Fragen zur Metrik

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Fragen zur Metrik

Beitragvon Sternenkind » Mi 7. Feb 2018, 15:49

Guten Tag,

1) Vergil, Vers 286:

Gorgones Harpyiaeque et forma tricorporis umbrae

Ich hätte den Vers folgendermaßen skandiert:

- - / - u u / - - / - u u / - u u / - x

Gorgones : - - - (da die Endung des Nom. Pl. der 3. Deklination ja eigentlich lang ist)

Im Internet habe ich nun folgende Analyse gefunden (die Seite scheint mir seriös zu sein):

- u u / - - / - - / - u u / - u u / - -


Ist die richtig? In meiner Versanalyse geht ja auch alles auf und eine Zäsur ist auch möglich :nixweiss:

Frage mich außerdem bei Harpyiae, ob hier Muta cum Liquida vorliegt. ( Vokal, der von B P, D, T, G C sowie L, R, M, N) gefolgt wird. Oder spricht man nur davon, wenn die Liquida vor den Muta stehen? Wisst ihr, was ich meine? Bin grad wirklich verwirrt :-o :-o


Liegt bei Harpyiaeque eine Synizese vor? Y und i werden ja zusammen gesprochen.

Im Vers 278 steht das Adjektiv "consanguineus". Handelt es sich dabei auch um eine Synizese? Ausgesprochen wird es ja als "consangIneus"


Probleme bereitet mir auch der Vers 274:

Luctus et ultrices posuere cubilia Curae

Meine Analyse:

- - / - u u / - u u / - u u /- u u / - x

Internet:

- u u / - - / - u u / - u u / - u u / - x

In allen Übersetzungen, die ich gefunden habe, war Luctus mit einem Plural übersetzt. Warum sollte die Endung u dann kurz sein?

in Eduard Nordens Kommentar steht, dass Vergil in V. 281 vipereus für das metrisch unbrauchbare viperinus benutzt. Wieso das? Beide Adjektive haben dieselbe Silbenzahl :shock:
Danke im Voraus
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Willimox » Mi 7. Feb 2018, 16:17

Weiß nicht, ob Du den pedecerto als anregend ge/be-funden hast?

Gṓrgŏnĕs Hā́rpȳiǣ́que‿ēt fṓrmă trĭcṓrpŏrĭs ū́mbræ

Und ja, das "i" der "Harpyiae" ....

http://www.pedecerto.eu/scansioni/query

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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Sternenkind » Mi 7. Feb 2018, 17:47

Willimox hat geschrieben:Weiß nicht, ob Du den pedecerto als anregend ge/be-funden hast?

Gṓrgŏnĕs Hā́rpȳiǣ́que‿ēt fṓrmă trĭcṓrpŏrĭs ū́mbræ

Und ja, das "i" der "Harpyiae" ....

http://www.pedecerto.eu/scansioni/query

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Was ist mit dem i? :-o
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Willimox » Mi 7. Feb 2018, 18:22

Wird als "j" mit dem folgenden DIphtong verschmolzen.
Und die Mutacumliquida-Regel meint eine Verknüpfung mit der Muta an erster Stelle ...
(keine Kommutation in dieser Regel)

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Zuletzt geändert von Willimox am Mi 7. Feb 2018, 19:15, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Prudentius » Mi 7. Feb 2018, 18:46

—◡◡

Muta cum liquida,

d.h. ein stummer Laut, gefolgt von einem flüssigen;
z.B. patris ◡◡; aber partis —◡; beidemale kurzes a, aber beim zweiten lange Silbe.
Deshalb stimmt deine Analyse bei Harp-yiae nicht, das ist lang, weil zwei Konsonanten folgen.

Bei "Luctus et ultrices ..." hast du dem et ein langes e verliehen, tu das nicht!

Bei Gorgones ist die Endung -es nach dem Griechischen genommen, also kurz, mit Epsilon.
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Sternenkind » Mi 7. Feb 2018, 19:47

Vielen Dank :) Ihr seid einfach super :klatsch: :klatsch:

Könnt ihr mir bitte noch sagen, ob ich das mit der Synizese richtig verstanden habe?
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Prudentius » Do 8. Feb 2018, 09:14

Sternenkind hat geschrieben:Liegt bei Harpyiaeque eine Synizese vor? Y und i werden ja zusammen gesprochen.


