Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Willimox » Fr 8. Jan 2021, 10:56

Du hast natürlich recht, Zythophilus,

hier stammt das, was mancher englische Schüler als Segen für das Erkennen des "ablative absolute" empfinden könnte, aus dem Fundus der landeseigenen Notation.

Meine Verkennung der Sachlage erinnert von weitem an eine Brunneninschrift, sehr von weitem und sehr dünn und als Analogie gewaltig wacklig, aber sie sei trotzdem erwähnt:

Bild

qvid miraris apem qvae mel de floribvs havrit

si tibi mellitam gvttvre fvndit aqvam


Die Bienen sind hier nicht unbedingt zu bewundern, das honigsüße Brunnenwasser der Sprache und ihrer Notation liefert bereits den Segen.

Ignoscas etiam analogiae

Thr.

p.s. Für Romaficionados:
Nahe der Kirche St. Anna ist dieser Brunnen zu sehen. Er ist in die Rückwand der vatikanischen Druckerei eingebaut.
Das Distichon bezieht sich natürlich auf den Brunnen und seine den Wasserspender umgebenden Bienen. Es könnte so scheinen, als ob sie - oder die "oberste" Biene - aus ihren eigenen "Mündern" das honigsüße Wasser produzierten. Ludwig Wittgenstein: »Ein Bild hielt uns gefangen.« (PU §115)
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Laptop » Fr 8. Jan 2021, 12:39

Ich hatte schonmal vorgeschlagen, daß es den Ablativus Absolutus auch im Deutschen gibt. Man spricht zwar so nicht, aber "Den Regenschirm aufgeklappt, machte ich mich auf den Weg," ist verständlich, und man liest es literarisch schon manchmal. Und genauso literarisch ist er ja auch im Lateinischen. Hätte man es mir so erklärt hätte ich es damals auch kapiert.

Willimox, bin mir recht sicher, daß das V nur versal ist, und es wird in Kleinbuchstaben zeitgemäß (frühes 17. Jhd.) zum "u".

Das Buch über Reginald reizt mich nicht so sehr, war nie ein großer Fan von Latein bzw. Latinisierungen. Aber ich bewundere seine Energie, die er gehabt hat.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon marcus03 » Fr 8. Jan 2021, 13:14

Laptop hat geschrieben:Ich hatte schonmal vorgeschlagen, daß es den Ablativus Absolutus auch im Deutschen gibt

Der Begriff passt im Dt. nicht, da es keinen Ablativ gibt.
Man könnte von einer absoluten Partizipialkonstruktion/absolutem Partizip sprechen.
Analoges gibt es im Schriftenglisch. Beispiel: His mother being ill he does the shopping.
The town (having been) conquered the soldiers started plundering.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Willimox » Fr 8. Jan 2021, 21:13

Der Vergnügungssucht den Rücken zugekehrt,
die Wangen von Kaffeeluft gegerbt,
einen Fuß vorgestellt,
nein, die Füße gekreuzt,
den Mund wie vor Schmerzen halb geöffnet,
das Kinn auf die Fäuste gestützt,
die Lippen wie zu schallendem Gesang geöffnet,
Kinn und Wangen rasiert,
das Gesicht gegen die Fenster gekehrt und das Antlitz den Sternen zugewendet,
Degen und Pistolen neben sich auf den Tisch gelegt,
eine Laterne um den Leib geschnallt
sinnt in der Dunkelheit der Didaktiker tiefer und tiefer:
Ob man mit losgelösten Partizipialkonstruktionen oder anderen Mitteln dem aufgeweckten Schüler das lateinische Ding, die Schachtel aus Participium coniunctum und Ablativus absolutus nahebringen und öffnen kann?

Ist das Gemenge im Vorlauf dieses Satzes eine ablabs-analoge Konstruktion, wieweit kann sie tragen, sollte man sie als Einstieg benutzen und dann auf traditionelle die Wiedergabe als Satz schalten?
Oder sollte es noch andere lateinnahe Konstruktionen im Deutschen geben?
Müßige Fragen eines armen Mannes und Pädagogen?

