numquam

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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numquam

Beitragvon marcus03 » Di 12. Jun 2018, 07:22

Kann bei numquam das Imperfekt stehen?

Sokrates hat nie gelogen/log nie? = Socrates numquam mentiebatur/mentitus est ?

Spielt es, wie etwa im Englischen, eine Rolle, ob die Person noch lebt(Gegenwartsbezug) oder nicht?

Gratias praemitto.
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Re: numquam

Beitragvon Medicus domesticus » Di 12. Jun 2018, 08:59

Meinst du einen dauernden Zustand, eine Gewohnheit in der damaligen Zeit des Sokrates, die heute noch angenommen wird?
So könnte man Socrates numquam mentiebatur interpretieren.
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Re: numquam

Beitragvon marcus03 » Di 12. Jun 2018, 09:20

Ich meinte es i.S.v., dass keine Lüge bekannt ist/ dass ihm keine Lüge nachweisbar ist.

Anderes Beispiel: Sokrates hat XY nie besucht. (Es kam nie zu einer Begegnung.)
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Re: numquam

Beitragvon Tiberis » Di 12. Jun 2018, 13:44

nach meinem Sprachgefühl muss hier nach numquam das Perfekt stehen. numquam (niemals, zu keiner Zeit) bezieht sich ja auf punktuelle Ereignisse, also auf einen Zeitpunkt , nicht aber auf eine länger dauernde Handlung, die ein Impf. rechtfertigen könnte. S. numquam mentiebatur könnte man allenfalls als Impf.de conatu interpretieren.
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Re: numquam

Beitragvon Medicus domesticus » Di 12. Jun 2018, 14:29

Tiberis hat geschrieben:nach meinem Sprachgefühl muss hier nach numquam das Perfekt stehen.

Das sehe ich nur in einem punktuellen Ereignis, sonst aber nicht so. Es kann eine Sitte/Gewohnheit des Sokrates als allgemeine Tatsache beschrieben sein, dass er nie log ... und dann kann Imperfekt stehen.
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Re: numquam

Beitragvon marcus03 » Di 12. Jun 2018, 14:46

Ich finde keine (klass.) Belege für numquam+Ind. Imperfekt. An fallor? :nixweiss:
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Re: numquam

Beitragvon Prudentius » Di 12. Jun 2018, 16:30

Medicus domesticus hat geschrieben:Das sehe ich nur in einem punktuellen Ereignis, sonst aber nicht so. Es kann eine Sitte/Gewohnheit des Sokrates als allgemeine Tatsache beschrieben sein, dass er nie log ... und dann kann Imperfekt stehen.


Ich sehe es noch anders; wenn man den numquam-Satz logisch formalisiert, erhält man ungefähr folgendes:

"Für alle Zeitpunkte t gilt:
es gibt keinen Zeitpunkt t,
an dem Sokrates gelogen hat",

es ist eine Allaussage über den Gesamtbereich der Zeitpunkte, erschöpfend, vollständig, abgeschlossen, eben "Perfekt", wie wir sagen.
Dass es so ist, sieht man daran, dass die Widerlegung darin bestehen würde, ein t zu finden, an dem Sokrates gelogen hat.

Ich meine also auch, dass Perf. stehen müsste; Marce, du kennst dich mit den Suchmaschinen aus, schau doch mal, ob bei "numquam ... -ba(n)t" etwas herauskommt!

Ich frage mich aber, wie heißen würde: "Er war nie allein": da würde ich doch eher sagen: Numquam solus erat, weil Alleinsein etwas Duratives, Unabgeschlossenes bedeutet; Marce: kommt "numquam ... era(n)t" vor?
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Re: numquam

Beitragvon marcus03 » Di 12. Jun 2018, 17:19

Ich finde nur Belege für numquam+fu für die Vergangenheit, keine für numquam+Imperf.
http://latin.packhum.org/concordance?q=numquam+fu
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Re: numquam

