numquam

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Re: numquam

Beitragvon Tiberis » Fr 15. Jun 2018, 00:27

Prudentius hat geschrieben:Beim Indefinitum ist in allen Fällen der gesamte Einsetzungsbereich im Blickpunkt, eben auch bei "nullo tempore"; dieses ist genauso generell wie "semper", während "hoc tempore" punktuell ist.

ich denke, dass es - in Bezug auf durativ / punktuell - keine Rolle spielt, welche Art von Pronomen dem Begriff "tempore" beigefügt ist. auch aliqui,-qua,-quod ist ein Indefinitpronomen , deshalb würde aber niemand auf den Gedanken kommen, aliquo tempore als eine durative Zeitangabe zu sehen. Entscheidend ist nicht das Indefinitpronomen, sondern tempore, welches in Kombination mit hoc, aliquo, quodam, und eben auch nullo, stets einen mehr oder weniger kurzen Zeitabschnitt , also ein punktuelles Geschehen, bezeichnet. Im Deutschen ist es ja durchaus ähnlich: nie-mals = kein (einziges) Mal (vgl. nulla vice), auch hier weist das Wort "Mal" bereits auf ein punktuelles Geschehen hin.
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Re: numquam

Beitragvon Zythophilus » Fr 15. Jun 2018, 15:28

Konnte ein Römer ein numquam auch so verstehen, dass eine längere oder wiederholte Handlung nicht stattfand? Zumindest bei einem Imperfectum de conatu scheint es mir sogar plausibel, aber auch da müsste erst einmal ein Beleg her.
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Re: numquam

Beitragvon Prudentius » Fr 15. Jun 2018, 16:17

Tiberis hat geschrieben: ... keine Rolle spielt, welche Art von Pronomen dem Begriff "tempore" beigefügt ist.


Es geht nicht darum, wie ein Wort dem anderen beigefügt ist, du bleibst zu sehr auf der Wortebene, denkst zu eindimensional.Nimm das ernst, was ich da oben über die dreifache Satzstaffelung gesagt habe! Der erste Satz ist ungefähr: "Für alle Zeitpunkte t im Leben des Sokrates gilt", damit ist ein Beziehungsrahmen für den HS "So. hat nicht gelogen" gegeben, und das will das Grammatik ja auch irgendwie wie mit der Bezeichnung Indefinitum ausdrücken; natürlich ist dieser Satz nur implizit da, nicht direkt ausgedrückt; aber er "schwebt vor", kann man vllt. sagen.

Es kommt mir hier aber mehr auf die Bedeutung ds Indefinitums an; ob durativ oder punktuell ist nicht entscheidend.

Das Durative hat auch manchmal eine andere Bedeutung; "Nox erat ..." bei Vergil: Natürlich durativ, aber es kommt auf etwas anderes an: das Imperfekt bezeichnet das Prädikat als Nebenhandlung, es kommt auf das folgende Geschehen an, das im Perf. gegeben ist.

Ein Kuriosum bei den Indefinita ist, dass einer der Hauptbegriffe, omnis, gar nicht in der Liste erscheint, das liegt daran, dass man die ganze Gruppe nur wegen der Flexionsauffälligkeit zusammengefasst hat.
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Re: numquam

Beitragvon Tiberis » Fr 15. Jun 2018, 23:44

Prudentius hat geschrieben:ob durativ oder punktuell ist nicht entscheidend.

selbstverständlich ist das entscheidend für die ursprüngliche - mittlerweile aber wohl schon vergessene - Frage, ob nach numquam ein Imperfekt möglich ist, was zweifellos der Fall wäre, wenn numquam/nullo tempore eben durativ wäre.
aber ok, ich nehme zur Kenntnis, dass du mit meinem Versuch, zu begründen, warum nach numquam stets Perfekt (bzw. Plqpf.) ´, nicht aber Imperfekt steht, nicht einverstanden bist. Aber: hast du eine andere, bessere Begründung?
Prudentius hat geschrieben:du bleibst zu sehr auf der Wortebene, denkst zu eindimensional.Nimm das ernst, was ich da oben … gesagt habe!

