Es gibt einiges, für das ich mich als Deutsche schäme. Auch wenn es vor meiner Geburt geschehen ist. Vor allem für die NS-Kriegsverbrechen, für Verfolgung und Massenmord von Millionen Menschen. Kollektivschuld lässt sich für mich nicht wegdiskutieren, höchstens vielleicht produktiv wenden: in demutsvolle Erinnerungsarbeit, in politische Sensibilität – damit so etwas nie wieder geschieht etc. Es gibt aber auch einiges, auf das ich als Deutsche stolz bin. Auch wenn es vor meiner Geburt geschehen ist. Dazu gehört das Grundgesetz. Welch eine Leistung der Mütter und Väter der Bundesrepublik. Welch ein Bollwerk der Rechtsstaatlichkeit, welch ein Erfolgsmodell der Demokratie. Eine seiner ganz besonderen Leistungen ist die Kodifizierung zentraler Grundrechte. Eine solche Kodifizierung, vor allem des Rechts auf Meinungsfreiheit, wurde 1849 in der Paulskirchenverfassung schon einmal versucht, bekanntlich ohne nachhaltigen Erfolg.
Ich möchte noch einmal auf dieses, - Wie soll ich es nennen? - sagen wir mal, auf den Absatz eingehen. Wenn ich es einer Literaturgattung zuordnen sollte, würde ich auf confessio tippen. Es ist der Anfang eines Essays, geschrieben von einem, der gerade seine erste kognitive Dissonanz mit dem "System" hat in Bezug auf Meinungsfreiheit. Und er stellt diese Konfession seinem Versuch voran, damit auch ja niemand auch nur im Hinterkopf den Gedanken erwäge, es eventuelle mit einem der "Bösen" zu tun zu haben.
Soweit, so gut! Ich stehe mit der Kollektivschuld auf Hader! Und zwar folgendermaßen: Jeder von uns - oder sagte wir mal, die meisten haben schon etwas verbockt. Damit meine ich jetzt nicht die Schwere einer Straftat, sondern einfach was nicht gut gemacht, von dem man sich später selber sagt: Das war nicht gut! Das hätt ich anders machen müssen. etc. etc. Also eine echte Schuld. Die Einsicht bei einer Schuld, daß es eine Schuld ist, wird ja dadurch erheblich erleichtert, daß man selber der Täter ist.
Und eine eingesehene Schuld verursacht Scham. Scham ist nicht bloß so ein Gefühl, das man so behaupten kann, man habe es. Scham ist ein echtes Gefühl mit körperlichen Reaktionen. Vielleicht kann ein guter Schauspieler echte Scham an seinem Körper hervorrufen, zu. b. das Erröten. Auf jeden Fall gilt für den Schämer, daß er die Ursache seiner Scham nicht erwähnt haben möchte. Wenn wir nun aber auf jemanden treffen, der Hinz und Kunz und andauernd erzählt, was er verbockt hat so in seinem Leben, würden wir uns dann nicht an die Stirn tippen und fragen, ob der noch alle Tassen im Schrank hat?
Was ist nun aber so ein Bekenntnis wert, indem jemand bekennt: "Es gibt einiges, für das ich mich als Deutscher schäme." Warum schämt er sich nicht als Weltbürger, oder einfach bloß als Mensch? Warum gibt er vor, sich als Deutscher zu schämen? Wo ist die Scham konkret? Warum identifiziert er sich öffentlich mit Dingen, die er nicht begangen? Nur um sagen zu können: Ich schäme mich?
Niemand, der nicht ganz bei Troste ist, identifiziert sich mit Verbrechen, ganz gleich welcher Art. Tut es aber jemand, besteht da nicht direkter Anlass, an dessen Verstand zu zweifeln. Und dann auch noch dies scheinheilige: "Auch wenn es vor meiner Geburt geschehen ist" Dieser Satz ist dann die heimliche Selbstexculpation. Und dann wird richtig aufgetischt: "Vor allem für die NS-Kriegsverbrechen, für Verfolgung und Massenmord von Millionen Menschen." Millionen müssen es mindestens sein, es kostet ja nichts! Niemand auf der Welt identifiziert sich mit NS-Verbrechen, mit Kriegsverbrechen, mit Massenmord oder Verfolgung. Seinen Standpunkt "Kollektivschuld lässt sich nicht wegdiskutieren." - weichte er auf, indem er ein einschränkendes "für mich" anfügt. Allerdings, seine Hoffnung, daß man sie "produktiv umarbeiten" kann in "demutsvolle Erinnerung" setzt voraus, daß es sie gibt, und mit Geben meine ich wirkliche Existenz, nicht scheinbare. Das ist nicht dieselbe Frage, ob es Gott gibt oder nicht. Meine Gewissheit ist: Es gibt sie gar nicht, die Kollektivschuld! Und was es nicht gibt, kann nicht positiv gewendet werden. Was es allerdings gibt, und das ist uralt: Kollektivschuldzuschreibung!
Genau dazu im Gegensatz verkündet er, stolz auf das Grundgesetz zu sei. Auch hierauf ist er wieder "als Deutscher". Und das in einer Zeit, wo das Grundgesetz unter der Ägide gewisser Regierende partiell mit Füssen getreten wird. Deswegen schreibt er ja seinen Artikel. Hat er am Grundgesetz mitgeschrieben? Ich persönlich habe immer nur Stolz empfunden, für Dinge, die ich geleistet. Also Stolz ist genauso, wie Schuld, immer an persönliche Aktivität gebunden. Alles andre ist Hypermoral! und damit Einbildung! Warum sollte ich stolz sein, geboren zu sein, von wem auch immer. Ich kann nichts dafür!