supersunt, Betonung

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supersunt, Betonung

Beitragvon Laptop » Mo 16. Mär 2020, 06:37

Eigentlich muss das Wort "supérsunt" auf der Paenult betont werden, richtig? Das erscheint mir aber seltsam, da das Kernwort "super" damit zerrissen wird. Wie seht ihr das?
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon marcus03 » Mo 16. Mär 2020, 08:04

exilis domus est, ubi non et multa supersunt (Horaz)

Hier wird auch auf der Paenultima betont.
Bei Dichtern scheint die Form nur am Versende vorzukommen.
Vlt. hilft das weiter.
https://latin.packhum.org/concordance?q ... nt%5BOv%5D
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon Laptop » Mo 16. Mär 2020, 08:20

Gut, dann ist es eben so.
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon Sapientius » Mo 16. Mär 2020, 10:31

Meine Einstellung:
Diese Sachen sind, wie sie sind.


Dagegen sträube ich mich, das ist ja ein "Offenbarungseid", eine "Bankrotterklärung" der philologischen Spracherschließung; so ungeschminkt sollte man nicht auf die Bühne treten!

Ich möchte so sagen: Laptop, du musst unterscheiden: super als selbständiges Wort mit eigenem Akzent, und super als Bestandteil eines Kompositums; beim Kompositum verlieren die Bestandteile einen Teil ihrer Autonomie und unterstellen sich dem Regime des Kompositums; das Kompositum hat eigene Betonungsregeln, unabhängig von denen der Bestandteile.

Zur Vertiefung etwas Tiefsinniges: beim Kompositum werden die Bestandteile "aufgehoben" (suspendiert) und gehen in der höheren Einheit auf; tollere / aufheben im Doppelsinn von hochheben und abschaffen, Hegel hat die Unterscheidung aufgegriffen.
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon marcus03 » Mo 16. Mär 2020, 11:18

Sapientius hat geschrieben:Dagegen sträube ich mich, das ist ja ein "Offenbarungseid", eine "Bankrotterklärung" der philologischen Spracherschließung;

So ist nunmal Stomachatus. Er reitet lieber auf fragwürdigen Bedeutungsnuancen herum (s. Diskussion "corrigere-emendare").
Er hat Laptop schon öfter wegen seiner Anliegen kritisiert. Motto: Erlaubt ist, was ich für sinnvoll halte.

PS:
Stomachatus ist Uni-Dozent nach eigenen Aussagen und duldet nur klassisches Latein.
Livius, Seneca, Tacitus & Co. sollten wohl am besten beim ihm Nachhilfe nehmen. ;-)
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon marcus03 » Di 17. Mär 2020, 08:19

Stomachatus hat geschrieben:Sapientius war übrigens ironisch und ich glaube, verstanden zu haben, dass er mit mir einverstanden ist.

Ich glaube, dass du mit deiner Interpretation ziemlich alleine dastehst.

Stomachatus hat geschrieben: ich wurde einem Anfänger manche Autoren zur Nachahmung nicht empfehlen, weil das Ergebnis aus didaktischer Sicht enttäuschend sein wird,

Mit welcher konkreten Begründung? Was heißt "didaktisch enttäuschend"? :?
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon Zythophilus » Di 17. Mär 2020, 19:30

marcus03 hat geschrieben:Bei Dichtern scheint die Form nur am Versende vorzukommen.

Für Hexameter kommt dieses Wort nur am Versende in Frage; überall sonst würde es gegen die gängigen Zäsuren verstoßen.
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon Tiberis » Mi 18. Mär 2020, 00:57

Longipes hat geschrieben:Die Vorstellung, Römer und Griechen hätten in der Dichtung anders betont als in der Prosa, ist ziemlich haltlos.


naja, wenn gerade das aktuelle Beispiel (supersunt) zeigt, dass sich die Betonung eines Wortes (super) aufgrund der Paenultimaregel ohne weiteres verändert, sehe ich nicht, wieso die Annahme "haltlos" sein soll, dass eine Änderung der Wortbetonung auch aus metrischen Gründen erfolgen kann.
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon ille ego qui » Mi 18. Mär 2020, 09:05

@Zythophilus

Z. hat vollkommen recht, dass "supersunt" mitten im Vers ganz unpassend klänge. Warum dies so ist, wird mir dennoch nicht ganz klar, da ja doch in einem Vers eigentlich nicht JEDE Zäsur eingehalten werden muss.