Für eine weniger oberlehrerhafte Diktion (nicht nur in diesem Beitrag) wäre ich dankbar. Wir sind nicht deine Schüler.
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Re: numquam

Beitragvon marcus03 » Sa 16. Jun 2018, 08:41

Tiberis hat geschrieben:Wir sind nicht deine Schüler.


Du sicher nicht, ich schon. Seine formal-logischen und an der modernen Logik orientierten Ansätz sind immer wieder interessant und anregend, wenn auch zum Teil sehr trocken. :)
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Re: numquam

Beitragvon Zythophilus » Sa 16. Jun 2018, 13:05

Natürlich ist es schön, wenn man Grammatikregeln auch begründen kann, aber im Vordergrund sollte die Regel stehen. Grammatikregeln sind ja keine ethischen Normen.
Im konkreten Fall scheint es so zu sein, dass numquam nicht mit dem Imperfekt - außer natürlich dem Konjunktiv - kombiniert wird. Vielleicht liegt das Problem auch ein wenig darin begründet, dass es im Deutschen je nach Verwendung mit Präteritum oder Perfekt verwendet wird. Er hat nie im Meer gebadet. Aber: Im letzten Sommer badete er nie im Meer. Abgesehen von der Hochsprache gibt es noch die Umgangssprache, die fast immer das Perfekt verwendet.
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Re: numquam

Beitragvon Sokrates » Sa 16. Jun 2018, 13:18

Salvete,

Ich lese andauernd von Sokrates, ohne dass der Weisheit dieses ersten Mannes der Weisheit annähernd Genüge getan würde, indem subjektivem Sprachgefühl und nicht zielführenden Logiken der Vorzug vor dem linguistischen Schrifttum gegeben wird. Man lese die Kapitel zum Perfekt (und Imperfekt, am besten auch zu den Futura, um die unsägliche Diskussion über das Futur II in Haupt- und Nebensatz an anderer Stelle zu beenden) in Oxford Latin Syntax Vol. 1 oder anderen Werken (Haverling!). Es ist zwischen Aktionsart, Aspekt, Tempus und Anwendungsart im Text differenzieren, wie es aber nicht überall geschieht.
Relevant ist hier, dass nach bestimmten Wörtern, zu denen numquam zählt, eben das Perfekt steht. Unabhängig von der Aktionsart lässt sich dies leicht erklären: Die Aussage wird als Festellung formuliert. Es ist irrelevant, ob der Vorgang von Dauer war oder nicht, sondern es soll die Gesamtaussage generell negiert werden. Dafür gebraucht das griechische den komplexiven Aorist in konstativer Verwendung, also gebraucht eine hinsichtlich der Vollzugsstufe neutrale bis punktuell erfasste Handlung im Textzusammenhang pragmatisch so, dass eine feststellende Aussage getroffen wird. Im lat. Perfekt vereinigen sich formal und funktional idg. Aorist und Perfekt, sodass auch im L die oben beschriebene Verwendung vorkommt. Hier redet man allerdings üblicherweise nicht vom komplexiven, sondern nur konstatierendem Perfekt, was mehr auf seine Rolle im Textzusammenhang abhebt.
Bemerkenswert ist außerdem, dass die Unmöglichkeit (für Klassiker), numquam mit einem Imperfekt zu verbinden, im Konsekutivsatz aufgehoben scheint, insofern man hier grundsätzlich die Möglichkeit zu einem absoluten Konj. Perf. hätte, aber doch den Konj. Imperf. wählt, da de facto das Imperfekt eben das Standardtempus im Nebensatz war und so mithin analogisch auch auf Sätze mit numquam wirkte.
Dass bei non numquam wiederum das Imperfekt auftaucht, ist sinnfällig.

