Textkritische Frage zu Ov. tris. 1,10,7

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Re: Textkritische Frage zu Ov. tris. 1,10,7

Beitragvon Honigdachs » Mi 20. Feb 2019, 20:47

Zythophilus hat geschrieben:Standard bei wissenschaftlichen Ausgaben ist seit geraumer Zeit, überall ein kleines "u" bzw. großes "V" zu setzen. Die Unterscheidung zwischen "i" und "j" hat sich ja auch nicht durchgesetzt.
Für die umstrittene Stelle hat das natürlich keine Relevanz.


Das habe ich, wie gesagt, leidvoll bemerkt. Es ging aber nur um eine persönliche Vorliebe von mir, nicht um eine Grundsatzdiskussion.

Wo ich gerade davon rede, muss ich aber sagen, dass mit dem ubiquitären u durchaus Verwechslungsgefahren auftreten können, für die mir bei i vs j keine vergleichbaren Beispiele einfallen. Beispielsweise wüsste ich bei einem Wort wie uolui nicht sofort, ob da jetzt volui oder volvi gemeint ist. Aber die Konvention soll wohl in Minuskeln das nachempfinden, was man sonst in den in Rom üblichen Majuskeln auch erlebt hätte.

Ich gestehe, dass ich das Buch nicht gelesen habe, aber Phänomene wie eben das atque vor Konsonanten ordnet Zwierlein - auch kein Unbekannter - einer Ovid-Revision eines Iulius Montanus zur Zeit des Tiberius zu. https://books.google.at/books?id=oYPtJp ... us&f=false
Das eröffnet neue Horizonte.


Verstehe ich das gerade richtig, dass da einer (oder mehrere) kurz nach Ovids Ableben einfach in seinem Werk herumgeschmiert haben?
Ist das eine belastbare These oder eher eine schwebende Behauptung?
Von dem 20 Jahre alten Buch finde ich nur den ersten Band, die prolegomena (die es auch in der Bibliothek gibt) ... der eigentliche Hauptteil ist wohl nie erschienen?
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Re: Textkritische Frage zu Ov. tris. 1,10,7

Beitragvon Laptop » Do 14. Mär 2019, 14:11

Wo ich gerade davon rede, muss ich aber sagen, dass mit dem ubiquitären u durchaus Verwechslungsgefahren auftreten können, für die mir bei i vs j keine vergleichbaren Beispiele einfallen. Beispielsweise wüsste ich bei einem Wort wie uolui nicht sofort, ob da jetzt volui oder volvi gemeint ist. Aber die Konvention soll wohl in Minuskeln das nachempfinden, was man sonst in den in Rom üblichen Majuskeln auch erlebt hätte.


Ja, der typische Römer um das Jahr 0 herum (korrekt: zu Christi Lebzeit, Danke Prudentius) wollte mit seiner römischen Majuskel-Kursiva nur die Majuskeln - wenn auch in Schreibschrift - wiedergeben. Siehe http://www.obib.de/Schriften/AlteSchrif ... /2-Jh.html Wie wollte man das heute nachahmen? Es geht kaum. Würde man heute alles in Versalien drucken, sähe das komisch aus, und wäre ungewohnt zu lesen. Man bräuchte so etwas wie "kleine Majuskeln", die elegant wie eine Schreibschrift aussehen, aber die gibt es nicht. Jedenfalls stammt das "u" aus der späteren, frühmittelalterlichen Erfindung der Minuskeln. Das "v" kommt eigentlich daher, dass man Schnörkelbuchstaben (swash letters) schrieb bzw. später dann entsprechend auch beim Druck nachahmte, und zwar hatten diese Schnörkel gar keine andere Funktion als Schmuck. Wann diese Schnörkel genau aufkamen weiss ich nicht genau, aber ich habe das 13. Jhd. im Hinterkopf. Jedenfalls schrieb man zuerst "volui" (sowohl für 'ich wollte' als auch 'ich rollte'), weil das kleine "v" als Schmuckletter nur am Wortanfang war. Und auch dann nur, wenn der Schreiber Lust hatte einen Schnörkelbuchstaben an diese Stelle zu setzen, ansonsten tat er es nicht, es war ganz arbiträr. Zu den Schnörkellettern gehört auch das "j", es stand immer nach einem "i", wie in "ijs" oder "pompeij". Erst im 16 Jhd. kam ein Grammatiker auf die Idee die Schmuckbuchstaben zur lautlichen Differenzierung einzusetzen, ich weiss seinen Namen nicht mehr genau. Weil das eine eher späte und künstliche geschaffene "Mode" war, sozusagen die Kopfgeburt eines Mannes, sieht man heute in wissenschaftlichen Editionen, die sich der Historie verpflichtet fühlen, davon ab.
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Re: Textkritische Frage zu Ov. tris. 1,10,7

Beitragvon Prudentius » Do 14. Mär 2019, 17:54

[quote="Laptop"
Ja, der typische Römer um das Jahr 0 herum ...[/quote]

Laptop, das Jahr 0 gab es gar nicht, da fanden keine Ereignisse statt, das war eine leere Seite in den Annalen; es kam gleich "1 n. Chr" nach "1 vor Chr."
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Re: Textkritische Frage zu Ov. tris. 1,10,7

Beitragvon Laptop » So 17. Mär 2019, 16:14

Habe es korrigiert, danke Prudentius.
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Re: Textkritische Frage zu Ov. tris. 1,10,7

Beitragvon Prudentius » Mo 18. Mär 2019, 10:04

Um 800 gab es ja eine große Epochenwende, eine Schwellenzeit, die Neubegründung des l., weströmischen Kaisertums mit der Krönung Karls, "translatio imperii", und auch das Lesen und Schreiben wurde neu erfunden. Man schrieb jetzt die "karolingische Minuskel", ganz neue Buchstabenformen, es gab nun Ober- und Unterlängen, man konnte die alten Texte nicht mehr (richtig) lesen, daher gab es viel zu schreiben für die Scriptorien der Klöster, es musste ja alles transkribiert werden.
Und seitdem gibt es zwei Alphabete zur Auswahl, und das nur für das L. (mit Anhang: Gr. und Kyrillisch). Hebräisch, Arabisch, Chinesisch: nirgends gibt es so ein Doppelalphabet.
Die alte Schrift ("Antiqua") wurde dann noch für Initialen und Versanfänge verwendet, daher auch "Versalien".
So haben sich also u und v, i und j differenziert, und es hat eine eigenständige d. Entwicklung gegeben einschließlich der Schreibregeln für l. Fremdwörter wie "Projektion", diese Gebräuche sind durch die Tradition "geheiligt", möchte ich mal sagen, wir unterscheiden volui und volvi.
Das l. "V" haben wir ja verdreifacht im Alphabet: U, V, W.
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