Beitragvon Tiberis » Di 12. Jun 2018, 21:50

Prudentius hat geschrieben:Ich frage mich aber, wie heißen würde: "Er war nie allein": da würde ich doch eher sagen: Numquam solus erat, weil Alleinsein etwas Duratives, Unabgeschlossenes bedeutet

nein, auch hier ist Perfekt zu erwarten.
Ersetzen wir, damit es klarer wird, numquam durch nullo tempore.
nullo tempore solus fuit = er war zu keiner Zeit allein, also weder gestern, noch vorgestern, noch vor einem Jahr. nullo tempore / numquam bezeichnet also den einzelnen Moment im Zeitabschnitt des Alleinseins, so wie auch hoc tempore u.dgl. einen einzelnen Zeitpunkt bezeichnet. Folgerichtig heißt es dann auch: hoc tempore solus fuit.
Ob der Zustand des Alleinseins durativ verstanden wird oder nicht, spielt dabei keine Rolle: die punktuelle Handlung bzw. der augenblickliche Zustand verlangt nach dem Perfekt.
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Re: numquam

Beitragvon Christophorus » Di 12. Jun 2018, 23:29

Hätte ich auch anders gesehen, ein numquam ist für mich ein "umgedrehtes" semper, aber Cicero bevorzugt definitiv das Perfekt, bei esse und seinen Komposita ebenso wie bei anderen Verben.
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Re: numquam

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 13. Jun 2018, 08:17

Christophorus hat geschrieben:Hätte ich auch anders gesehen, ein numquam ist für mich ein "umgedrehtes" semper, aber Cicero bevorzugt definitiv das Perfekt, bei esse und seinen Komposita ebenso wie bei anderen Verben.

Ich auch, aber entscheidend sind die klassischen Autorenbeispiele der Zeit, die Muttersprachler wie Cicero, Caesar. In späteren Texten findet man im Internet auch Imperfekt.
Das Interessante im Lateinischen, auch im Griechischen, sind solche Threads. Manche Dinge sind nirgends fixiert. Ich denke da auch an Laptops Fragen, von dem ich schon länger nichts mehr gelesen habe :?:. Auch Tiberis war hier schon auf der falschen Fährte oder wurde korrigiert. ;-)
Einen alleinigen Anspruch auf Wahrheit (mit einem Wink an Stomachatus) hat hier zunächst niemand: Eine Korrektur ist immer möglich, wenn viele verschiedene Persönlichkeiten teilnehmen.
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Re: numquam

Beitragvon Prudentius » Mi 13. Jun 2018, 10:46

Christophorus hat geschrieben: ... ein numquam ist für mich ein "umgedrehtes" semper ...


Vorsicht, lieber Christophore, vor den logischen Stolperdrähten, semper lässt sich mehrfach umdrehen, du meinst mit "umdrehen" negieren! Entweder "nicht immer": non semper, nonnumquam, aliquando; oder eben numquam.

Wie oben gezeigt, lässt sich der Satz in drei Teilsätze zerlegen, die einzeln oder kombiniert negiert werden können; also aus der ersten Zeile "Für alle Zeitpunkte t gilt" wird: "Nicht für alle Zeitpunkte gilt", d.h. also "Sokrates hat nicht immer nicht gelogen"; d.h. "Sokrates hat manchmal gelogen".
Ich spiele nicht alle Fälle durch, aber es gibt auch die "Umdrehung": "Sokrates hat immer gelogen".

Also kurz und gut: weitere Klärung empfehlenswert! :)

nullo tempore / numquam bezeichnet also den einzelnen Moment im Zeitabschnitt des Alleinseins
(Tiberis).
Ich würde sagen, hier muss man mehr das Moment der Allgemeingültigkeit der Zeitpunkte berücksichtigen, die gesamte Lebensspanne des Sokrates; wir haben hier Verständigungsschwierigkeiten, denn grammatisch liegt nur ein Adverb vor, logisch aber eine dreifache Satzstaffelung (s.o.). Grammatisch ist der Fall einfach, aber logisch kompliziert: wir haben zwei Variablen, die Zeitpunkte und die Wahrheit der Aussage "Sokrates hat gelogen", und eine dreifache Satzstaffelung; man kann ruhig sagen, die logischen Quisquilien lassen wir beiseite, aber ihr seht ja, wie wir in Verlegenheit kommen.
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Re: numquam

