Melanchthons Didaktik fragwürdig.

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Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Laptop » Mi 25. Dez 2019, 06:00

Ich habe mir mal die Grammatik von Melanchthon angeschaut, und mir fällt erst einmal auf, daß alles in Latein verfaßt ist (wie will ein Primaner Latein lernen, wenn er dazu eine lateinische Grammatik lesen soll?), vor allem aber, daß auch der allgemeine Duktus davon ausgeht, daß der Schüler schon die Dinge weiß, die das Buch ihm vermitteln möchte. Und da reitet die Katze sinnlos im Kreis: wenn ich es schon weiß, brauche ich es nicht lernen. Und wenn ich es noch nicht weiß, kann ich es so nicht lernen. Beispiel:
Pan Panos genitiuo facit, Græca terminatione, idq́; differentiæ cauſa, ut à genitiuo panis diſtet.

Der Schüler weiß nicht wie die Genitive gebildet werden, daher kann er auch nicht wissen daß "panis" der Genitiv von Brot ist. Wie hat das didaktische System funktioniert? Und hat es das überhaupt?
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon marcus03 » Mi 25. Dez 2019, 07:53

Für wen war die Grammatik gedacht? Vlt. für Lehrer/Dozenten, die sie dann irgendwie umsetzen mussten?

PS:
Das Vorwort des Herausgebers Chilianus Goldstein (datiert in Wittenberg im Januar 1525) hebt hervor, wie gut sich das Lehrbuch für den elementaren Privatunterricht eignet. Anders als viele Vorgängergrammatiken es taten, wolle man so dem Widerwillen der Schüler gegenüber der Grammatik entgegenwirken und daher werde alles einfach und folgerichtig präsentiert.

http://diglib.hab.de/content.php?dir=eb ... uction.xsl
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Laptop » Mi 25. Dez 2019, 08:19

D. h. die Grammatik war so gedacht, daß ein Lehrer sie im Unterricht erläutert? Übrigens, das ist ein großartiker Artikel der eine Übersicht über das Werk bietet! Kannt ich noch nicht.
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon marcus03 » Mi 25. Dez 2019, 09:05

Laptop hat geschrieben:D. h. die Grammatik war so gedacht, daß ein Lehrer sie im Unterricht erläutert? Ü

Ja, so stelle ich mir das vor, falls Schüler überhaupt am Anfang schon eine Grammatik hatten, was ich bezweifeln möchte.
Zu meiner Zeit gab es die erst im 2.Lernjahr (natürlich lt-dt) und sogar da wurde immer wieder
vom Lehrer erläuternd eingegriffen, wenn der Stoff schwieriger war.
Manche Lehrer erstellten eigens Grammatikhefte im Unterricht. Der wesentliche Stoff wurde an die Tafel geschrieben und von den Schülern ins Heft übernommen. Dazu gab es Verweise auf die relevanten Grammatikparagraphen zur Ergänzung und Vertiefung.
Kurz: Ich denke, dass der Lehrer seine Zöglinge gut auf den Umgang mit der Grammatik vorbereitet
und alle notwendigen Gebrauchshinweise gegeben hat.
Anders kann man es sich kaum vorstellen. Ohne Anleitung und Einbettung im Unterricht kann eine
normaler Primaner nicht mit einer Grammatik umgehen.
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon medicus » Mi 25. Dez 2019, 13:54

Ist es heutzutage noch üblich, die Schüler/innen Deklinationen und Konjugationen auswendig aufsagen zu lassen. :roll:
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Laptop » Mi 25. Dez 2019, 18:31

Ich meinte natürlich den Sextaner. Es wird ja von oben heruntergezählt.
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon marcus03 » Do 26. Dez 2019, 13:34

Longipes hat geschrieben:Wo es sinnvoll ist.

Wo z.B. verlangst du das?
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Medicus domesticus » Fr 27. Dez 2019, 10:18

Longipes hat geschrieben:Wo es sinnvoll ist.

