes.BG 1,12,2; 1,13,2 flumen; Hor.ep.1,6,59 forum; Cic.Pis.24,57 maria, id. Att. 9,3,1 Formias (!) usw.usw.
Die Frage war ja nun, ob transire (als intransitives Verb in der Bedeutung "(hin)übergehen" in Verbindung mit einem Ortsakkusativ stehen kann:
Unstrittig sind ja Beispiele wie Boios, qui... in agrum Noricum transierant (Caes.BG 1,5,4), in Britanniam (ibid.4,30,2), in Helvetiorum fines (ibid.1,28,4) u.dgl.
analog muss es daher möglich sein, zu sagen e provincia in urbem transire (aus der Provinz in die Stadt ziehen), oder eben e provincia Romam transire, wobei letzteres zugegebenermaßen etwas ungewöhnlich klingt...
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Re: transire per Romam?

Beitragvon Sokrates » Di 5. Dez 2017, 10:55

Salvete,

natürlich sind die Hindernisse in der Regel Berge, Flüsse etc., aber auch eine Fläche (Campos) oder gar eine als "Punkt mit gewisser Raumnahme", wie es ich profan nennen würde :lol: , begriffene Stadt kann mit trans beschrieben werden.
Der point d'appui ist ein anderer: Der Akkusativ hat aus diachroner Perspektive zunächst als Richtungsangabe, parallel dazu und hernach als Objektkasus gedient. Wenn ein Akkusativobjekt bei transire einer Umgliederung erwachsen ist, also die genannte Transitiverung aus Präverbierung stattgefunden hat, als: trans campos Ire -> campos transire, dann ist dieser Akkusativ ausschließlich als Objekt zu verstehen. Natürlich gab es schon Akkusativobjekte, bevor die Verdeutlichung der (örtlich-zeitlichen) Ergänzungen oder Adverbialia durch Präpositionen auftrat (in Galliam iter facere) und ganz sicher gab es schon vorher den reinen Akkusativ als Richtungsangabe (Romam Ire), aber ein Kompositum aus Präposition und Bewegungsverb in Verbindung mit einem Akkusativ hatte primär oben beschriebene Entwicklung durchgemacht.
Wenn in einer späteren Sprachphase dieses zusammengesetzte Verb eine etwas andere Bedeutungsnuance und also andere Konstruktion angenommen haben sollte, wäre ein Romam transire in der Bedeutung, wie ihr sie unterstellt, sicher denkbar, aber eben eine sekundäre Erscheinung, in welcher die ursprünglichen Verhältnisse verdunkelt wären und ein Relikt der "Prä-Präposiitonszeit", der einfache Richtungsakkusativ, nicht mehr als Objekt fehlgedeutet werden konnte, wenngleich eine starke Ambiguität des Ausdrucks zu jede Epoche bestünden hätte.
Ein intransitives transire ist möglich, da jedes Verb auch intransitiv gebraucht werden kann, aber die Bedeutung hinübergehen nach (intrans.) ist jünger oder ähnlich alt, nie aber älter als das transitive überqueren. Ein e provincia in urbem transire ist deswegen völlig unkritisch, weil hier eben ein Intransitivum, also sekundäre Bedeutung, vorliegt, und die Konstruktion mit 2 Präpositionen belegt, dass die primäre Verbindung aus Akkusativ und trans hier nicht mehr tragend ist, ein Romam transire mag analog gedacht sein, aber in in praxi aufgrund oben beschriebener Doppeldeutigkeit zunächst unsicher.

Gibt es denn eindeutige Belege für genau diese Konstruktion in der von euch vorgeschlagenen Bedeutung?

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Re: transire per Romam?