Immerhin:
Reginaldus´ Passage zum Ablativus absolutus hat wieder einmal einen Gedankenprozess initiiert.

In horto pueri ludentes magnum excitabant strepitum
The children playing in the garden made much noise

In horto pueris ludentibus , operabamur nostris in conclavibus
The children playing in the garden, we were working in our rooms.


The subject of the first sentence is “The children playing in the garden,” and so it is not an ablative absolute. In the second sentence, the children do not enter into the main sentence, and so the phrase stands absolute, although the idea is related to the main sentence.

We shall learn that the latter sentence can also be rendered into English in various ways, such as:
“While, because, although the children were playing, we were working in our rooms.”
Take another example:

In horto pueros ludentes custos ego spectabam
The children playing in the garden I was observing as babysitter.

Here “the children” are the object of the verb “I was observing” and therefore not an ablative absolute. Many phrases like this one sound in English almost identical to, but are quite different from, the ablative absolute.
Ossa, 337


Schauen wir mal, Medicus und Laptop?

.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Tiberis » Sa 9. Jan 2021, 01:15

Ich weiß gar nicht, warum da zu den Abl.abs.- Erklärungen des Mr. Foster, die ja wirklich nichts Neues sind, so ein Tamtam gemacht wird. Nicht anders habe ich schon in meiner aktiven Zeit den abl.abs. erklärt. Wichtiger als die ganze Theorie ist jedoch die Praxis, d.h., den Schülern die Fähigkeit zu vermitteln, einen abl. abs. auch als solchen zu erkennen.
Im übrigen finde ich, dass Mr. Foster, trotz seiner Verdienste um die Latinitas viva, schon ein wenig überbewertet wird. Wenn ich mir sein Gestammel und Genuschle in den diversen Videos anhöre, wundert es mich schon, dass dieser Mann als Latinist so sehr gepriesen wurde bzw. wird.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Zythophilus » Sa 9. Jan 2021, 12:10

Foster verstand es, einer aktiven Latinität und damit auch sich selber viel Präsenz zu verschaffen. Im Verhältnis dazu fällt ein Carolus Egger zu Unrecht nicht sehr auf.
Man kann dazu stehen, wie man will, aber mit seiner Inszenierung hat Foster dem Thema viel Popularität gebracht, die auch weiterwirken wird.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Willimox » Sa 9. Jan 2021, 21:31

Salute, Tiberis

Antikes Motto:

[…] quando nominis et participii ablativus
verbo et nominativo alterius nominis cum transitione
personarum adiungitur, ut sole ascendente
dies fit et Traiano bellante victi sunt Parthi. Hac
autem utimur constructione, quando consequentiam
aliquam rerum, quae verbo demonstrantur,
ad eas res, quae participio significantur, ostendere
volumus. Quid est enim Traiano bellante victi
sunt Parthi
nisi quod secuta est victoria Traianum
bellantem?
Priscian, Inst. V 80 = GLK II 190f.


:chefren:
Sicher doch ist der Abl Abs von vielen kompetenten Lehrern auf einfallsreiche und hilfreiche (muss nicht dasselbe sein) Weise dem Schüler nahegebracht worden. Und schon in der grauen Vorvergangenheit hat man Begriff und Erscheinung diskutiert. Siehe Motto.

:chefren:
Was mich bei Reginald interessiert, sind zwei Aspekte:

Seine Distanz zu klerikal-religiösen Aspekten.
Seine gar nicht neuartige Didaktik in den Ossa und den Carnes,
nur Nebenaspekte sind da auffällig (etwa Mind&Mouth).

Was mich allerdings immer wieder fasziniert, lässt sich ein wenig dem Betrachten von menschlichen Gesichtern vergleichen: Sie haben immer die gleiche Grundstruktur von Nase, Augen, Mund, Stirn...
Und dennoch betrachtet man sie fast unwillkürlich mehr oder weniger intensiv.