Nein, y und i bilden im Gr. einen Diphthong wie auch ai, ei, oi; also "Harpyiae", drei Längen, — — —.
:)
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Sternenkind » Do 8. Feb 2018, 20:16

Ah, ok. Vielen Dank, Prudentius. Wie sieht es bei consanguineus aus? :wink:
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Prudentius » Fr 9. Feb 2018, 10:35

Im Vers 278 steht das Adjektiv "consanguineus". Handelt es sich dabei auch um eine Synizese? Ausgesprochen wird es ja als "consangIneus"


Es ist wie bei lingua: nicht lin - ga auszusprechen, auch nicht lin - gu - a, sondern ling - wa, zweisilbig, das u nennt man hier "Halbvokal"; san - guis, zweisilbig,
also consanguineus — — ◡ ◡ —, die letzte Silbe ist positionslang.
Keine Synizese.
:)
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Prudentius » Fr 9. Feb 2018, 10:44

Noch eins ist mir eingefallen:

Probleme bereitet mir auch der Vers 274:

Luctus et ultrices ... Warum sollte die Endung u dann kurz sein?


Probier es doch mit einem langen u: dann bekommst du für "-tus et ultr-" — ◡ —, einen Kretikus, und der geht nicht in den Hexameter; merk dir als Regel: "Im Inneren des Hexameters gibt es die Kürzen nur im Doppelpack" :-D
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon ille ego qui » So 18. Feb 2018, 18:25

@Harpyiae

Auch viersilbig ließe sich lesen. Vgl.:
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/Harpyia?hl=harpy%2A
und
http://www.thelatinlibrary.com/rutilius.html

Non olim sacri iustissimus arbiter auri
circumsistenses reppulit Harpyias


Gibt es überhaupt einen sicheren Hinweis auf die Länge des y? Wie sieht es im Griechischen aus?



@ muta cum liquida

Gelegentlich, zum Beispiel im Crusius, werden auch M und N zu den Liquiden gerechnet. Ein einziges Beispiel in der lateinischen (!) Literatur habe ich bisher gefunden, wo das zu gelten scheint:

donatura cycni, si libeat, sonum,


http://latin.packhum.org/loc/893/1/90/653-657@1#90
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Zythophilus » So 18. Feb 2018, 19:25

Sternenkind hat geschrieben: vipereus für das metrisch unbrauchbare viperinus.
Es kommt nicht nur auf die Anzahl der Silben an, sondern auch auf kurze und lange. Die Silbenfolge vīpĕrīnus kann man in einem daktylischen Vers nicht verwenden.
Was die Gorgones betrifft, so würden die, hätten sie die normale lateinische Quantität der Endung -es, ebenfalls nicht in den Hexameter passen. Die griechische Endung -ες macht das allerdings möglich. Dazu verleitet wahrscheinlich noch unsere Aussprache "Gorgónen" zu einer falschen Zuweisung einer Länge.
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon ille ego qui » So 18. Feb 2018, 19:35

Ein Addendum zu Zythophilus:
Mir scheint bei griechischen Wörtern des Typs Gorgones (Nom. Pl.) ein kurzes e (-es) (vgl. epsilon) das Übliche zu sein :-)
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon Zythophilus » So 18. Feb 2018, 20:23

Auch der Akk.Pl. mit kurzem -as (-ας) wird bei diesen Wörtern verwendet.
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Re: Fragen zur Metrik

Beitragvon consus » So 18. Feb 2018, 21:40

Muta cum liquida
Neben die Horazstelle Stelle kann der folgende Pentameter des Ausonius (epist. 24, 8 [ed. Peiper]) gestellt werden:
Quid refert? cornix non ideo ante cycnum.
Da in der griechischen Metrik zu den eigentlichen Liquiden λ und ρ auch die Nasale μ und ν gehören, ist hier vielleicht griechischer Einfluss erkennbar.
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