In meiner Zeit gab es hier keine Frage. Wir hatten im 1. und 2. Lateinjahr ein und denselben Lehrer. Es gab ein Testatheft (dick) mit Namen für jeden und wir schrieben wöchentlich (!) mindestens einen Vokabel- oder Grammatiktest in dieses Heft. Dies wurde eingesammelt und am nächsten Tag benotet (!) herausgegeben.
Die Methode war natürlich knallhart, aber hängen bleibt so etwas fast dauerhaft.
Heute natürlich nicht mehr zeitgemäß.

Wir hatten Cursus Latinus I bis III. Zu jedem Band gab es ein grammatisches Beiheft. Die erste richtige Systemgrammatik erhielten wir danach in der Lektürenphase zusammen mit dem Stowasser als Lexikon.
Siehe z.B. hier:
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Prudentius » Fr 27. Dez 2019, 11:52

Laptop, es gibt ganz verschiedenartige Grammatiken, je nachdem, für wen sie ist; Schülergrammatik, Studentengrammatik und Lehrergrammatik (vllt. auch Logiker-Grammatik :-D ).
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Tiberis » Fr 27. Dez 2019, 13:49

und nicht zu vergessen: Prudentius' elektronische Grammatik :lol:
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Prudentius » Sa 28. Dez 2019, 20:24

Man kommt einfach nicht mehr von der Krankheit weg, wenn man einmal davon befallen ist:
Das adjektivische Attribut ist ein "Filter", bei "domus magna" wird auf die Menge der Gegenstände "domus" das Filter "magnus" angewendet, ein Arbeitsvorgang, bei dem alles durchfällt, was nicht magnus ist, und dann bleibt im Filter "domus magna" übrig.
Es ergibt sich damit auch eine fruchtbare Einsicht, das Attribut wird nicht als Gegenstand, sondern als Vorgang angesehen; man fragt nicht: was ist es?, sondern: wie wird es erzeugt?
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Tiberis » Sa 28. Dez 2019, 20:50

Prudentius hat geschrieben:Man kommt einfach nicht mehr von der Krankheit weg, wenn man einmal davon befallen ist:

bedenklich, bedenklich... :roll:
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon ille ego qui » Mo 30. Dez 2019, 14:36

@Prudentius

Wenn ich dich richtig verstehe, beschränkst du dich auf Fälle, wo das Adjektiv der Vereindeutigung dient. Dies ist aber nicht immer der Fall. So gibt es u.a. auch Fälle, wo das Adjektiv eine Zusatzinformation gibt oder eine (evtl. bereits bekannte, aber für den Kontesxt relevante) Eigenschaft hervorherbt. Ein ganz spezieller Fall ist das Epitheton ornans wie "die kuhäugige Minerva". Es gibt eben nicht verschiedene Minervae und eine davon ist kuhäugig, sondern nur the one and only - und die ist immer kuhäugig ;-)

Valete.
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Re: Melanchthons Didaktik fragwürdig.

Beitragvon Prudentius » Di 31. Dez 2019, 18:00

Hallo ille,

ille ego qui hat geschrieben: ... beschränkst du dich auf Fälle, ...


ja, ich beschränke mich auf den Standardfall.

Die attributiven Relativsätze können auch einen "Nebensinn" haben, wie man sagt, d.h. sie können ein prädikatives Element enthalten, und so ist es auch bei den attributiven Adjektiven: "primi equites" die esten Reiter, attr., und "die Reiter als erste", prädikativ.
Das L. macht keinen Unterschied zwischen beiden Anwendungen, das D. aber wohl. "Prädikativum" nennt man manchmal ein so gebrauchtes Adjektiv.
Die "epitheta ornantia" und die Appositionen sind solche prädikativen Elemente, sie lagen außerhalb meines "Arbeitsspeichers" :-D .
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