:chefren:

So ähnlich geht es mir bei Reginalds Gesicht des Abl Abs. Und den vielen anderen Versuchen in den Grammatiken der Jahrhunderte bis heute:

Welche Schwierigkeiten des Verstehens hat Reginald wohl gesehen und sie zu lindern bedacht?
Hier eine kurze Antwort anhand der entsprechenden Stellen in den Ossa:

a) Lockere Verbindung zur Haupthandlung statt "Absolutheit":

The term “absolute” indicates that the ablative absolute has a certain independence from the main sentence. Some people say that it is absolute because it has nothing to do with the main sentence, but this overstates the case, because it would then have no reason to be there.

It is absolute, rather, for the technical reason that its subject is not and cannot be the subject or the object or the usage to-for-from of the main sentence. Thus, as absolute, it stands by itself and does not enter the main sentence in these technical ways.

b) Zielsprachliche (englischsprachliche) Ähnlichkeiten für das Erstverständnis:
"Appositionale" Partizipialkonstruktion, man vergleiche im Englischen:

"Being poor she could not buy a new dress." (related participle)
"Her father being pour she could not buy a new dress." (absolute participle)

Danach dann Umformung in hypotaktische Sätze mit entsprechenden Konjunktionen.

In horto pueri ludentes magnum excitabant strepitum
The children playing in the garden made much noise

In horto pueris ludentibus , operabamur nostris in conclavibus
The children playing in the garden, we were working in our rooms.

The subject of the first sentence is “The children playing in the garden,” and so it is not an ablative absolute. In the second sentence, the children do not enter into the main sentence, and so the phrase stands absolute, although the idea is related to the main sentence.

We shall learn that the latter sentence can also be rendered into English in various ways, such as:
“While, because, although the children were playing, we were working in our rooms.”

c) Die (später auftauchende) Warnung vor der Übersetzung mit "with"

Our students are not allowed to render the ablative absolute in English by a clause beginning with the word “with” Some books and schools suggest using “with . . .” as a simple way of translating the ablative absolute. Such a rendering, unfortunately, produces silly, ridiculous sentences because “with,” as in “with a baseball bat,” is instrumental, or, as in “with us,” is accompaniment. The ablative absolute is more independent and does not always go that far.

One example of this is in a Latin prayer when the minister says:

Misereatur nostri omnipotens Deus et , dimissis peccatis nostris ,
perducat nos ad vitam aeternam. ( Liturgia Romana )


If the ablative absolute dimissis peccatis is translated using “with . . . ,” then you get the following:

May almighty God have mercy on us and lead us with our forgiven sins into eternal life.

Either our sins accompany us into eternal life, or they are the instrument with which God leads us to eternal life—both of which are absurd. The expression is, rather, an ablative absolute without the verb “to be,” indicating that we are led into eternal life after our sins have been forgiven. However it is rendered in acceptable English, we do not permit our students to render the ablative absolute into English beginning with the word “with.”

Another example is:

Ad venandum excesserunt elefantis occisis

They went on a safari, the elephants having been killed. If you say, “They went on a safari with the elephants having been killed,” then you are saying that they carried dead elephants with them on their safari, which they did not do. This practice of rendering the ablative absolute by a “with . . .” clause must most diligently be avoided because it will sound silly.
(Ossa 348)

d) Die implizite Einführung des Participium Coniunctums (siehe auch b):

In horto pueros ludentes custos ego spectabam
The children playing in the garden I was observing as babysitter.

:chefren:
Zweifellos etwas für Babysitterpädagogen? Tamtam? Naja. Nicht unbedingt.

Bild

s.p.d. reverendissimo magistro Tiberi Thras.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Laptop » Di 12. Jan 2021, 00:20

Du hast recht, Willimox, der Abl.abs. ist eine spezielle Partizipialkonstruktion, und trägt mehr Zusatz-Informationen als meine Beispiele im Deutschen. Aber seien wir ehrlich, man braucht ihn nicht, und die Römer brauchten ihn im Alltag auch nicht. Wenn also ein Kind fragt "Was soll der Schmarrn?", so hat es - in gewisser Weise - recht. Übrigens Willimox, Du erinnerst mich von Deiner Art sehr an Günter Grass, er war von seinem Denken und Schreiben sehr ähnlich. Fällt mir nur auf.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Sapientius » Di 12. Jan 2021, 12:22

Laptop hat geschrieben: ... und trägt mehr Zusatz-Informationen ...