Beitragvon Lychnobius » Fr 8. Dez 2017, 15:26

Für ein Adverbial (eine freie Angabe also) sollte es keine Rolle spielen, welche Funktion die vom Verb regierten Objekte übernehmen und inwiefern diese durch das Präverb bestimmt wird. Ob die Angabe einer Zielrichtung durch Präpositionalgruppe oder durch bloßen Akkusativ ausgedrückt wird, hängt nun aber von der Art des Ziels ab, nicht vom Verb und seinen Ergänzungen. Entsprechend findet man auch bei transire eine durch bloßen Akkusativ ausgedrückte Richtungsangabe. Einige, auf die Schnelle ermittelte Beispiele:

  • illac per hortum nos domum transibimus. (Plaut. Merc. 1009)
  • intro abi ergo, et si isti est mulier, eam iube cito domum transire. (Plaut. Mil. 256)
  • suscepto igitur civili bello ac ducibus copiisque in Italiam praemissis interim Alexandriam transiit (Suet. Ves. 7)
  • horum residuam stirpem ex Sabinis transisse Romam (Suet. Vit. 1)
  • itaque, [...], Cumas transiit ibique in otio vixit et multa conposuit (Suet. gramm. 8)
  • ac professus diu in patria quinquagesimo demum anno Romam consule Cicerone transiit (Suet. gramm. 9)
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Re: transire per Romam?

Beitragvon Sokrates » Fr 8. Dez 2017, 19:39

Salvete,

Für ein Adverbial (eine freie Angabe also) sollte es keine Rolle spielen, welche Funktion die vom Verb regierten Objekte übernehmen und inwiefern diese durch das Präverb bestimmt wird


Das ist richtig, aber ob der bloße Akkusativ überhaupt als Adverbiale zu verstehen ist, hängt maßgeblich sowohl von der Valenz des transire als auch insbesondere vom eigentlichen Lexem ab, das den Akkusativ ausmacht. Wenn ein Akkusativobjekt steht, ist eine Richtungsergänzung wie Romam nicht möglich, ein Adverbial Romam i.e.S. ist in keinem Satz möglich.

Generell kann man grob zwischen folgenden beiden Fällen unterscheiden:

I. transire als Transitivum: überqueren, über etwas gehen:
der bloße Akkusativ ist das Objekt. Es handelt sich dabei i.d.R. um ein natürliches Hindernis, etwa einen Fluss. Diese Konstruktion ist aus dem bereits dargestellten Präverbierungsprozess entstanden.

II. durch Verzicht auf ein direktes Objekt entsteht ein transire als Intransitivum:
hin(über)gehen
Dass eine solche Intransitivierung sekundär ist, ursprünglich also immer ein Objekt vorhanden war, wird dann deutlich, wenn man bedenkt, dass trans erst bei den Späteren als eigentliches Adverb gebraucht wird, vorher aber nur als Präposition oder Präverb, ein hin(über)gehen also keines Akkusativobjektes mehr, sondern einer Richtungsergänzung bedurfte, sobald der o.g. Prozess eingetreten war. A priori kann es also kein trans (Adverb) und Ire gegeben haben (intrans.), sondern nur ein transire ohne Objekt.

Die Entscheidung über Fall I oder II, also über die Bedeutung des Verbs, legt (für den Schreiber) die Wertigkeit und die Ergänzungen oder Erweiterungen eines transire fest, diese letzteren aber legen (für den Leser) die Bedeutung des transire fest!
Eine Stadt als Zielpunkt wird bei transire besonders dann stehen können, wenn es intransitiv ist.
Der zweite Fall wurde für den Römer nur möglich, da sich die Bedeutung von transire zu einer intransitiven verschoben hatte und ein bloßer Akkusativ als Richtungsergänzung nicht zu allzu großer Ambiguität führte, weil ein Städtename oder ein erstarrtes domum nicht so gut mit einer Bedeutung vereinbar wäre, wie sie ein Substantiv haben müsste, das als Akkusativobjekt nach der Präverbierung fungiert, also etwa ein Fluss. Es gibt allerdings auch für solche Fälle Beispiele, Formias transire, wo die Stadt Objekt ist. Die Fälle sind in der sprachlichen Praxis natürlich nicht absolut und ausschließlich.

flumen transire = "über den Fluss gehen", den Fluss überqueren

per Romam transire = durch (das Stadtgebiet von) Rom (hindurch) gehen

aber auch Formias transire = F. durchschreiten

Romam transire = nach Rom (hinüber) gehen


Einen Dank für die vielen Stellen,

LG,
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