Wäre eigentlich - spontaner Einfall - ein Versbeginn in dieser Art denkbar: "Atque supersunt hi, quibus ..."?

@Tiberis
Offenbar verschiebt sich der Akzent im Lateinischen teilweise recht flexibel, allerdings nach festen Regeln. Wenn allerdings der Satz erst einmal feststeht, dann ist auch an den Akzenten kaum mehr zu rütteln. Ihn dann plötzlich doch anders zu betonen, muss wohl doch für römische Ohren sehr irritiert haben. Schwer vorstellbar, dass man einen solchen Satz - bloß weil es nun ein Gedicht ist - doch wieder anders betont. Ebenso schwer vostellbar: Eine Dichtung, die auf einem kunstvollen Quantitätenmuster beruht, das nicht verletzt wird, die aber dennoch erst dann funktionieren soll (?), wenn man zusätzlich Akzente gegenüber dem natürlichen Sprachgebrauch ändert (und einen Satz so betont, wie man ihn normalerweise nie betonen würde).
Hier haben wir darüber bereits disktuiert:
viewtopic.php?f=23&t=45103&p=344642&hilit=anapaest%2A#p344642
Ich habe am Beispiel von Anapästen zu zeigen versucht, welch absurde Neu-Betonungen der "Iktus" teilweise erfordert, und an einem Rezitationsbeispiel, dass man eine Akezntveränderung keineswegs benötigt, um den Rhythmus herüberzubringen:
https://www.youtube.com/watch?v=YVhvvQL ... ture=share
(Die Wagnermusik mag unpassend sein - geschenkt! -, die Rezitation überzeugt mich allerdings voll und ganz.)

Bene valete :-)
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon Tiberis » Do 19. Mär 2020, 02:26

Ich meine, wir sollten nicht den Fehler machen, zu sehr vom Deutschen auszugehen, wo der Wortakzent in jedem Substantiv und wohl auch in jedem Verb unverrückbar auf derselben Silbe bleibt. Im Lateinischen kann er hingegen variieren: cántor , aber: cantóris; cáno, aber canébam usw.
Im Lateinischen sind bekanntlich die Quantitäten entscheidend: eine abweichende Betonung wäre wohl weit weniger störend empfunden worden als etwa in einem deutschsprachigen Gedicht.
Das heißt aber noch lange nicht, dass ich der Meinung wäre, dass man beim Lesen römischer Dichtung den Wortakzent völlig ignorieren soll. Ich meine nur, dass der Versakzent gegenüber dem Wortakzent nicht vernachlässigt oder überhaupt außer Acht gelassen werden darf. Die Kunst beim Lesen z.B. eines Heameters ist es ja, beides - und natürlich insbesondere die Quantitäten -hörbar zu machen. Das kann beispielsweise mittels unterschiedlicher Tonhöhen geschehen oder durch eine gewisse Dämpfung des Versakzents, wenn er nicht mit dem Wortakzent zusammenfällt:
árma virúmque cánò, Troíaè qui prímus ab óris
Einen Hexameter nur iktierend herunterzuleiern, womöglich noch im Dreivierteltakt, ist selbstverständlich Unsinn.
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon sinemetu » Do 19. Mär 2020, 15:57

Sapientius hat geschrieben:
Meine Einstellung:
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Dagegen sträube ich mich, das ist ja ein "Offenbarungseid", eine "Bankrotterklärung" der philologischen Spracherschließung; so ungeschminkt sollte man nicht auf die Bühne treten!

Die einen wollen die Sprache verstehen, die andern, was da steht. Man muß nicht gegeneinander. Die Anliegen sind jeweils andere.
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Re: supersunt, Betonung

Beitragvon ille ego qui » Fr 20. Mär 2020, 10:01

Umgekehrt meine ich, man geht zu sehr vom Deutschen aus, wenn man meint, ein Vers bräuchte einen (Vers-) Akzent, um zu funktionieren. Eine quantitierende Dichtung benötigt eben keinen (eigens hinzugefügten) festen Akzent (ebenso wenig wie ein Vers in einer Sprache, in der eine silbenzählende Poesie gepflegt wird), um als Vers hörbar zu sein und bestehen zu können. Das Hörbeispiel sollte das beweisen. Man mag einen Iktus hinzufügen, aber man braucht ihn eben nicht. Und damit sind wir eigentlich schon bei Ockhams Rasiermesser ;-)
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