Ich würde sagen, das ist nicht ganz richtig, der Sinn des Abl. abs. ist ein anderer, er stellt eine Beschränkung (Limitation) des HS dar; mehr technisch gesagt, er gibt den Geltungsbereich der im Satz vorkommenden Variablen an; er hat also dieselbe Funktion wie Adverbialien und Nebensätze überhaupt.

Die nominalen Verbformen stellen allesamt Krypto- oder Sub-prädikate dar, sie fungieren im Satz wie Nebensätze. Deshalb kann man sie auch als (Neben-)Sätze übersetzen.

Wenn also ein Kind fragt "Was soll der Schmarrn?", ...


Laptop, du musst zu dem Kind sagen: "Dich erwarten noch tiefere Einsichten!".
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Willimox » Mi 13. Jan 2021, 12:54

Salute, Laptop und Interessenten!

Ich hatte schonmal vorgeschlagen, daß es den Ablativus Absolutus auch im Deutschen gibt. Man spricht zwar so nicht, aber "Den Regenschirm aufgeklappt, machte ich mich auf den Weg," ist verständlich, und man liest es literarisch schon manchmal. Und genauso literarisch ist er ja auch im Lateinischen. Hätte man es mir so erklärt hätte ich es damals auch kapiert.
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(1) Deutsche Partizipialkonstruktionen

Ja, das Deutsche kennt solche Versuche, absolute Konstruktionen des Lateinischen ins Auge zu fassen:

- absoluter Genitiv ("stehenden Fußes"),
- absoluter Akkusativ ("den Regenschirm aufgeklappt, machte ich mich auf den Weg in die Bücherei"),
- kasusoffene Fügungen ("dies geschehen, wandte er sich seinen Aufgaben zu") ("Meister Abrakus machte sich auf den Weg, den Mund noch immer verzogen/der Mund noch immer verzogen, um nicht zu sagen verzerrt"),
- präpositionale Fügungen ("wegen erlittenem Unrecht").

Dem entspricht bei Kühner-Stegmann (771) ein auch von Zythophilus gern erwähnter Aspekt:
Der Ablativus Absolutus ist (...) eigentlich nur ein mit einer attributiven Bestimmung versehener Ablativ der Zeit, des Grundes, des MIttels oder der Art und Weise, also eigentlich kein Satz, sondern nur ein Satzteil (...).

Der lässt sich entsprechend der gewohnten Standardübersetzung (Präpositionen...) für den Ablativ angehen....

(2) Hilfskonstruktionen, Hilfsübersetzungen mittels Präposition

Zweifellos sind - auch wenn Puristen den Kopf schütteln und Bannflüche ausstoßen - im Unterricht "Hilfskonstruktionen" zu vermitteln, die der Schüler als Einstieg nutzt, um und dann in besseres Deutsch umzuformulieren. Hier seien solche Formulierungen - verschroben, aber nützlich für die anstehende Erstübersetzung lateinischer Abl. abse:

(S1)
*Nach gefangener Maus schnurrte die Katze.
Nach dem Fangen der Maus schnurrte die Katze.

(S2)
Nach dem verlorenem Spiel - 8:1 - weinten die Brasilianer.
Nach dem Verlieren des Spiels - 8:1 - weinten die Brasilianer.

(S3)
*a) Nach verlorenem Ball mussten die Kinder aufhören zu spielen.
b) Nach dem Verlust des Balls mussten die Kinder aufhören zu spielen.

(S4)
a) Wegen dem verlorenen Ball mussten die Kinder aufhören zu spielen.
b) Wegen Verlust des Balles mussten die Kinder aufhören zu spielen.