Beitragvon Tiberis » Mi 13. Jun 2018, 12:46

Medicus domesticus hat geschrieben:Auch Tiberis war hier schon auf der falschen Fährte oder wurde korrigiert

ja natürlich, ich habe auch nie behauptet, unfehlbar zu sein. So gesehen hättest du dir diese süffisante Bemerkung ruhig ersparen können, lieber Medicus.
im Falle "numquam" glaube ich jedoch nicht, "auf der falschen Fährte" zu sein. Dass hier, zumindest im klassischen Latein, niemals (so weit mir bekannt ist) das imperfekt gebraucht wird, ist ja evident. Ich habe versucht, das von der Wortbedeutung her (numquam = ne umquam = nullo tempore) zu begründen, mit wenig Erfolg, wie es scheint. Aber mit der Argumentation "numquam ist das Gegenteil von semper, daher muss auch bei numquam Imperfekt möglich sein" lässt man vollkommen außer Acht, dass nur semper (= usque!) durativen Charakter hat, nicht aber numquam. Somit kann auch nur nach semper Imperfekt stehen.
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Re: numquam

Beitragvon Medicus domesticus » Do 14. Jun 2018, 09:44

Tiberis hat geschrieben:So gesehen hättest du dir diese süffisante Bemerkung ruhig ersparen können

War eigentlich gar nicht negativ gemeint... :-o , sondern als Beispiel, dass jeder von uns, bei dieser Expertendichte, korrigiert werden kann und worden ist.
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Re: numquam

Beitragvon Prudentius » Do 14. Jun 2018, 10:21

Tiberis hat geschrieben: ... numquam bezeichnet also den einzelnen Moment im Zeitabschnitt des Alleinseins, so wie auch hoc tempore u.dgl. einen einzelnen Zeitpunkt bezeichnet.


Die Parallelsetzung von hoc tempore und nullo tempore ist der Streitpunkt; hier wird der Unterschied zwischen der grammatischen und der logischen Analyse deutlich (ich möchte aber betonnen, dass ich nicht etwas Fremdes in die Diskussion hineintragen will); du siehst doch auch, dass in der Wortart ein Unterschied besteht: das "hoc" von hoc tempore ist demonstrativ, und das "nullo" ist indefinit; damit ist die Grammatikdiskussion zu Ende, es ist nur ein Unterschied in der Nomenklatur.
Aber was heißt "Indefinitum"? Es ist eine Variable im Spiel, wie das wohlbekannte "x" in der Algebra; in unserem Beispiel: die Variable habe ich oben mit "t" bezeichnet, die sämtlichen Zeitpunkte des Lebens des Sokrates; ein Satz mit Indefinitum enthält eine Aussage über den Belegungszustand der Variable: Numquam = nullo tempore bedeutet, dass die Variable t in dem Satz "Zum Zeitpunkt t hat Sokrates gelogen" in keinem Fall belegt ist; "nonnumquam" würde bedeuten, dass es Ausnahmen gegeben hat, und "semper" würde heißen, dass alle Einsetzungen die Aussage erfüllen würden.

Beim Indefinitum ist in allen Fällen der gesamte Einsetzungsbereich im Blickpunkt, nicht nur bei quisque; und eben auch bei "nullo tempore"; dieses ist genauso generell wie "semper", während "hoc tempore" punktuell ist.
Man kann sagen "hoc tempore" ist konkret, und "nullo tempore" abstrakt.

Wenn du sagst, dass nur semper durativ ist, aber "nullo tempore" nicht, wie erklärst du dann, dass "semper" austauschbar mit "numquam non" ist? Ist "non" durativ??

Lasst euch zum Mitdenken einladen :) !
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