"deutsche" Aussprachetradition
ist wohl übertrieben, aber sicher gibt es eine Tradition, wie die Deutschen das L. ausgesprochen haben, so wie eben alle Leute Fremdsprachen mit ihrem heimischen Zungenschlag aussprechen - wenn sie nicht gerade einen "phonetischen Vorkurs" oder ein Pflichtseminar "historische l. Formenlehre" absolviert haben.
"Quantitätenkollaps" würde ich nicht sagen, wir haben eben im D. ein anderes Quantitätenreglement als das L., für uns haben offene Silben eine Tendenz zur Länge und geschlossene zur Kürze; vgl. die Buchstabennamen "Ef" und "Ge". Uns fällt es schwer, ullus, stella, villa, infans lang auszusprechen, und dieselbe Silbe "hoc" mal kurz und mal lang auszusprechen. Ich erinnere mich noch, als ich mit L. anfing, hatte impètus für mich ein langes e.
Das Bewusstsein einer Differenz zwischen unbefangener heimischer und echter historischer Aussprache ist ja jüngeren Datums, ab 18. Jh., ein Zweig der romantischen Bewegung, das Erwachen des "historischen Bewusstseins", man erkannte die Eigenprägung der Epochen, erst seitdem bemüht man sich, eine Zeit aus ihren jeweiligen Voraussetzungen her zu verstehen.