Das ist - so scheint mir - vielversprechender als die Erklärung, was ein "absoluter Ablativ" ist. Nebenbei: Eigentlich ist - wörtlich genommen - nahezu jedes Ablativadverbiale "absolut", steht also locker als "Hospitant" in seinem Umfeldsatz....

(3) Highbrow

Immerhin, der Gelehrte sollte kein Vortragsverbot erhalten und sich aber hüten, das didaktisch beim Schüler anbringen zu wollen. Ich erinnere mich mit einigem Grausen an das Wittelsbacher Gymnasium und den Lateinlehrer Wellkammer, der unser ohnehin spärliches Selbstbewusstsein erschütterte:

Absolute Strukturen entstehen vor allem da, wo ein Nomen kombiniert mit einem Partizip (oder einem Nomen) den kasuellen Anschluss an den Umfeldsatz/Matrixsatz aufgibt und also nicht mehr direkt als Kasus, sondern indirekt als "Subjekt" seine Partiziphandlung in den Matrixsatz als eine Nebenhandlung einführt und so mit ihm "verbunden" ist.
Daher lässt er sich denn als Adverbiale Begleitsituation fassen und dementsprechend auch mit einem Adverbialsatz (als, weil, obwohl...) oder einer präpositionalen Fügung (nach, wegen, trotz) wiedergeben.


Übrigens ist es spannend zu überlegen, warum in (2) und (4) offensichtlich eine Übersetzung "Präp+Part+Nomen" möglich ist. Und warum - siehe 3b - viele Didaktiker recht gerne diese Art der Übersetzung empfehlen ("dominantes Partizip").

(4) Florilegium

Hier ein bisschen Blütenlese - Hebbel, Grillparzer, Schiller, Grass:

Hinaus aus der Stadt! Und da dehnt sie sich,
Die Heide, nebelnd, gespenstiglich,
Die Winde darüber sausend,
"Ach, wär hier ein Schritt, wie tausend!"

Und alles so still, und alles so stumm,
Man sieht sich umsonst nach Lebendigem um,
Nur hungrige Vögel schießen
Aus Wolken, um Würmer zu spießen.
Hebbel

Schon waren die Hauptschwierigkeiten der Wanderung überwunden und ich befand mich bereits am Ende des Augartens, die ersehnte Brigittenau hart vor mir liegend. Hier ist nun noch ein, wenngleich der letzte Kampf zu bestehen. Ein schmaler Damm, zwischen undurchdringlichen Befriedungen hindurchlaufend, bildet die einzige Verbindung der beiden Lustorte, deren gemeinschaftliche Grenze ein in der Mitte befindliches hölzernes Gittertor bezeichnet. An gewöhnlichen Tagen und für gewöhnliche Spaziergänger bietet dieser Verbindungsweg überflüssigen Raum; am Kirchweihfeste aber würde seine Breite, auch vierfach genommen, noch immer zu schmal sein für die endlose Menge, die, heftig nachdrängend und von Rückkehrenden im entgegengesetzten Sinne durchkreuzt, nur durch die allseitige Gutmütigkeit der Lustwandelnden sich am Ende doch leidlich zurechtfindet.
Grillparzer

Die Menge bewegte sich von der Haupttür gegen den Hochaltar, wandte sich dann links, wo sie einer, im Glassarge liegenden Reliquie große Verehrung bezeigte. Man betastete den Kasten, bestrich ihn, segnete sich und verweilte, solange man konnte; aber einer verdrängte den andern, und so ward auch ich im Strome vorbei- und zur Seitenpforte hinaus geschoben.
Ältere Männer von Bingen treten zu uns, den Herzoglich-Nassauischen Beamten, unsern werten Geleitsmann, freundlich zu begrüßen, sie rühmen ihn als einen guten und hülfreichen Nachbar, ja als den Mann, der ihnen möglich gemacht, das heutige Fest mit Anstand zu feiern. Nun erfahren wir, dass, nach aufgehobenem Kloster Eibingen, die inneren Kirchenerfordernisse, Altäre, Kanzel, Orgel, Bet- und Beichtstühle, an die Gemeine zu Bingen zu völliger Einrichtung der Rochuskapelle um ein billiges überlassen worden.
(Schiller)