LG,
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Re: numquam

Beitragvon Sokrates » Sa 16. Jun 2018, 13:19

Entschuldige, ich habe dir wohl vorgegriffen, Zythophilus! :)
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Re: numquam

Beitragvon cometes » Fr 22. Jun 2018, 12:21

Eine prinzipielle Unvereinbarkeit zwischen dem quantifizierenden Adverb numquam (Wie oft geschieht etwas?) und dem Tempus, dem imperfektiven Aspekt bzw. der Aktionsart von videre kann ich nicht erkennen. Wer einen Beleg bei den Klassikern sucht, findet z.B.

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Re: numquam

Beitragvon Sokrates » Fr 22. Jun 2018, 21:31

Salvete,

videre hat (außer im Aktiv als "über den Sehsinn verfügen" und im Passiv "scheinen") punktuelle Aktionsart (sehen= erkennen, wahrnehmen, visuell erfassen), der Aspekt hängt von Tempusstamm und Darstellung des Vollzugs im Sinne der Einbettung in den Kontext ab; Cicero passt an vorgebrachter Stelle seine Darstellungsart an und spricht kein Urteil, sondern schildert eine aus Angst vor dem Unmenschen Clodius zur Gewohnheit entwickelte Prävention im durativen Imperfekt (siehe Kontext).

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Re: numquam

Beitragvon cometes » Sa 23. Jun 2018, 00:15

Zunächst kam es mir darauf an, dass das quantifzierende Adverb numquam nicht, wie behauptet wurde, prinzipiell unverträglich mit dem Tempus, dem imperfektiven Aspekt und der Aktionsart ist. Ein Widerspruch wie *cras videbat oder *semel cubitat tut sich hier nicht auf.

Das kontextuelle Zusammenspiel von Aktionsart und Aspekt lässt überdies einiges zu, in eum, quia non videbam, abesse putabam (Cic.Att.4.8a.3.5) ergibt sich z.B. aus der Kombination von punktueller Aktionsart und imperfektivem Aspekt die Bedeutung eines dauernden Nichtwahrnehmens, d.h."nicht zu Gesicht bekommen" (es geht um jemanden, der schon die ganze Zeit in Rom ist, ohne dass Cicero dies bemerkt). Aus diesem Spannungsfeld kommende unbedingte Hinderungsgründe kann ich also nicht erkennen.

MBS § 129, 5 erwähnt übrigens auch Aspekt und/oder Aktionsart widersprechende Kombinationen mit Temporaldverbien wie saepe dixi.
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Re: numquam

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 23. Jun 2018, 08:22

Danke für den Beitrag und den Beleg Ciceros :-D .
Insbesondere auch § 129 (5) im BS, den ich mir gerade durchgelesen habe, zeigt, dass nach temporalen Adverbien das daraufhin folgende Tempus des Verbs eben nicht unbedingt zementiert ist.
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Re: numquam

Beitragvon marcus03 » Sa 23. Jun 2018, 08:34

cometes hat geschrieben:saepe dixi.

Komplexives Perfekt?
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Re: numquam

Beitragvon cometes » Sa 23. Jun 2018, 13:25

Komplexives Perfekt?


Im Sinne von MBS § 136, 3 kann man das wohl so nennen.

Ein Beispiel für imperfektiven Aspekt bei punktueller Aktionsart in Kombination mit punktuellem Zeitadverb wäre etwa Emergebat subito, cum sub tabulas subrepserat, ut 'mater, te appello' dicturus videretur. (Cic.Sest.126.7)
Zuletzt geändert von cometes am Sa 23. Jun 2018, 16:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: numquam

Beitragvon Sokrates » Sa 23. Jun 2018, 16:00

Salvete,

prinzipiell unverträglich mit dem Tempus, dem imperfektiven Aspekt und der Aktionsart ist.

