Beseelungstheorie und Materie

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Beseelungstheorie und Materie

Beitragvon sinemetu » So 10. Feb 2019, 12:20

Beseelungstheorie,

wir hatten die Diskussion schon anläßlich des Wortes Materialismus, hier nur noch eine Nachfrage:

Ich singe heute im Gotteslod. (215): "Herr Du nahmest menschlichen Leib an, der von deiner Mutter Maria kam."

Ist zwar ein modernes Gottlob, aber drunter steht: Nach Medingen um 1350, 2. u. 3. Str. nach M. Luther, 1524, Melodie Mainz 1390. Da man solche Texte ja gern modernisiert, wollte ich nur fragen, falls die Aussage mittelalterlich - inwieweit sich hier in dieser Aussage, die heute auf den ersten Blick ja nicht anstößig wirkt, schon das neue Menschenbild (Eizelle, Spermium) oder noch das alte, (väterlicher Same, Mutter bloßes Gefäß) Zeugungsbild verbirgt.

Die Haltung der kath. Kirche zur Abtreibung ist ja die des Hippoktrates. Warum aber? Findet die Beseelung nicht erst mit dem ersten Atemzug statt, und endet mit dem letzten? Demnach wäre für den, für den die Seele der eigentliche Mensch ist, Anfang und Ende des irdischen Lebens eigentlich klar definiert, mit allen Folgen.

Ist eigentlich irgendwo im alten Schrifttum der Begriff Paterie, als Gegensatz zur Materie, nicht als materielles, sondern als geistiges Prinzip, festgestellt oder zu finden?
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Re: Beseelungstheorie und Materie

Beitragvon marcus03 » So 10. Feb 2019, 12:43

sinemetu hat geschrieben:Findet die Beseelung nicht erst mit dem ersten Atemzug statt, und endet mit dem letzten?

Soweit ich weiß, schafft Gott nach katholischer Lehre die Seele im Moment der Zeugung, also der Verschmelzung von Same und Eizelle.
Die Frage ist, was mit "Seele" gemeint ist bzw. was da "faktisch" geschieht.
Über den Seelenbegriff im AT und NT gibt es wohl zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen, die man zu Rate
ziehen könnte bzw. Exkurse in theologischen Kommentaren an den relevanten Stellen.
Der Seelenbegriff des Paulus unterscheidet sich mW von dem der Evangelisten.
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Re: Beseelungstheorie und Materie

Beitragvon medicus » So 10. Feb 2019, 16:52

sinemetu hat geschrieben:Ist eigentlich irgendwo im alten Schrifttum der Begriff Paterie,



Epidydimos der Kreter schreibt in seinem 3. Buch über die Paterie, dass sie sich gegen die Materie nicht durchsetzen konnte und deshalb im 3. Jahrhundert verschwand. Zuvor hatten die Väter die Kinder ausgetragen, die ihnen von den Müttern eingepflanzt worden waren.
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Re: Beseelungstheorie und Materie

Beitragvon medicus » So 10. Feb 2019, 17:40

Mein letzter Beitrag ist wohl unter Fake News einzuordnen, sorry :pillepalle:
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Re: Beseelungstheorie und Materie

Beitragvon Prudentius » So 10. Feb 2019, 21:16

sinemetu hat geschrieben: .... inwieweit sich hier in dieser Aussage ... schon das neue Menschenbild (Eizelle, Spermium) oder noch das alte, (väterlicher Same, Mutter bloßes Gefäß) Zeugungsbild verbirgt.


Die Entdeckung der Eizelle war ja erst ca. 1830, es erschien eine Notiz in einer Biologie-Fachzeitschrift, das Ereignis hat sicher nicht den Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden, den es verdient hätte.

Es liegt sicher das traditionelle Menschenbild vor, mit dem Leib-Seele-Dualismus, wie es seit jeher überliefert war; man hält heute nicht mehr viel davon, es ist obsolet geworden. Wir haben einen anderen Begriffsapparat zur Verfügung, das "System-Denken", könnte man sagen. Wir sehen den Menschen als ein Systemganzes, wobei man einzelne Systemfunktionen zusammenfassen und als "Seele" bezeichnen kann, wenn man es will.

Der antike Seelenbegriff erscheint uns als eine Hilfskonstruktion, die nötig war, weil man eben die Systemfunktionen des menschlichen Ganzen noch nicht erfassen konnte; es ist analog wie im Mythos, wo für die Sonnenbewegung ein Gott Heliios mit einem Pferdegespann nötig war, um die Sonne über die Tagesstrecke zu bringen. Die Trägheitsbewegung der Himmelskörper war ja erst seit Newton verständlich.
Ob damit das letzte Wort über die Seele gesagt sein soll, weiß ich nicht, aber so ungefähr ist die heutige Vorstellung.
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Re: Beseelungstheorie und Materie

Beitragvon Prudentius » Mo 11. Feb 2019, 20:35

sinemetu hat geschrieben: Ist eigentlich irgendwo im alten Schrifttum der Begriff Paterie, als Gegensatz zur Materie, nicht als materielles, sondern als geistiges Prinzip, festgestellt oder zu finden?


Den Begriff Paterie gibt es nicht, weil die Beziehung von Materie zu mater Mutter erst in der l. Übersettzung auftritt; im gr. Original heißt sie hyle Wald, Holz, Baumaterial, wie auch materia in der Bed. "Bauholz".
Bei Platon ist der Begriff Materie auch verglichen mit "Salbenbasis", das ist streichbarer Grundstoff, der als Träger für die heilsame Substanz dient.

Die Materie ist die erste der berühmten "4 Ursachen" des Aristoteles, causa materilalis, c. efficiens, c. formalis, c. finalis.
Aristoteles ging bei seiner Kausalitätslehre vom Handwerklichen aus, von der Bearbeitung eines Werkstücks; für die Anfertigung des Tisches ist das Holzbrett die Materie, der Zugriff des Tischlers die Wirkursache, ...
Die Kausalitätslehre des Aristoteles blieb lange das beherrschende Modell, ist es heute auch z.T. noch (z.B. auch bei uns Grammatikern, wenn wir von "kausal" reden).
Die moderne Auffassung hat sich stark gewandelt; Hauptunterschied ist, dass Ar. an ein Einzelobjekt denkt, während wir in der Kausalität eine Systembeziehung sehen, ein Gesetz, das allgemein gilt und von dem das Einzelne sich als Sonderfall erklärt.
Um es in unserer Sprache auszudrücken: die heutige Kausalität liegt nicht mehr nur in quia, cum und propterea, quod, sondern im Konditionalen und Generellen, in: si quis, quicumque, quisque, quisquam.
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Re: Beseelungstheorie und Materie

Beitragvon sinemetu » Di 12. Feb 2019, 12:45

Prudentius hat geschrieben:[
auch materia in der Bed. "Bauholz".
Bei Platon ist der Begriff Materie auch verglichen mit "Salbenbasis", das ist streichbarer Grundstoff, der als Träger für die heilsame Substanz dient.


.. dann trifft unser deutsches Wort Material im Sinne von (Baumaterial) de eigentlich viel besser den Sachverhalt, als das physikalisch-wissenschaftliche "Materie", welches sich infolge der verschiedenen Ebenen des Teilchenzoos ja sowieso in's Quasinichts-feldhafte aufgelöst hat.

Schönen dank, daß Du meine Nachfrage genutzt hast, einige Begriffliche Wirrungen klarzustellen.
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