Meine Großmutter hatte keinen Koljaiczek gesehen, weil sie keinen Koljaiczek kannte. Ob der von der Ziegelei sei, wollte sie wissen, denn sie kenne nur die von der Ziegelei. Die Uniformen aber beschrieben ihr den Koljaiczek als einen, der nichts mit Ziegeln zu tun habe, der vielmehr ein Kleiner, Breiter sei. Meine Großmutter erinnerte sich, hatte solch einen laufen sehen, zeigte, ein Ziel ansprechend, mit dampfender Kartoffel auf spitzem Ast in Richtung Bissau, das der Kartoffel nach zwischen der sechsten und siebenten Telegrafenstange, wenn man vom Ziegeleischornstein nach rechts zählte, liegen mußte. Ob aber jener Läufer ein Koljaiczek gewesen, wußte meine Großmutter nicht, entschuldigte ihre Unwissenheit mit dem Feuer vor ihren Stiefelsohlen; das gäbe ihr genug zu tun, das brenne nur mäßig, deshalb könne sie sich auch nicht um andere Leute kümmern, die hier vorbeiliefen oder im Qualm stünden, überhaupt kümmere sie sich nie um Leute, die sie nicht kenne, sie wisse nur, welche es in Bissau, Ramkau, Viereck und in der Ziegelei gäbe – die reichten ihr gerade.
Grass



Bild
(Mausekatze pendelnd zwischen zwei Gelehrten, welche - getrennte Zeitdimensionen verknüpft - über den Ablativus absolutus meditieren)

p.s.
Reginaldus im Jenseits oder wo auch immer sei gegrüßt und bedankt, dass er mit seinen "ossa" zu Meditationen anregte....

ein Scherz, den Foster gern erzählte:

Ein älterer Professor der klassischen Sprachen fliegt nach Rom, um an einer Altphilologenkonferenz teilzunehmen. Er hält ein Taxi an, als er den Flughafen verlässt, und der Fahrer zeigt auf ein Schild mit der Aufschrift "Tell driver your destination". Der Professor zögert einen Moment lang. Er spricht kein Italienisch, will aber nicht, dass der Fahrer seine Anweisungen auf Englisch missversteht. Plötzlich wird ihm - natürlich - wieder bewusst, dass das Italienische vom Lateinischen abstammt, und er sagt:
"Adducere, äh, adduc me ad Marriott deversorium".

Der Taxifahrer nickt und legt den Gang ein. Als er sich in den fließenden Verkehr eingeordnet hat, sagt er: "Wow, Sie waren sicher lange nicht mehr in Rom."
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Sapientius » Mi 13. Jan 2021, 17:50

Hallo Willimox,

du bietest eine schöne Bilder-, Wort- und Gedankenfülle! Ich kann nur mit dem knöchernen Finger auf etwas hindeuten.

Der Terminus "absolutus" ist eher irreführend, man sollte ihn nur zusammen mit "coniunctum" gebrauchen, als Gegenbegriff, die beiden gehören ja eng zusammen, unter dem Titel "die prädikativen Partizipien".

Alle Ablative, alle Adverbialien sind ja "absolut" in dem Sinne, dass sie den Rahmen zu dem Bild des Satzes bilden, ich habe oben von "Limitieren" gesprochen, Einschränken des Geltungsrahmens des Satzes.

Um die Kinder an den abl. abs. heranzuführen, würde ich einmal vorschlagen, so vorzugehen; Vorübung rein im Deutschen: "Prädikatisieren" möchte ich es nennen:
- "In Hamburg sind die Nächte lang ,,," = "Wenn man in H. ist, ..."
- "Den Regenschirm aufgeklappt..." = "Indem ich ... aufklappte, ...",
- "Abends kommt Wind auf" = "Wenn es Abend wird ---".