mit welchem welches Tempus, welchem Aspekt?
Zur Klassifikation der Aktionsart empfiehlt sich immer noch das Schema nach Vendler, ist aber im Lat. unbeliebt.
Es ist notwendigerweise so, dass sich aus der distanzierenden Rückschau einer Handlungskette oder wiederholten Handlung ein Punkt aus zusammengeflossenen Aktionen ergibt, sodass hierfür vornehmlich das lat. Perfekt in Frage kommt, und zwar aufgrund seines perfektiven Aspekts. Die (lexikalische Dimension der) Aktionsart des Verbs ist dafür irrelevant. Eine Feststellung hat darüber hinaus eine andere Pragmatik und Darstellungsfunktion als eine Schilderung, es ergibt sich letztlich (auch aus der Unvereinbarkeit der situativen Feststellung und verbalen Nichtabgeschlossenheit) eine überwältigende Mehrheit der Stellen, an denen in der Vergangenheit niemals eingetretene Vorgänge mit dem Perfekt bezeichnet werden, über die Stellen, an denen die Aussageabsicht des Autors und also der Tempusgebrauch anders sind.
Ein Adverb als solches hat aber nicht unbedingt Einfluss auf diesen Tempusgebrauch, ebensowenig wie die Aktionsart, sondern die Absicht in der Darstellung entscheidet. In einem "Saepe dixi." ist also ein Spannungsverhältnis zwischen dynamischem, telischen dixi (habe einen Ausspruch getan) und der Frequenzangabe saepe zu sehen, was eine konstatierende Verwendung des Perfekts nahelegt, aber als kein Widerspruch kann man das nicht bezeichnen. Wieder anders ist das mithin auch mit numquam verbundene gnomische Perfekt (m Gr. Aorist, der in dieser Funktion den idg. außerzeitlichen Injuktiv fortsetzt) aus "Weisheiten", die Erfahrungen der Vergangenheit generalisierend und insofern auch prognostisch zusammenfassen, zu bewerten.
In synchroner Betrachtung wird dem Infectum im Übrigen die Aspektbedeutung abgesprochen, zumal es morphematisch unmarkiert ist, die Bedeutung des "Nicht-Abgeschlossenen" und der Dauer ergebe sich vielmehr aus der Opposition zum die Abgeschlossenheit bezeichnenden Perfekt (cf. Touratier, Lat. Grammatik, unter Aspekt). Ebenfalls dort findet sich die Anwendung des Modells von Skopus und Fokus der Negation auf das Lateinische. In § 464 heißt es: Nicht jeder Satz, der eine negierte Konstituente enthält, ist notwendigerweise ein negierter Satz. Zu unterscheiden ist demnach eine Sentenz wie:
Noch nie (niemals) ist ein Meister vom Himmel gefallen.
-> Es trifft nicht zu, das jemals.....
Der Skopus der Negation ist der Satz, der gesamte Satz wird ohne die Negation einer Konstituente negiert.
dagegen: Die Römer belagerten niemals Troja (sondern Jerusalem).
Es trifft nicht zu, dass die Römer jemals Troja belagerten, sondern...
Hier ist natürlich auch der ganze Satz der Skopus der Negation, aber es ist eben auch ein Fokus da, und zwar die einzelne Konstituente, die negiert ist, die Stadt.
Ähnlich auch der Satz aus Mil.:
Es ist nicht ausgesagt, dass er niemals die Gefahr heraufbeschwor, nur, dass es er nie ohne Vorsicht tat. Demnach ist der Skopus der ganze Satz, der Fokus aber die sine-Gruppe.
Kurz vorher schon ein erat in einem Satz, der genau nach dem ersten Typ negiert ist:
Nec vero sic erat umquam non paratus Milo contra illum, ut...
Es trifft nicht zu, dass Milo jemals so unvorbereitet war gegen jenen, dass
Der ganze Satz ist Skopus, aber es gibt eben auch einen Fokus, das "unvorbereitet", seine Umsicht wird dann in den folgenden Sätzen ausgeführt.
Es ergibt sich aus den Beobachtungen der Schluss, dass in Sinnsprüchen mit Negation des gesamten Satzes und in Feststellungen das Perfekt bei numquam steht, in Schilderungen, Gewohnheiten und Sätzen auch mit Fokus-Negation auch das Imperfekt steht.


LG,
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