Wenn man das eingeübt hat, kann man den Schüler mit "monte occupato" konfrontieren; soll er ruhig anfangen: "mit einem besetzten Berg"; Dann sagen wir: "Prädikatisiere!", wenn er jetzt kommt mit: "mit einem Berg, der besetzt worden ist", sagen wir: du hast ja nur das Attribut verbalisiert; du sollst den ganzen Ausdruck prädikatisieren; dann muss kommen: "Nachdem der Berg besetzt worden ist", und damit sind wir am Ziel.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Tiberis » Mi 13. Jan 2021, 19:35

ein paar Anmerkungen:

Willimox hat geschrieben:Meine Großmutter erinnerte sich, hatte solch einen laufen sehen, zeigte, ein Ziel ansprechend, mit dampfender Kartoffel auf spitzem Ast in Richtung Bissau


Kein gutes Beispiel, denn "ansprechend" bezieht sich ja auf die Großmutter und ist somit participium coniunctum. ;-)

Womit wir schon beim Kern des "Problems" sind: Ich halte nämlich nichts davon, den Schülern die beiden Partizipialkonstruktionen (abl.abs. und PC) - wie es leider meistens geschieht - mehr oder weniger zeitgleich zu vermitteln, indem man sich auf deren Unterscheidung konzentriert. Dabei besteht immer die Gefahr, dass man durch umständliche Definitionen die Sache unnötig verkompliziert.
Der abl. abs. ist ja nichts anderes als eine Aussage, die mit dem übrigen Satz zwar nicht grammatisch, aber sehr wohl inhaltlich verbunden ist.
Diese Aussage steht nun im Lateinischen eben im Ablativ, bestehend aus Substantiv/Pronomen + Partizip (bzw. seltener Subst./Adj.), wobei ersteres Subjekt, letzteres das Prädikat dieser Aussage darstellt.
Je nachdem, ob es sich um ein Präsens- oder Perfektpartizip handelt, ist die Aussage des abl. abs. gleichzeitig oder vorzeitig gegenüber dem eigentlichen Satz.
Der abl. abs. ist also eine stichwortartig formulierte Aussage, ähnlich wie in Schlagzeilen von Zeitungen, z.B.: MONARCHIE ABGESCHAFFT! ÖSTERREICH WIRD REPUBLIK.
Viel mehr an "Theorie" muss der Schüler nicht wissen. Entscheidend ist, dass er einen abl.abs. sicher als solchen erkennt.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Willimox » Mi 13. Jan 2021, 20:57

Grüß dich, Tiberis,

das "Florilegium" enthält deutsche, locker im Satz eingebaute "Partizipialkonstruktionen", die Grasssche Großmutter ist Subjekt in der Haupthandlung "zeigen", dazu (additiv) als Nebenhandlung "ein Ziel ansprechend".

Damit ist durchaus eine Art "Schlagzeilen"-Variante in der Partizipfügung gegeben, ein "al fresco", "Stenographie", "Brevitas". Die Nebenhandlung wird als locker verbundener Zusatz gebracht. Die Großmutter ist als Referenzpunkt präsent. Ein Partizipium "Coniunctum".
Danach dann - wie üblich - mit dem Schüler die nichtreduzierten, finiten Varianten:
"Großmutter ...zeigte ...und gab die Richtung an..."
usw

Und damit, also mit der Schlagzeilenvariante, kommen wir zu den Möglichkeiten, die lateinischen Partizipkonstruktionen mittels der deutschen Partizipfügungen - wenn auch holprig - wiederzugeben.

In horto pueri ludentes magnum excitabant magnum strepitum

Hilfsübersetzung:
Die Buben - im Garten spielend - erzeugten großen Lärm.

Flüssigere Übersetzungen:
Die Buben spielten im Garten und erzeugten großen Lärm.
Als/während/weil die Buben im Garten spielten, erzeugten sie großen Lärm.
Mit ihrem Spiel im Garten erzeugten die Buben großen Lärm.

Schwierig, aber doch für diese Hilfsübersetzung geeignet, Sätze mit Dativ, Akkusativ als Kopf des Partizips.
Im Deutschen oft referenztechnisch zu unbestimmt, weil uns die Kongruenz weniger zur Verfügung steht, die der Lateiner in den Kasusmorphemen hat.

Pueros in horto ludentes magistri magna voce in scholam revocaverunt.
Die Buben - im Garten spielend - riefen die Lehrer mit lauter Stimme in die Schule zurück.
Die Buben spielten... und die Lehrer riefen sie (hier wird dann deutlich, wer aktiv ist beim Rufen :) ..
Als die Buben ....riefen sie die Lehrer...

In horto pueris ludentibus operabamur nostris in conclavibus.

Hilfsübersetzung mit deutscher holpriger Wiedergabe des Ablativsignals + Partizip-Schlagzeile:
In der Situation "Die Buben im Garten spielend" "Die Buben spielen im Garten" arbeiteten wir in unsren Gemächern.

Flüssiger:
Während die Buben .....spielten, arbeiteten wir ...

Also, die Schlagzeilentechnik ist kommod. Und in beiden Partizipkonstruktionen anwendbar. Das Ablativsignal in der deutschen Hilfsübersetzung zu bringen dürfte dem Schüler helfen, weil er den Ablativ nicht plötzlich wegdenken muss, der sonst so wichtig ist . .

Nach einiger Zeit ist ihm dann sicher die geläufige Formel "Ablativ der Partizipfügung wird Subjekt und infinites Verb wird Prädikat" gar nicht mehr fremd. Er wird sie eher intuitiv, aber eben in und aus der Erfahrung fundiert anwenden.

greetse

ww
Zuletzt geändert von Willimox am Mi 13. Jan 2021, 21:46, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Willimox » Mi 13. Jan 2021, 21:03

Grüß dich, Sapientius,

spielen wir die Prädikatisierung durch.

Wie geht der so trainierte Schüler um etwa mit:

Monte an Romanis occupato hostes se receperunt.

Und dann ein etwas komplexeres Gebilde, für die älteren Eleven:

Sublata enim Carthagine,
quae tam diu aemula imperii fuit,
Romana urbs manus suas in totum orbem terra marique porrexit,
donec regibus cunctis et nationibus imperio subiugatis,
cum iam bellorum materia deficeret,
viribus suis male uteretur:
quibus se ipsa confecit.

L. Caelius Firmianus Lactantius, Divinae institutiones 7,15, 14-18

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(Da steckt auch ein Buch von Sapientius drin.)

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Re: Der kantige Mönch: Ecclesia, Ossa, Carnes.

Beitragvon Zythophilus » Do 14. Jan 2021, 08:58

Wie viel bringt es, die Schüler für eine lateinische Konstruktion, die sie zumindest anfangs nicht verstehen, Hilfskonstruktionen lernen zu lassen, die ihnen ebenso fremd sind?
"Die Kinder, im Garten spielend" klingt gelinde gesagt artifiziell.
Ist es nicht einfacher und ehrlicher, zunächst die Übersetzung mit GS zu forcieren ("während" und "nachdem")? Die Frage nach dem Warum stellen die meisten Schüler nicht. Sie haben auch mit dem AcI kein großes Problem bzw. kein kleineres, wenn sie wissen, dass es im Deutschen beim Verb "sehen" etwas Vergleichbares gibt. Wer in der Lage ist, die AcIs mit ihren verschiedenen Infinitiven in die entsprechenden "dass"-Sätze zu verwandeln, wird es mutatis mutandis beim Abl.abs. mit seinen Elementen ebenfalls schaffen. Die Hilfsübersetzungen wie die "Schlagzeilen"-Variante wären dann eine Hilfe, wenn man das Phänomen Abl.abs. nicht eigens thematisiert und gewissermaßen mit ein bisschen Grundgrammatik und Vokabelkenntnissen übersetzen lässt. Wenn man den Abl. mit "mit" wiedergibt, kommt man bei sublata Carthagine und "mit dem besiegten Karthago" genauso auf den inhaltlichen Sinn.
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